Spähsoftware gegen NGOs in Palästina: Erst ausspioniert, dann verboten

Die Pegasus-Spähsoftware soll gegen palästinensische NGOs mit Terrorverbindungen eingesetzt worden sein. In Europa wartet man aber noch auf Beweise.

Ein Mann kommt aus einem Gebäude.

Shawan Jabarin, Leiter der NGO Al-Haq, die von Ausspähung und Verbot betroffen ist Foto: Majdi Mohammed/ap

BERLIN taz | Pegasus lässt grüßen, diesmal aus Nahost: Die Spionage-Software, die im Juli weltweit für Furore sorgte, soll auch gegen palästinensische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingesetzt worden sein, die maßgeblich aus Europa finanziert werden. Diese stehen aktuell ohnehin im Zentrum einer internationalen Debatte, da Israel ihnen Terrorverbindungen vorwirft.

Einem Bericht der in Irland ansässigen Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders (FLD) zufolge haben Ex­per­t*in­nen insgesamt 75 iPhones von Mit­ar­bei­te­r*in­nen palästinensischer Organisationen untersucht. Dabei wurden sie bei sechs Geräten fündig. Das Citizen Lab der Universität Toronto sowie Amnesty International bestätigten die Funde nach eigenen Untersuchungen.

FDL hat keine Hinweise darauf, welche Regierung hinter dem Pegasus-Einsatz steht, doch verdächtigt die Organisation Israel. Denn pikanterweise sind dem Bericht zufolge drei Organisationen von der Spionage betroffen, die vom israelischen Verteidigungsministerium erst im Oktober zu Terrororganisationen erklärt wurden.

Der Schritt wurde von internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie von westlichen Regierungen kritisiert. Viele sehen darin ein gezieltes Vorgehen gegen die palästinensische Zivilgesellschaft, die sich gegen die israelische Militärbesatzung des Westjordanlands engagiert. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich „sehr besorgt“ gezeigt.

Von dem nun bekannt gewordenen Pegasus-Einsatz sollen unter anderem Mitarbeiter der Organisation Bisan Center, der Menschenrechtsgruppe Al-Haq sowie vom Verein Addameer betroffen sein, der Rechtsbeistand leistet für Gefangene. Letztere NGOs wurden in der Vergangenheit mittelbar auch von der Bundesregierung finanziell unterstützt und arbeiten mit politischen Stiftungen und Vereinen in Deutschland teilweise eng zusammen.

Streit um Beweislage

Brisant ist der Pegasus-Fund deshalb, weil die israelische Regierung bisher noch keine stichfesten Beweise vorgelegt hat für ihren folgenreichen Vorwurf, dass die sechs palästinensischen NGOs Verbindungen zur Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) haben. Die PFLP ist in Israel, aber auch in Europa und den USA, offiziell als Terrororganisation gelistet.

Vergangene Woche hatten Medien über ein 75-seitiges Dossier von Israels Inlandsgeheimdienst Shin Bet berichtet, das seit Mai an europäische Regierungen ging und Verbindungen zwischen den betroffenen NGOs und der PFLP beweisen soll. Die Faktenlage in den Dokumenten ist allerdings sehr dünn: „Israelisches Geheimdokument bringt keine Beweise, um das Terrorlabel für palästinensische Organisationen zu rechtfertigen“, titelte die Investigativ-Webseite The Intercept.

Die israelische Regierung widersprach den Berichten. Am Montag hieß es, Ermittlungen hätten eine „exzellente Akte“ ergeben, die Beweise dafür enthalte, dass die sechs NGOs PFLP-Verbindungen hätten. „Die Annahme, dass das Dossier vom Mai alles ist, was wir haben, ist schlicht falsch“, sagte ein Regierungsvertreter bei dem Briefing.

Die Beweise hat man in den europäischen Hauptstädten, aus denen ein Großteil des Budgets der NGOs kommt, aber noch nicht gesehen. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es auf taz-Nachfrage, man habe habe zunächst „Informationen zur Listung der genannten Nichtregierungsorganisationen (als Terrororganisationen) erbeten.“ Ähnlich äußerten sich am Montag Estland, Frankreich, Irland, Norwegen und Albanien nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York.

Kommt es jetzt zu Razzien?

Die sechs gelisteten NGOs liefern wichtige Quellen hinsichtlich möglicher Menschenrechtsverstöße im von Israel militärisch besetzten Westjordanland. In der Vergangenheit hat es einzelne Fälle gegeben, in denen Mit­ar­bei­te­r*in­nen von palästinensischen NGOs konkret Verbindungen zur PFLP und eine Verstrickung in terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden. Mindestens einer der nun ausspionierten NGO-Mitarbeiter saß deshalb früher auch im Gefängnis.

Dass es weitere Verbindungen gibt, ist nicht ausgeschlossen, zumal das Westjordanland klein ist und man sich im linken Umfeld, dem auch die PFLP zuzurechnen ist, kennt. Letztendlich ist die Frage aber: Inwieweit gibt es nachweisbare organisatorische Verbindungen zwischen einzelnen NGOs und der PFLP? Sowie: Inwieweit können einzelnen Mit­ar­bei­te­r*in­nen strafbare Aktivitäten für die PFLP nachgewiesen werden und wie reagieren die NGOs als Arbeitgeber darauf?

Unterdessen ist die Lage für die betroffenen NGOs ernst geworden: Zunächst hatten sie ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzen können, da sie im Westjordanland aufgrund der Rechtslage weiterhin legal waren. Am Sonntag aber unterzeichnete das Zentralkommando des israelischen Militärs, das für das besetzte Westjordanland zuständig ist, eine entsprechenden Anordnung, womit die betroffenen NGOs nun auch im Westjordanland illegal sind.

Damit dürfen sie nicht weiter arbeiten; die Büros können jederzeit geschlossen und Computer beschlagnahmt werden. Auch drohen den Mit­ar­bei­te­r*in­nen Strafprozesse. „Al-Haq drückt seine tiefste Besorgnis über die Sicherheit seiner Mitarbeiter im Westjordanland, einschließlich Jerusalems, aus“, teilte die Organisation mit. Zu Razzien kam es bislang jedoch noch nicht.

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