Verlegerin über feministische Krimis: „Eine gerechtere Welt ist möglich“

Die Hamburger Verlegerin Else Laudan hat ein Netzwerk für feministische Krimis mitgegründet. Ihr Anspruch ist, Konflikte auszutragen.

Else Laudan steht vor ihrem Verlag.

Will Unrecht sichtbar machen: Else Laudan vor ihrem Verlag Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Laudan, als Sie 1963 in Berlin geboren wurden, war Else kein typischer Name, oder?

Else Laudan: Nein. Und ich hieß tatsächlich auch nicht so. Else ist mein Kampfname. In meinem Teenagerleben gab es eine krasse Zäsur mit Schulwechsel. Zuvor war ich auf einem Berliner Elitegymnasium mit Latein und Altgriechisch. Ich war dort kreuzunglücklich, hatte keinen sozialen Kontext und wurde gemobbt. Ich habe mich nur in meinen Schmökern wohlgefühlt und nicht in der wirklichen Welt. Kurz bevor ich die Schule wechselte, sprach mich ein Kommilitone auf dem Schulhof an. Er war ein Outlaw, von den Leh­re­r:in­nen gehasst, von den Schü­le­r:in­nen bewundert, lebte im Heim und war sehr selbstbewusst. Er sagte zu mir: „Wenn du die Chance hast, neu anzufangen, dann reiß mal die Klappe auf. Dich wird nie jemand respektieren, wenn du immer versuchst, den anderen zu gefallen.“

Und dann haben Sie die Klappe aufgerissen?

Ich bin an die neue Schule gekommen und habe vom ersten Tag an versucht, laut zu sein. Vorlaut. Das hat mir den Spitznamen „die kluge Else“ eingebracht. Ich war hingerissen. Ich wollte eine Heldin sein, die vorausgeht. Else ist für mich der Name des Aufbruchs. Ich habe dann alles Mögliche ausprobiert, viel angefangen, vieles nicht fertig gemacht. Bis ich meine Nische gefunden habe.

Die Nische feministischer Krimis?

Ja, meine Mutter Frigga Haug hat das Ariadne-Programm Mitte der 80er gegründet. Da kamen aus englischen und amerikanischen Frauenverlagen plötzlich feministische Krimis. Wir haben alle gern Krimis gelesen, wie die meisten Frauen.

Frauen lesen gerne Krimis?

Ja, Kriminalromane werden zu 60 bis 70 Prozent von weiblichem Publikum gelesen. Friggas Vision war eine feministische Landnahme in einem Genre, in dem die Männer bis auf die eine strickende Dame völlig allein spielten. Das hat mich sofort gecatcht. Zuvor war ich wild entschlossen, nie etwas mit dem Verlag, mit dem ich ja aufgewachsen bin, zu tun zu haben. Das Krimi-Projekt Ariadne hat mich aber auf Anhieb überzeugt, und ich habe es später übernommen.

Warum Krimis?

Weil Krimis die radikalste Form der Gegenwartsliteratur sind. Sie erzählen vom Härtesten, von Gewalt. In einer populären, leicht verständlichen Form. Sie ermöglichen das Erzählen von unten, aus der weiblichen Perspektive. Damit haben wir bei Ariadne ja Erfahrung: Frauen als Handelnde, deren Lebensraum der Ort des Geschehens ist, als neue subversive Perspektive.

Also feministische Krimis als ein Erzählen von unten?

Im Patriarchat ist der sichere und saturierte Standpunkt immer weiß und männlich. In unserer Kultur fehlt eine Hälfte der Erzählung, die weibliche, fast völlig. Alle Menschen, die studieren, werden mit Klassikern, mit männlichen Weltsichten vollgestopft. Die literarischen Heroen sind männlich. Wir schaffen eine Literatur, in der Frauen diese Plätze einnehmen: die Heldin, die Anti-Heldin, die Ermittlerin.

Warum eignen sich Krimis dazu, politische Themen zu verhandeln?

Alle Verbrechen haben einen politischen Hintergrund, sage ich. Direkt oder indirekt. Die Pathologisierung des Verbrechens lenkt nur davon ab, was Verbrechen wirklich ist. Ein Verbrechen ist ein Konflikt. Konflikte drehen sich immer um Ressourcen und Macht. Jede Form von Gewalt wird ausgeübt, weil es um Herrschaft geht. Es gibt blutige Gewalt, aber auch subtilere Formen. Zum Beispiel, dass Menschen in erbärmlichen Verhältnissen leben oder sich verbiegen müssen. Feministische Krimis eint eine starke Pflicht zum Realismus.

Warum?

Damit das Unrecht sichtbar wird und wir erkennen können, was wir ändern müssen. Feministische Krimis verfolgen das Ziel, dass eine gerechtere Welt möglich ist, in der nicht einige wenige sich bereichern und andere ausbeuten und unterdrücken, sondern alle kooperieren.

Haben Sie diese Positionen von Ihrer Mutter, der Frauenrechtlerin, übernommen?

Nicht übernommen. Ich komme politisch woanders her. Meine Mutter ist glühende Marxistin, sie ist marxistische Feministin. Ich bin keine Marxistin, ich bin eine Leseratte und Marx spricht nicht mit mir. Wer mit mir spricht, sind die Gesellschaftstheoretiker Gramsci und Bourdieu.

Warum?

Weil sie für mich gut lesbar sind und kompromisslos in ihrer Kritik an jeder Form von Elite und Herrschaft. Beide gucken sich die Gesellschaft wirklich an. Meine Mutter hat mir mit vier Jahren Lesen beigebracht, weil sie nebenbei promoviert und habilitiert hat. Bücher waren meine Schutzzone und meine Art, die Welt kennenzulernen. Als Kind hat mich das American Indian Movement begeistert. Ich habe mich damit identifiziert, wie Native Americans tapfer, gemeinschaftlich und eins mit der Natur gegen grausame Unterdrückung gekämpft haben. Das war Teil meiner politischen Selbstfindung.

Wie sind Sie an diese Bücher gekommen?

Meine Eltern sind oft mit mir nach Ost-Berlin gefahren. Den Zwangsumtausch von 25 Mark durfte ich in den Buchhandlungen verballern. Dadurch bin ich an die Kinderschmöker der DDR-Literatur gekommen und hab’ versucht, mit einem Auslands-Abo eine indianische Zeitung zu lesen.

Sie sind mit 16 von der Schule geflogen, warum?

Ich habe versucht, eine Revolution anzuzetteln. Auf einer Wanderreise haben die Leh­re­r:in­nen Mist gebaut. Sie haben vollkommen unverhältnismäßig durchgegriffen und einen Schüler ohne Verwarnung nach Hause geschickt. Wir haben kurzerhand entschieden, alleine weiterzureisen. Ich wusste, dass ich gerade dabei war, mir meine Zukunft zu verbauen.

Das war Ihnen bewusst?

Ja, aber es musste sein. Bis zu diesem Konflikt war ich davon ausgegangen, dass ich Lehrerin werde. In den Konflikt war meine Lieblingslehrerin involviert und ich habe erlebt, wie sie all ihr Blühen und Leuchten verlor, weil sie sich in eine Durchsetzerin verwandeln und sich dem beugen musste, was die Herrschenden wollen. Da war mir klar: In diesem System werde ich meinen Beruf nicht suchen. Die nächsten zehn Jahre wusste ich nicht, was ich werde. Ich hab alles Mögliche ausprobiert.

Ihre Mutter hat Sie dann zu einem Studium motiviert?

Ja, sie hat mich überredet. Sie lehrte an der HWP, der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, die es heute nicht mehr gibt. Dort konnte man ohne Abitur eine Aufnahmeprüfung machen. Im Januar 1988 war ich in Berlin in einer Situation, in der es für mich nicht weiterging. Ich war krank. Meine Mutter war unglaublich für mich da und sagte: „Komm nach Hamburg, studier einfach und guck was draus wird.“ Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht bei meiner Mutter zu studieren, so wie ich mir auch vorgenommen hatte, nichts mit dem Verlag zu tun zu haben. BWL und VWL waren aber nichts für mich, ich hab dann doch Soziologie studiert, bei meiner Mutter und es war mir ein Fest.

Es ist auffallend, wie oft Ihre Mutter vorkommt.

Absolut! Sie ist ja eine schillernde Person mit gewaltigem Charisma. Unser Verhältnis hatte krasse Auf und Abs. Zwischen 16 und 24 habe ich nur das Nötigste mit ihr gesprochen. Wenn ich mal zum Essen hin musste, weil ich mich so lange nicht gemeldet hatte, oder wenn ich Geld brauchte. In meinen Vierzigern haben wir dann systematisch und heiter unsere gemeinsame Geschichte ergründet. Wir haben festgestellt, dass wir sie komplett unterschiedlich wahrgenommen hatten. Das waren innige Gespräche. Wir waren uns immer nah, weil sie mich wahnsinnig geliebt hat, aber es gab auch erbitterte Kämpfe. Ich hatte große Loyalitätskrisen und Abgrenzungsbedürfnisse.

In welchen Punkten grenzen Sie sich ab?

Ich möchte Konflikten nicht ausweichen, sondern in sie reingehen und sie lösen. Ich möchte nie gefügig sein. Und ich setze nicht auf Theorie. Ich setze auf das Kulturelle, auf Respekt, Vernetzung und Kommunikation mit dem Ziel, Gesellschaft aktiv gemeinsam zu machen.

Das Ariadne-Programm haben Sie von Ihrer Mutter übernommen. Das Netzwerk für feministische Krimiliteratur HerLand haben Sie dann selbst gegründet.

Mitgegründet! Das ist wichtig. Es war eine unglaublich bereichernde Erfahrung, mit Autorinnen aus verschiedenen Generationen dieses Netzwerk aufzubauen. Das hat uns alle so viel stärker gemacht und uns eine eigene Kultur ermöglicht, in der wir mit Exzellenzanspruch wirken können.

HerLand bezeichnet sich unter anderem als erfolgreich. Wie funktioniert Erfolg in einer literarischen Nische?

Erfolgreich ist unser Postulat gegen Bescheidenheit. Frauen sind zu lange bescheiden gewesen und sind heute noch oft zu bescheiden. Wir sind erfolgreich, weil wir charismatisch und aufrecht sind. Unser Erfolg ist nicht, ob wir auf einer Bestsellerliste stehen, sondern dass wir unsere Stärken zusammenlegen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Unser Erfolg ist der Ausbruch aus dem Konkurrenzprinzip.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.