Demonstrationen beim Klimagipfel: Große Wut, kleine Fortschritte

In Glasgow gehen Zehntausende für Klimaschutz auf die Straße. Während die Konferenz dort als Flop gilt, zeichnen NGOs ein differenzierteres Bild.

Ein Demonstrationszug in Glasgow mit vielen Transparenten

Demonstrierende in Glasgow, 6. November 2021 Foto: Duncan McGlynn/ap

GLASGOW taz | Das schottische Wetter meint es nicht gut mit den Klimaschützer*innen. Als am Samstagnachmittag mehrere zehntausend Menschen quer durch die Innenstadt zum Glasgow green ziehen, einem großen Park am River Clyde, weht der Wind so stark, dass große Transparente kaum zu halten sind. Zwischendrin geht ein Regenschauer über dem kilometerlangen Demozug nieder, der viele der Anwesenden komplett durchnässt.

Aber das aktuelle Wetter ist das kleinere Problem der Menschen. Größere Sorgen macht ihnen die längerfristige Klimaveränderung und ihre Folgen: Waldbrände, Dürren, versiegende Wasserquellen, das alles ist vielerorts schon Realität. Und nach Glasgow sind Menschen aus aller Welt gekommen, die davon berichten können.

Vor der großen Bündnis-Demonstration am Samstag auch schon bei einer kleineren, die Fridays for Future am am Freitag organisiert hatte. „Für uns in Afrika ist schon die Gegenwart katastrophal“, sagte dort Evelyn Acham aus Uganda. „Die Menschen sterben in den Fluten, und wer überlebt, hat nichts zu essen und zu trinken.“

Unter den zahlreichen Red­ne­r*in­nen sind Indigene aus aller Welt, viele mit üppigem Federschmuck und traditioneller Bemalung. Bedroht sind sie nicht nur vom Klimawandel selbst, sondern auch von den Konzernen, die diesen vorantreiben. „Indigene Völker schützen das Land und die Biodiversität“, sagte etwa eine junge Frau aus Kolumbien. Aber sie seien durch die Ölförderung bedroht. „Kolumbien ist das gefährlichste Land der Welt für Umweltschützer“, berichtet sie. Dass sich durch die Klimakonferenz etwas zum Besseren wendet, glaubt sie nicht: „Nichts ändert sich, alles wird nur noch schlechter.“

Thunberg hält sich bei Freitags-Demo im Hintergrund

Dieser Eindruck zieht sich durch praktisch alle Reden, von Indigenen-Vertreter*innen über Ge­werk­schaf­te­r*in­nen bis hin zu Jugendlichen aus verschiedenen Ländern: Von der Klimakonferenz, bei der wenige Kilometer entfernt in einer Zeltstadt hinter einem hohen Zaun zeitgleich tausende Menschen über Klimaschutz verhandeln, erwartet hier niemand irgend etwas.

Auch Greta Thunberg, die sich bei der Demonstration am Freitag bewusst im Hintergrund hält, den Indigenen die erste Demo-Reihe überlässt und bei der Kundgebung als Letzte spricht, lässt kein gutes Haar an der Klimakonferez. Die sei „ein Greenwash-Festival“ und „ein PR-Event“, bei dem die Staats- und Regierungschefs „hübsche Reden halten“, ohne die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, kritisierte die 18-jährige Schwedin, die mit ihrem einsamen Protest vor dem schwedischen Reichstag die Fridays-for-Future-Proteste in aller Welt inspiriert hatte. Die Konferenz sei „ein zweiwöchiges Zelebrieren von ‚business as usual‘ und bla bla bla“, sagte Thunberg unter großem Beifall.

Diese Fundamentalkritik auf der Straße steht im deutlichen Gegensatz zu den Einschätzungen vieler Umweltorganisationen, die die Verhandlungen innerhalb des Konferenzgeländes verfolgen und von den Entwicklungen teilweise eher positiv überrascht sind. „Ich würde nicht sagen, dass der Klimagipfel nur Show ist“, sagt etwa Greenpeace-Kampaignerin Lisa Göldner: „Diese UN-Konferenzen sind einer der wenigen Orte, wo die Industriestaaten direkt konfrontiert werden mit dem Leid und den Forderungen der am stärksten von der Klimakrise getroffenen Länder.“ Zudem seien die Konferenzen „für Länder des Globalen Südens essentiell, um überhaupt Geld für Schutzmaßnahmen vor der Klimakatastrophe aufzutreiben“.

„Auch kleine Schritte bringen uns vorwärts“

Sebastian Scholz, der für den Naturschutzbund (Nabu) vor Ort ist, hält die Proteste zwar insgesamt für hilfreich. „Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, wenn uns die Fridays permanent sagen, dass es nicht reicht, was hier passiert“, sagt er der taz. Fundamentalkritik findet er aber nicht angebracht. „Es gibt auch kleine Erfolge, etwa dass das Thema Waldschutz prominent gesetzt wurde und dass erstmals gemeinsam über Klimaschutz und Biodiversität verhandelt wird“, sagt Scholz. „Auch kleine Schritte bringen uns vorwärts.“

Christoph Bals, der für die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch die Klimagipfel schon lange vor Ort begleitet, kann die Ungeduld der Ak­ti­vis­t*in­nen auf der Straße verstehen. „Man muss genau hinschauen, wieviel Substanz die Ankündigungen haben“, sagt er. „Aber nicht alle sind nur ‚bla bla bla‘.“ Dass alle G20-Staaten die Finanzierung von Kohlekraftwerken im Ausland streichen werden, sieht er beispielsweise als „eine entscheidende Veränderung“.

Bals wünscht sich, dass sich auf beiden Seiten etwas verändert. „Bei dieser COP sollte ein Prozess aufgesetzt werden, der für mehr Transparenz sorgt, welche Ankündigungen Greenwashing sind und was wirklich Substanz hat“, sagt der Germanwatch-Chef. „Wenn das geschafft wird, erhoffe ich mir auch von der Bewegung, dass sie nicht alles in Bausch und Bogen verdammt, sondern mühsam erkämpfte und wichtige Transpformationsprozesse anerkennt.“

Thunberg findet allerdings nicht, dass die Bewegung in ihrer Kritik zu weit geht. „Nicht wir sind radikal, sondern die Staatchefs, die meinen, dass wir in einer Welt überleben können, die 3 Grad heißer ist“, sagte sie in Glasgow. „Wir sprechen nur die Wahrheit aus.“

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