NGO-Mitarbeiterin in der Westbank: „Ein Versuch, uns auszutrocknen“

Israel hat sechs palästinensische NGOs als terroristisch eingestuft. Eine Al-Haq-Mitarbeiterin beklagt einen Angriff auf die ganze Zivilgesellschaft.

Demonstranten mit einer palästinensichen Flagge und Uniformierte in karger Landschaft.

Palästinenser protestieren gegen die israelische Besetzung der Westbank im Oktober 2021 Foto: Mussa Qawasma/reuters

Frau AlBajeh, mit fünf weiteren palästinensischen NGOs ist Ihre Menschenrechtsorganisation Al-Haq von Israel als „Terrororganisation“ eingestuft worden. Sprechen Sie mit mir noch aus dem Al-Haq-Büro in Ramallah?

Aseel AlBajeh: Ja, wir arbeiten weiter von unseren Büros aus und mit unseren Mitarbeitern im Feld. Alle sechs betroffenen Organisationen sind weiter aktiv.

Gehen Sie davon aus, auch in den nächsten Wochen weiterarbeiten zu können?

Die Einstufung (als Terrororganisation, d. Red.) beruht auf einem israelischen Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 2016, das unrechtmäßig auf die besetzten palästinensischen Gebiete angewendet wird. Um hier Wirkung zu entfalten, müsste es noch in eine militärische Anordnung umgewandelt werden. Dies könnte dann zur Schließung unserer Büros, zur Verhaftung von Mitarbeitern, zur Beschlagnahmung unseres Vermögens und zum Einfrieren unserer Bankkonten führen.

ist Rechtsexpertin bei der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq in Ramallah

Al-Haq ist die bekannteste palästinensische Menschenrechtsorganisation und hat auch immer wieder Gelder aus Deutschland erhalten. Bislang hat Israel öffentlich keine Beweise für die Anschuldigung vorgelegt. Wie reagieren Sie auf die Terror-Einstufung?

Sie ist ein politischer Schritt, um die palästinensische Zivilgesellschaft zu kriminalisieren und sie zu hindern, israelische Verbrechen und Rechtsverletzungen anzuprangern. Dies ist Teil einer institutionalisierten Kampagne der Besatzungsbehörden. Wir betrachten die Einstufung als letzten Versuch, uns finanziell auszutrocknen, nachdem es nicht gelungen ist, uns auf der Grundlage von Fakten herauszufordern und unsere Unterstützer dazu zu bewegen, dass sie uns nicht mehr finanzieren.

Was fordern Sie nun?

Wir werden weiter für Menschenrechte eintreten und die israelischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen, was Teil des Kampfs des palästinensischen Volks ist. Gleichzeitig brauchen wir Schutz. Es braucht zum einen Druck auf Israel, damit es die Terror-Einstufung und das Anti-Terror-Gesetz zurücknimmt, das nach Ansicht von UN-Experten ein politisches Instrument zur Unterdrückung des palästinensischen Volks ist. Zum anderen muss die internationale Gemeinschaft helfen, die illegale Situation hier zu beenden, unter anderem durch Sanktionen, wie es die völkerrechtlichen Verpflichtungen vorsehen.

In einer Stellungnahme hat die Bundesregierung erst im Juni erklärt, dass sie keine Hindernisse für die Finanzierung von Al-Haq sieht. Was genau sind die neuen Vorwürfe Israels?

Wir haben sie nur aus den Medien erfahren. Israel erhebt seit Jahrzehnten falsche Anschuldigungen, die nicht durch Beweise gestützt werden. Die internationale Gemeinschaft fordert nun Beweise, aber bislang hat kein Staat erklärt, dass er konkrete Beweise erhalten hat.

Es heißt, Al-Haq sei ein Arm der PFLP, die von der EU wie auch von den USA als Terrororganisation geführt wird. Gibt es Verbindungen zwischen Al-Haq und der PFLP?

Wir sind eine nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation. Uns geht es darum, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, unabhängig davon, wer die Täter sind. Wir dokumentieren israelische Menschenrechtsverletzungen, aber auch solche, die von der PA und der Hamas begangen werden. Unsere Arbeit basiert auf dem Völkerrecht und hält sich an die internationalen Menschenrechtsstandards.

Shawan Jabarin, Generaldirektor von Al-Haq, war in den achtziger Jahren Mitglied eines studentischen Zweigs der PFLP. Was ist mit ihm?

Für die, die den Kontext nicht kennen, ist es wichtig zu wissen, wie Israels jüngster Schritt in die allgemeine Politik der Unterdrückung passt. Seit 1948 versucht Israel, Organisationen und Personen zu kriminalisieren, die seine Verbrechen anprangern. Jeder Versuch, das Regime und die Besatzung, die uns unser Recht auf Selbstbestimmung verwehrt, anzufechten, wird mit Unterdrückungstaktiken beantwortet. Eine davon ist die Kriminalisierung von Studierendengruppen und politischen Parteien. Selbst das Tragen einer Fahne kann zu strafrechtlicher Verfolgung führen.

Aber die PFLP ist nicht irgendeine Partei oder Uni-Gruppe. (Ihrem militanten Arm werden Anschläge auf israelische Zi­vi­lis­t*in­nen zur Last gelegt, d. Red.). Stimmen Sie denn zu, dass es sich um eine Terrorgruppe handelt?

Die Palästinenser leben unter andauernder Militärbesatzung, unter einem Apartheidsregime und unter Siedlerkolonialismus. Nach internationalem Recht haben Menschen unter kolonialer Herrschaft das Recht, Widerstand zu leisten und ihr Recht auf Selbstbestimmung mit allen Mitteln auszuüben. Wir sprechen hier nicht von zwei gleichberechtigten Parteien, sondern von einem kolonisierten Gebiet und einem kolonisierten Volk. Israels Terroreinstufung von politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigt, wie institutionalisiert die Unterdrückung ist.

Neben Verbindungen zur PFLP wird Al-Haq beschuldigt, Lawfare oder juristische Kriegsführung zu betreiben, also den Rechtsweg zu missbrauchen, um Israel zu delegitimieren. Was ist Ihre Antwort darauf?

Israel war noch nie in der Lage, die Arbeit von Al-Haq rechtlich und mit Beweisen anzufechten. Einer der Gründe, warum wir jetzt kriminalisiert werden, ist die Einleitung von Ermittlungen des IStGH (zu möglichen Kriegsverbrechen beider Seiten in Israel und Palästina, d. Red.). Wir haben dem IStGH eine Dokumentation über Verbrechen gegen das palästinensische Volk vorgelegt.

Sie stützt sich auf Opferaussagen und unsere rechtliche Analyse orientiert sich am internationalen Rechtssystem, das für alle Menschen gilt, die Rechenschaft und Gerechtigkeit suchen. Der IStGH ist der Ansicht, dass es Grund zur Annahme gibt, dass potenzielle Kriegsverbrechen begangen worden sind. Es handelt sich also nicht um Lawfare, sondern um ein Bemühen um Rechenschaftspflicht und um die Anerkennung, dass Israel ungestraft Verbrechen gegen das palästinensische Volk begeht.

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