Berater über Verschwörungsglaube: „Oft steckt dahinter Angst“

Tobias Meilicke berät Angehörige von Menschen, die an Verschwörungen glauben. Man solle mit ihnen über Gefühle statt Fakten sprechen, rät er.

Zwei als Stormtrooper verkleidete Personen formen mit ihren Händen ein Herz

Mit Querdenkern über Gefühle statt über Fakten sprechen? Foto: Tim Carmele/imago images

taz: Herr Meilicke, die Beratungsstelle Veritas berät Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen?

Tobias Meilicke: Das ist ganz unterschiedlich. Generell lässt sich sagen, dass zu uns Menschen kommen, deren Freunde, Partner, Kinder oder Eltern sich die Welt mit Verschwörungen erklären. Das können abstraktere Dinge sein, wie dass in Deutschland keine Demokratie mehr herrsche. Aber auch ganz konkrete Fälle, in denen Familien darüber streiten, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken sollen, weil es dort eine Testpflicht gibt. Oder extremere Fälle, in denen ein Partner auswandern möchte, weil sich Deutschland im Krieg befinde. Oder Eltern, die ihren Kindern mit Suizid drohen, wenn sie sich impfen ließen.

ist Politikwissenschaftler, systemischer Berater und Fachkraft zum Schutzauftrag von Kindeswohlgefährdung. Nach sechs Jahren im Bereich der Prävention und Beratung in Sachen religiös begründeter Extremismus leitet er seit 2021 Veritas, die Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen in Berlin.

Veritas wird finanziert durch das Land Berlin und durch Spenden. Mehr Informationen unter: veritas-berlin.de

Was raten Sie diesen Menschen?

Die Fälle sind natürlich individuell, aber grundsätzlich raten wir Angehörigen immer davon ab, zu versuchen, über Fakten ins Gespräch zu kommen. Denn das bringt in der Regel nichts. Wenn jemand sein komplettes Weltbild auf Verschwörungen aufgebaut hat, ist das auch stark an sein persönliches Selbstbild geknüpft. In dem Augenblick, wo Nahestehende dann mit ihrer recherchierten Faktenlage auf diese Person zugehen, fühlt diese sich sehr wahrscheinlich angegriffen. Typisch für Verschwörungserzähler ist dann, dass sie auch diese Fakten für eine Verschwörung halten.

Wenn Fakten und Diskussionen nicht helfen, was kann ich dann als An­ge­hö­ri­ge:r tun?

Argumentationen auf Gefühlsebene können hilfreich sein, denn meistens steckt hinter Verschwörungserzählungen ein Gefühl der Angst. Das wahrzunehmen und anzusprechen ist total wichtig. Beispielsweise beim Thema Impfen sollte man fragen: „Wieso hast du so Angst davor, dass ich mich impfen lasse? Hast du wirklich Angst, dass ich dadurch sterbe? Wie können wir beide mit dieser Sorge umgehen?“ Viele Studien haben gezeigt, dass Menschen sich nicht aufgrund von rationalen Argumenten verändern, sondern aufgrund von emotionalen Erfahrungen. Wenn man also Impulse für mögliche Distanzierungen setzen möchte, sollte man über Gefühle sprechen, nicht über Fakten.

Manche Menschen scheinen in ihren Verschwörungserzählungen so tief drinzustecken, dass man sich kaum vorstellen kann, sie durch emotionale Gespräche zu überzeugen. Raten Sie in solchen Situationen auch, den Kontakt abzubrechen?

Grundsätzlich nein. Wenn Personen so belastet sind, dass sie einen Kontakt nicht mehr aushalten, dann sprechen wir natürlich darüber. Aber wir gucken immer erst, ob es nicht auch andere Wege gibt als den kompletten Kontaktabbruch. Zum Beispiel Briefe schrei­ben. Dadurch zeige ich einer Person, dass sie mir wichtig ist, kann meine Gefühle kommunizieren und gleichzeitig eine gewisse Distanz schaffen.

Das heißt, es ist auch ein Ziel Ihrer Beratungsstelle, dass Angehörige mit Ver­schwö­rungs­er­zäh­le­r:in­nen in Kontakt bleiben?

Der erste Erfolg ist für uns, wenn Menschen, die sich an uns wenden, weniger belastet sind mit dem Thema. Der zweite, wenn Angehörige es schaffen Distanzierungsimpulse zu setzen. Und ja, wir wollen durch die Beratung auch erreichen, dass Menschen miteinander in Kontakt bleiben.

Wieso ist das so wichtig?

Diese Menschen sind eine wichtige Brücke, falls die Verschwörungsgläubigen doch mal ins Zweifeln kommen. Wir wissen aus der Ausstiegsarbeit im Bereich Rechtsextremismus und Islamismus, dass so ein Prozess immer zwei Ebenen hat: die ideologische und die soziale. Und wenn sie keinen Rückhalt mehr in ihrem alten Leben haben, dann neigen Menschen eher dazu, in ihrem verschwörungsgläubigen Umfeld zu bleiben, selbst dann wenn sie dem Gedankengut gar nicht mehr anhängen. Und hinzu kommt natürlich, dass viele Angehörige den Kontakt auch gar nicht abbrechen wollen. Die Menschen sind ja nicht nur Verschwörungsgläubige, sondern auch eine liebevolle Mutter oder ein Partner.

Wie kam es dazu, dass Sie die Beratungsstelle gegründet haben?

Ich habe sechs Jahre lang in der Islamismusprävention gearbeitet. Und im letzten Jahr habe ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen festgestellt, dass es im Netz nicht nur eine Vielzahl von Menschen gibt, die Verschwörungen verbreiten, sondern auch viele, die nicht mehr wissen, wie sie mit ihren Verwandten oder Freunden umgehen sollen. Da dachten wir, dass es ein Angebot braucht, dass diese Menschen abholt und unterstützt.

Und nehmen es viele in Anspruch?

Momentan bekommen wir zwischen 60 und 70 Anfragen pro Monat. Eine Anzahl, der wir nicht nachkommen können. Gerade stehen 100 Leute auf der Warteliste, mit denen wir noch nicht mal gesprochen haben. Wir werden es auch in diesem Jahr nicht mehr schaffen, alle Anfragen abzuarbeiten. Und das ist gefährlich, denn wir wissen aus anderen Bereichen, dass es immer schwieriger wird, Impulse zu setzen, je später man in den Radikalisierungsprozess eingreift. Insofern ist jede Woche und jeder Monat, den die Menschen warten müssen, zu viel. Und momentan haben wir eine Wartezeit von circa 10 Wochen.

Die Beratung ist sicherlich auch nicht mit einem Gespräch erledigt?

Genau, unser Beratungsangebot ist ein psychosoziales, das sich über einen mittel- und langfristigen Zeitraum erstreckt. Wenn sich unsere Klienten für eine Beratung entscheiden, kann das schon einmal sechs bis acht Sitzungen in Anspruch nehmen. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die sich Verschwörungserzählungen zugewandt haben, das auch nicht von heute auf morgen gemacht haben. Und so wird auch das Umfeld nicht von heute auf morgen lernen, wie man damit umgeht.

Verschwörungserzählungen gibt es nicht erst seit Corona. Warum reden wir in den letzten Monaten viel mehr über das Thema?

Weil Verschwörungserzählungen sichtbarer geworden sind. Wenn wir uns die Studienlage zur Verbreitung angucken, sehen wir, dass sie in der deutschen Bevölkerung eigentlich immer konstant ist. Je nach Studie hängen zwischen 10 und 30 Prozent der Deutschen Verschwörungserzählungen an. Wenn es um konkrete Verschwörungen geht, wird der Prozentsatz ein bisschen kleiner. Wenn es um Verschwörungen im Allgemeinen geht, also um Mächte, die im Hintergrund agieren und die Welt beeinflussen, dann ist der Prozentsatz höher. Das war vor Corona so und ist jetzt auch so.

Der Unterschied ist, dass wir uns jetzt in der Pandemie stärker positionieren müssen. Wenn vorher Ihr Onkel geglaubt hat, dass die Bush-Regierung oder der Mossad hinter den Anschlägen des 11. September steckt, dann hatte das relativ wenige Berührungspunkte mit Ihrem täglichen Alltag. Während der Pandemie müssen wir uns aber ständig positionieren zu den Maßnahmen: Maske tragen oder nicht? Lassen wir uns impfen? Schicken wir unsere Kinder in die Schule? Durch diese ständigen Positionierungen ist sichtbarer geworden, was Menschen glauben oder eben nicht.

Glauben Sie, dass Verschwörungstheorien wieder eine kleinere Rolle in unserer Gesellschaft spielen werden, wenn die Pandemie ein Ende hat?

Nein, selbst wenn Corona verschwindet, werden Verschwörungstheorien nicht aufhören. Wir sehen jetzt schon verstärkt eine thematische Verschiebung hin zum Thema Klimawandel. Vor allem im Wahlkampf konnte man das gut beobachten, mit einem Fokus auf die Grünen, die den Klimawandel vermeintlich erfunden hätten. Je stärker die neue Regierung Maßnahmen im Kontext des Klimawandels beschließen wird, desto stärker werden wir dann auch wieder erleben, dass Verschwörungserzähler auf die Straße gehen.

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