Falsche Rehabilitierung: Nicht noch ein Denkmal!

Eine Verfilmung von Robert Harris Roman „Munich“ zeigt den englischen Premierminister Neville Chamberlain als klugen Mann. Dabei setzte er auf Hitler.

Ein Mann steht vor einem Flugzeug und hält eine Rede

Jeremy Irons als Chamberlain Foto: Frederic Batier/Netflix

„Remember, remember the Fifth of November.“ Jedes britische Schulkind kennt diesen Reim. Am 5. November 1605 wurde der katholische Verschwörer Guy Fawkes bei dem Versuch festgenommen, das House of Lords in die Luft zu jagen. Bis heute verbrennen die Briten deswegen routiniert am 5. November Fawkes-Puppen auf großen Scheiterhaufen. Wer diese „Bonfire night“ nicht im Nieselregen mit viel Alkohol erleben will, kann sich stattdessen Filme über Guy Fawkes ansehen. Sie sorgen dafür, dass er der Landesverräter Nummer eins bleibt.

Andere Persönlichkeiten der britischen Geschichte erleben momentan jedoch starke Popularitätsschwankungen. Wie in Deutschland ist auch in Großbritannien die damnatio memoriae in vollem Gange, und potthässliche Politikerdenkmäler werden in regelmäßigen Abständen mit Farbe beworfen.

Umso überraschender ist es, dass es jetzt plötzlich eine unerwartete Rehabilitierung gibt. Bei dem Auserwählten handelt es sich um Premierminister Neville Chamberlain (1869–1940). Bisher galt seine Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler als allgemein anerkanntes Desaster. Doch der Bestsellerautor Robert Harris vertritt eine andere Meinung. Sein Roman „Munich“ ist jetzt verfilmt worden.

Denken wie ein Geschäftsmann

Es ist ein künstlerisch durchaus beeindruckender Wurf des Regisseurs Christian Schwochow mit wunderbaren Bildern von Frank Lamm. Der Film hat nur einen einzigen Fehler: Er erzählt die falsche Geschichte.

1938 war ein gutes Jahr für Hitler. Im März „schloss“ er dem Deutschen Reich sein Heimatland Österreich an. Als nächstes plante er die „Zerschlagung“ der Tschechoslowakei. Neville Chamberlain hatte kein Problem mit dem „Anschluss“ Österreichs und er war auch bereit, das Sudetenland für Hitler zu opfern.

Chamberlain kam aus einer wohlhabenden Politikerfamilie und hatte lange im Schatten seines Halbbruders, des Außenministers Austen Chamberlain gestanden. Neville hielt sich für einen sehr viel begnadeteren Außenpolitiker, und als er dann 1937 endlich Premierminister wurde, glaubte er ernsthaft, Diktatoren wie Mussolini und Hitler zähmen zu können. Ihre Regime erschienen ihm zwar etwas unappetitlich, aber Faschismus war in seinen Augen immer noch besser als Kommunismus.

Tatsächlich dachte er in erster Linie wie ein guter Geschäftsmann. Die bolschewistische Unterwanderung des britischen Empires und Chinas stellte eine akute ­Bedrohung britischer Handelsinteressen dar und das musste man bekämpfen. Eine Annäherung an die Sowjetunion – wie sein konser­vativer Widersacher Churchill es forderte, um die Nazis zu bekämpfen – kam für ihn daher nicht in Frage. Chamberlain setzte lieber auf Hitler.

Akute Selbstüberschätzung

Robert Harris wirft trotzdem einen überraschend milden Blick auf diesen irregeleiteten Premierminister. Sein Chamberlain wird von Jeremy Irons als ein kluger Mann gespielt, der im Herbst 1938 einen Krieg vermeiden will und Zeit gewinnen möchte, um Großbritanniens Luftwaffe aufzubauen. Dass die Nationalsozialisten dank des Münchner Abkommens ebenfalls Zeit gewannen und sich das beträchtliche tschechische Waffenarsenal unter den Nagel reißen konnten, scheint Harris nicht zu interessieren.

Der reale, an akuter Selbstüberschätzung leidende Chamberlain glaubte übrigens wirklich, mit dem Münchner Abkommen die Welt gerettet zu haben. Fast alle britischen Zeitungen teilten diesen Irrglauben und feierten ihren Premier als „Retter der europäischen ­Zivilisation“. Nur politische und jüdische Emigranten erlebten das Münchner Abkommen etwas anders.

Friedrich Torberg, der 1938 versuchte, einen Freund aus dem KZ Dachau zu befreien, schrieb an einen Journalisten: „Ich bitte Sie, mir möglichst kurz und leicht faßlich zu erklären, wie es möglich ist, daß 20 km von Dachau entfernt die europäische Zivilisation gerettet werden konnte. Ich versteh das nicht.“ Es gibt viele Gründe, warum man Chamberlain nie ein Denkmal in Westminster errichtet hat. Für ihn ist wirklich kein Platz mehr.

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