Frag Frank über Laborfleisch: Warum wir die Hyäne hassen

Kolumnist Arno Frank fragt, warum Menschen künstliches Fleisch verabscheuen, nicht aber das Töten von Tieren.

Laborfleisch Foto: dpa

Von ARNO FRANK

Rettet uns die Technik? Ja, logisch. Was denn sonst? Vernunft, Verzicht, Einschränkung? Die Rückkehr zur Natur? Die Wissenschaft hat uns reingeritten, sie wird uns auch wieder rausreiten. Womöglich wird sie uns in absehbarer Zeit sogar an eine anthropologische Schwelle tragen, wie wir sie zuletzt am Beginn unserer Existenz als Spezies überschritten haben.

Science-Fiction wie die Beeinflussung des Wetters oder umweltfreundliche Energiequellen sollen bei unserem kleinen Gedankenspiel keine Rolle spielen. Die Rede sei schlicht von: Fleisch. Die massenhafte Züchtung, Haltung und Aufzucht von Tieren, ohne die ein Steak oder eine Weißwurst nun einmal nicht zu haben ist, stellt uns vor zwei wesentliche Probleme.

Erstens ist unser Appetit auf Fleisch nach offiziellen Schätzungen verantwortlich für bis zu einem Viertel der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen. Ein Viertel. Käme, vergleichshalber, der Verkehr auf diesem Planeten komplett zum Erliegen, vom Mofa bis zum Kreuzfahrtschiff, würde nicht annähernd so viel CO2 eingespart.

Die Frikadelle schmeckt, alles andere ist uns wurscht

Wir wissen das alles. Ist uns wurscht. Dabei geht es hier nicht um etwas so Wesentliches wie Verkehr oder Energie. Es geht nur darum, dass die Frikadelle schmeckt. Mir auch.

Zweitens ist es kein geringes ethisches Problem. Möglicherweise kommt die Zeit, da wir uns fragen werden, wie »so etwas« möglich war. Sie wissen schon. Die fühlende Kreatur, ihr Leben in Qual, das Bolzenschussgerät. Der Fleischerhaken.

Vegane Ersatzprodukte? Sind Ersatzprodukte. Nur Fleisch ist Fleisch und die Frikadelle, vor allem die Knochensplitter darin, eine Erinnerung an »das Ereignis der Ereignisse in der Geschichte«, wie Roberto Calasso schreibt, nämlich der Abschied des Menschen vom Tier und seine Entwicklung zum Jäger. Die erfolgte, glaubt man neuesten Forschungen, wesentlich später als gedacht.

Der Übergang währte Jahrtausende und Aberjahrtausende, in denen wir Beeren mümmelnd, nicht ohne Neid beobachteten, was echte Jäger in der Dämmerung an der Wasserstelle so alles zuwege brachten – und uns darüber hermachten, was die Hyäne uns übriggelassen hatte. In allen Kulturen verabscheuen wir die Hyäne noch heute wie kaum ein anderes Tier, weil sie unser schmutziges Geheimnis kennt. Sie ist der Knochensplitter in unserer Frikadelle. Sie war unsere Lehrmeisterin.

Wir wissen nicht mehr, was ein Opfer bedeutet

Ursprünglich waren wir, wie die Hyänen, Aasfresser. Saugten das Mark aus den Knochen derer, die andere getötet hatten. Wurden erst durch diese tierischen Proteine, was wir sind. Wurden erst zu Carnivoren, als wir die knochenspaltende Kieferkraft der Hyäne mit dem Faustkeil und, später, die Schnellkraft der Raubkatze mit dem Speer zu imitieren imstande waren.

Faustkeil und Speer, das ist Technik. Zur Natur führt kein Weg zurück.

Der lange Weg aus ihr heraus war für Calasso »eine Ruhmestat und eine Schuld, ineinander verschlungen«, und wir waren uns dessen bewusst – daher war das rituelle Opfer so wesentlich. Heute wissen wir nicht einmal mehr, was ein Opfer überhaupt bedeutet. Während wir es vom geweihten Altar in die ruhmlosen Schlachthäuser abgedrängt haben, steigt unsere Schuld ins Unermessliche.

Wo waren wir? Ach ja, Technik.

Fleisch ohne Tötung erscheint uns widernatürlich

Fleisch gibt es jetzt auch aus dem Labor. Die Biotechnologie ist lange bekannt, mit ihrer Hilfe wurden Hauttransplantate für Schwerverbrannte gezüchtet. Es ist echtes Fleisch, kein albernes Ersatzprodukt. Tierisches Gewebe aus dem Bioreaktor, »kultiviertes Fleisch«, Rind, Huhn, Lachs, ganz egal, alles möglich. In Singapur sind »In-vitro-Burger« bereits zugelassen. Der Scheiß ist marktreif. Wären wir es auch, wir stünden jenseits der Wasserstelle und erstmals seit Jahrhunderttausenden wieder an einer anthropologischen Schwelle. Ein zweites »Ereignis der Ereignisse«.

Theoretisch hätten wir the real thing in Händen, auf dem Teller, ganz ohne Opfer, ohne Schuld – wäre da nicht dieser abgrundtiefe Ekel, der uns allein beim Gedanken daran erfasst, ökologisch saubere und ethisch lupenreine Wucherungen auf Basis pluripotenter Stammzellen zu verspeisen. Fleisch ohne Tötung erscheint uns frankensteinhaft und widernatürlich. Es ergibt einfach keinen Sinn.

Oder doch. In den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts zeigte der Zoo von Chicago in einem dunklen Winkel, hinter Glas und Gittern, »das gefährlichste Raubtier von allen«.

Das Glas war ein Spiegel.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°18 erschienen.

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