Krankenhauspersonal und die vierte Welle: Die Ignoranz der Politik

Schon vor Monaten baten In­ten­siv­me­di­zi­ne­r*in­nen eindringlich darum, das Land möge sich auf die nächste Welle vorbereiten. Wieder wurden sie alleingelassen.

Zwei Hände in medzinischen Schutzhandschuhen

Es kann nicht sein, dass die Menschen, die unser Gesundheitssystem aufrechterhalten, allein kämpfen Foto: Daniel Vogl/dpa

Nach fast zwei Jahren Pandemie bin ich überzeugt: In der Politik herrscht eine große Ignoranz, im schlechtesten Falle sogar eine Verachtung für die Menschen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten. Anders kann ich mir die Situation, in der wir stecken, nicht erklären.

Schon lange vor der Pandemie waren die Arbeitsbedingungen für Pflegende und Ärz­t*in­nen in Krankenhäusern miserabel. Der Heilberuf ist ein wunderbarer Beruf. Er ist aber auch ein belastender Beruf. Lange Arbeitszeiten, kein Überstundenabbau, keine Zeit für Pausen oder gar ein Mittagessen, viel zu viele Pa­tien­t*in­nen, die von einer Gesundheitskraft allein versorgt werden müssen.

Die Arbeit in Kliniken bringt seelische, familiäre, gesundheitliche Herausforderungen, Belastungen, die manche Behandelnde abstumpfen, kalt und unfreundlich werden lassen, weil der Druck zu hoch, die Belastung zu groß ist. All das war, wie gesagt, lange vor der Pandemie der Fall.

Schon 2017 hatte der Pfleger Alexander Jorde Angela Merkel fast angefleht, endlich etwas an den Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Seit Monaten bitten In­ten­siv­me­di­zi­ne­r*in­nen eindringlich darum, das Land möge sich auf die nächste Coronawelle vorbereiten. Schon Mitte August warnten sie, dass der frühe Anstieg bei den stationären Covid-19-Behandlungen ihnen Sorge bereite. Reaktion aus der Politik: null. Mitte Oktober erklärten die Mediziner*innen, dass 5.000 Intensivbetten weniger bereitstünden als vor einem Jahr und „eine dauerhaft nicht vertretbare Situation mit Blick auf die uns anvertrauten Patienten“ bestehe. In den letzten Monaten gab es Demonstrationen von Pflegekräften, Kündigungen (auf einer Station der Uniklinik Marburg warfen 15 von 16 Pflegenden auf einmal hin), Appelle. Umsonst.

Noch Anfang November twitterte FDP-Generalsekretär Volker Wissing: „Unser Gesundheitssystem ist stabil, die Gesundheitsversorgung der Bürger gesichert“. Als Ärz­t*in­nen schon seit Monaten vor dem kommenden Notstand warnten, Pflegende ausgebrannt hinwarfen. Da ist sie: die Verachtung. Denn worum die Politik sich nicht kümmert, müssen die Menschen im Gesundheitssystem auffangen.

Und wir, als Gesellschaft, vergessen all das wieder, wenn die Neuinfektionen runtergehen, wenn wir keine Bilder überfüllter Intensivstationen sehen. Das ist ein Stück weit gut, dass wir unseren Geist abschalten können. Aber es kann nicht sein, dass die Menschen, die unser Gesundheitssystem aufrechterhalten, die sich um unsere Kranken kümmern, allein kämpfen müssen. Gegen eine Politik, die sich nicht mal in dieser Extremsituation vor sie stellt.

Inzwischen müssen Ärz­t*in­nen entscheiden, welche Pa­ti­en­t*in­nen sie versorgen können, welche sie weiterschicken müssen. Pfle­ge­r*in­nen müssen zum vierten Mal die letzten Reserven aufbrauchen. All das wäre vermeidbar gewesen. Die Politik braucht Druck. Nicht nur während der Pandemie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.