Sexuelle Gewalt im Eishockey: Dem Erfolg untergeordnet

Im Missbrauchsfall des US-Eishockeyprofis Kyle Beach haben viele versagt – die Chicago Blackhawks, die Mitspieler, die NHL und sogar die Gewerkschaft.

Nur Beine und Schläger sind bei einem Bully zu sehen

Harter Sport: Verletzungen jeglicher Art werden im Eishokey häufig ignoriert Foto: Chai v. d. Laage/imago

Die National Hockey League ist die beste Eishockey-Liga der Welt, ein global operierendes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als viereinhalb Milliarden Euro. Kyle Beach ist ein Eishockey-Profi, der in der drittklassigen deutschen Oberliga für den EHC Erfurt spielt. Der Kanadier dürfte als einer von nur zwei ausländischen Profis im Kader kaum mehr als einen niedrigen vierstelligen Betrag monatlich verdienen.

Und doch hat der im fernen Thüringen tätige Eishockeyprofi Beach dafür gesorgt, dass die mächtige NHL in schwere Turbulenzen geraten ist. Einige der prominentesten Funktionäre mussten ihren Hut nehmen, die Kultur der ganzen Liga wird hinterfragt, und NHL-Boss Gary Bettman gab zu „erschüttert und entsetzt“ zu sein und entschuldigte sich umfassend und im Namen der Liga bei Kyle Beach.

Was war passiert? Im Mai strengte Beach, damals noch anonym, ein Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs gegen die Chicago Blackhawks an. 2010, als Nachwuchsprofi des NHL-Klubs, seien er und ein weiterer Spieler von Brad Aldrich, der damals die Scouting-Videos für die Blackhawks betreute, sexuell belästigt, missbraucht, körperlich bedroht und emotional und finanziell unter Druck gesetzt worden.

Der Klub habe die Anschuldigungen verharmlost und vertuscht. Aldrichs Vertrag sei zwar nicht verlängert worden, aber der Trainer hätte seinen Stanley-Cup-Bonus bekommen und vor allem weiter arbeiten können, darunter für den US-Eishockeyverband, zwei Universitäten, wo weitere Übergriffe stattfanden, und eine Highschool, bevor er 2013 schließlich verhaftet wurde, sich schuldig bekannte wegen einer sexuellen Beziehung zu einem Minderjährigen und neun Monate absaß.

„Mein Leben wurde auf den Kopf gestellt“

Eine Untersuchung, die von einer Anwaltskanzlei durchgeführt und im Oktober bekannt wurde, bestätigt die Vorwürfe vollumfänglich. Vor allem die Blackhawks, einer der traditionsreichsten Klubs der NHL, sind seitdem im Visier der Kritiker. Als sich Beach mit seinen Vorwürfen an die Vereinsleitung wandte, war die Mannschaft gerade mitten in den Playoffs und gewann schließlich auch den begehrten Stanley Cup. Dem Erfolg wurde alles untergeordnet, selbst die Gesundheit eines hoffnungsvollen Nachwuchstalents wie Beach, der bis dahin einen steilen Aufstieg hingelegt hatte.

Beach war 2008 an elfter Stelle des Drafts ausgewählt worden, die Blackhawks setzten große Hoffnungen in den 1,93 Meter großen Stürmer, der eine vielversprechende Kombination aus technischer Finesse und körperlicher Härte aufs Eis brachte. Zum Zeitpunkt des Missbrauchs schien er auf dem Sprung ins NHL-Team der Blackhawks, schlußendlich durfte er nie für Chicago aufs Eis. „Mein Leben wurde auf den Kopf gestellt“, sagte Beach kurz nachdem vergangene Woche bekannt wurde, dass er geklagt hatte, in einem erschütternden Interview.

Nach dem Missbrauch begann ein langer, von Depressionen und Drogenmissbrauch geprägter sportlicher Abstieg für Beach, der ihn nach Österreich, wo er 2015 mit Salzburg Meister wurde, Ungarn und schließlich in die dritte deutsche Liga führte. „Ich hatte alles zehn, elf Jahre lang begraben und es hat mich von innen her zerstört.“

Die ersten Verantwortlichen haben Konsequenzen gezogen. Zuerst trat Jon Bowman, der langjährige Manager der Blackhawks, von seinem Amt zurück. Ihm folgte Joel Quenneville, der seinen Job als Chefcoach der Florida Panthers aufgab. Quenneville war Trainer Blackhawks, als sie 2010 den Titel gewannen, der erste von drei Stanley Cups, die er mit Chicago holte. Dass er zusammen mit Bowman und dem Rest der Blackhawks-Führungsriege den Missbrauch vertuschte, bringt ein Denkmal zum Einsturz: Nur der legendäre Scotty Bowman hat mehr NHL-Spiele als Trainer gewonnen wie Quenneville, der bis vergangene Woche auf direktem Weg in die Eishockey-Hall of Fame war.

Am Pranger steht aber auch die gesamte NHL und ein veralteter Ehrenkodex, der den Erfolg über alles stellt. Dass die NHL die Blackhawks bislang nur mit einer Strafzahlung von zwei Millionen Dollar belegt hat, wird allgemein als lächerlich eingestuft: Schon für Verstöße gegen die Gehaltsobergrenze hat es härtere Strafen gegeben. Auch die NHLPA steht in der Kritik: Beach hatte sich damals an die Spielergewerkschaft gewandt, aber die hatte nicht reagiert. Ein „schwerwiegendes Versagen“, wie NHLPA-Boss Donald Fehr in einer Entschuldigung zugeben musste.

Noch schlimmer: Anonyme Quellen haben bestätigt, dass die Vorfälle damals dem gesamten Team bekannt waren, aber niemand sprang Beach zur Seite. Stattdessen musste er während des Trainings und in Spielen homophobe Witze ertragen. Wie die NHL in den kommenden Wochen mit Kyle Beach und seinen Anschuldigungen umgeht, wird zeigen, ob eine neue Kultur im Harte-Männer-Sport Eishockey möglich ist.

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