Konditorin über Kuchen und Torten: „Konditoren sind systemrelevant“

Bettina Schliephake-Burchardt ist Jurorin der Fernsehshow „Das große Backen“. Ein Gespräch über Backhandwerk, Tortenkunst und das süße Leben.

Eine Frau in schwarzer Kochkleidung vor einer beigen Wand

„Ich könnte nie sagen: Ich verzichte komplett auf Süßspeisen“, sagt Bettina Schliephake-Burchardt Foto: Elfriede Liebenow

Wir treffen uns in ihrem Elternhaus. Volksdorf, Hamburg, schönstes Villenviertel. Fast ländlich mutet es an hier: Ein paar Meter weiter ist man schon in Schleswig-Holstein. Bettina Schliep­hake-Burchardt wohnt, wie man so schön sagt, gediegen – und bittet in ein großes, mit Teppich ausgelegtes Wohnzimmer, dessen Sideboard eine große Spirituosenauswahl ziert. Für die ist es aber noch zu früh: Es gibt Kaffee, Wasser und, obwohl Nachmittag, nichts Süßes. Hätte ich es womöglich selbst mitbringen und von der Meisterin bewerten lassen sollen? Am Schluss empfiehlt sie ein Franzbrötchen am Hauptbahnhof. Das sei das Beste, was man sich in Hamburg holen könne.

taz am wochenende: Frau Schliep­hake-Burchardt, Sie wirken beim Tortenbewerten im Fernsehen sehr selbstsicher, manchmal fast streng. Sind Sie auch im echten Leben so?

Bettina Schliephake-Burchardt: Ich musste das Medium erst mal verstehen. Eigentlich probiere ich immer, zu jedem freundlich zu sein. Immer nette Seiten zu finden. Bis ich gemerkt habe, dass man im Fernsehen Dinge benennen muss. Wenn da jemand eine Falte in die Torte gemacht hat, dann muss man sagen: Da ist eine Falte. Damit der Zuschauer auch sieht, dass da eine Falte ist.

Sie sind in der Jury die Expertin für die optische Gestaltung der Gebäcke. Vor fast 30 Jahren haben Sie einen Betrieb für Tortendekoration gegründet. Wie kam ’s?

Durch Zufall. Motivtorten gab es damals ja nur in Großbritannien und den USA, ich habe da fast Pionierarbeit geleistet. Nach der Schule machte ich eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, dann zur Konditorin. Eine Lehrerin auf der Sprachenschule war Engländerin. Sie heiratete 1993 und fragte mich, ob ich ihr eine Hochzeits­torte backen kann. Und meinte dann im Nebensatz: Aber nicht so eine langweilige deutsche. Sie brachte mir ein Buch über Motivtorten mit. Das war ein Erweckungserlebnis.

Warum waren die deutschen Torten denn so langweilig?

Jeder kennt klassische Sahnetorten – so wie ich auch, aus der Lehre damals. Mit Marzipanrosen drauf, zur Hochzeit vielleicht noch ein Plastikbrautpaar. Das war der Standard bis vor 15 Jahren. Englische und amerikanische Motivtorten dagegen sind mit Fondant eingedeckt: einer Zuckermasse, flexibel wie Marzipan, aber weiß. Damit kann man alles modellieren, Blumen, Figuren, Formen. In Amerika ist auch das Bewusstsein ganz anders: Keine Party ohne Torte. Dort kriegt man in jedem Supermarkt welche. In Hollywood-Filmen tauchen ständig Torten auf. Als ich damals hier angefangen habe, lautete die Frage oft: Warum braucht man überhaupt eine Hochzeitstorte? Und da hat man die erst recht nicht individuell abgestimmt: Passt das von den Farben? Mag ich gerne Sonnenblumen?

Wie kamen Ihre Torten damals an?

Die einen fanden es super, die anderen total bekloppt. Ähnlich verhielt es sich mit meinen Kollegen: Es gab Konditoren, die fanden das super. Und es gab welche, die meinten: Das geht gar nicht, das macht man nicht.

Warum das?

Die Frau

Bettina Schliephake-Burchardt wurde 1974 in Miraflores, Peru, geboren und wuchs im Hamburger Stadtteil Volksdorf auf. Sie lernte erst Fremdsprachenkorrespondentin und machte dann von 1989 bis 1992 eine Ausbildung zur Konditorin. 1993 machte sie sich mit ihrer Firma „Betty’s Sugar Dreams“ selbstständig, die Motivtorten herstellt. Auf ihrem Youtube-Kanal stellt sie seit 2016 auch Anleitungen und Tortenrezepte vor.

Die Show

Seit 2015 ist Schliephake-Burchardt festes Jurymitglied der Sat1-Show “Das große Backen“, in der zehn Hob­by­bä­cke­r:in­nen um die Wette backen. Die Sendung basiert auf dem britischen Vorbild „The Great British Bake Off“. Am 31. Oktober um 17.30 Uhr ist die erste Folge der neunten Staffel zu sehen.

Man hat ja Traditionen. Gerade im Handwerk. Und wenn dann eine Frau Mitte zwanzig ankommt, die noch nicht mal einen Meister hat und sagt: „So, ich mach das jetzt anders als ihr“ – da haben viele erst mal dagegen angekämpft. Ich glaube, das ist heute nicht mehr so. Aber manchmal muss man den Leuten eben klarmachen, dass es auch was anderes gibt. Dass man mal radikal sein und was Neues ausprobieren muss.

Bevor man so eine aufwendig design­te Torte bestellt, gibt es oft eine „Tortenbesprechung“. Das klingt fast wie eine Therapiesitzung.

Eine dreistöckige Hochzeitstorte liegt gerne mal bei 400, 500 Euro. Da ist es ein selbstverständlicher Service, dass man sich vorher zusammen hinsetzt und eine Beratung macht. Die dauert fast eine Stunde, man spricht die Geschmacksrichtungen durch, kostet Proben, macht Skizzen. Für mich war das immer ein High-End-Produkt, das auch eine High-End-Beratung verdient hat. Man heiratet ja hoffentlich nicht so häufig.

Welche Torte war die teuerste, die Sie gebacken haben?

Eine sechs- oder siebenstöckige Hochzeits­torte mit knapp hundert handmodellierten Rosen, kaskadenförmig, für einen Hamburger Fußballspieler. Da ist man dann bei 2.000 bis 3.000 Euro. Dauert auch locker eine Woche.

Und die ungewöhnlichste?

Ich hatte ein Brautpaar, wo er totaler E-Lok-Fan war. Da habe ich eine E-Lok auf die Torte modelliert und die beiden saßen als kleine Figuren da drauf, und ein Tunnel führte in die Torte rein. Es gab auch mal Rollenspieler, bei denen ich Sumpfdrachen hinter den Rosenblättern versteckt habe. Sah zunächst aus wie eine klassische Hochzeitstorte, aber wenn man näher hinschaute, sah man die ganzen Fantasy-Motive. So was macht mir Spaß. Ich wollte immer Geschichten erzählen mit meinen Torten.

Ist Konditorei eine Kunst?

Absolut. Man muss ein Gefühl haben für Formen und Farben, man muss gestalten können. Es soll anschaubar sein. Schaustücke aus Zucker zum Beispiel sind ja unsere High-End-Produkte – das, was Konditoren als Meisterarbeiten machen. Das sieht man heute leider viel zu selten. Und Handwerk und die damit verbundene Handarbeit hat auch ihren Preis. Das Tolle am „großen Backen“ ist, dass wir dort genau solche Kunstwerke zeigen dürfen. Deswegen mag ich die Sendung so.

Sind Ihnen solche Kunstwerke auch schon kaputtgegangen – so wie manchen Kan­di­da­t:in­nen beim „großen Backen“?

Beim Ausliefern einer Hochzeitstorte nahm mir mal jemand die Vorfahrt. Ich bremste, um ihm nicht reinzufahren – danach hatte ich bloß keine Hochzeits­torte mehr. Dann gab’s halt Tiefkühl­torten aus dem Supermarkt und ich habe dem Brautpaar nichts berechnet. Sie nahmen es recht entspannt. Und ich finde, man muss immer sagen dürfen: Ich kann das nicht. Oder: Mir ist was schiefgegangen. Wenn man seine Fehler eingesteht, ist auch eine zerstörte Hochzeitstorte kein Weltuntergang.

Sie sind ausgebildete Schokoladen-Sommelière. Können Sie noch so etwas Schnödes wie Milka essen?

Ich bin ohnehin eher der Kinderschokoladen-Typ. Aber im Ernst: Man schmeckt schon die Unterschiede. Es gibt Schokoladen, die ich jetzt nicht mehr esse. Die habe ich wahrscheinlich vorher auch schon nicht gegessen. Man schmeckt, dass es nur Zucker ist.

Was ändert sich, wenn man die Schokolade nicht nur isst, sondern damit bäckt?

Solche Schokoladen verbäckt man nicht, daraus werden Pralinen hergestellt. Aber Schokolade ist allgemein „nicht ohne“. Jeder kennt das: Wenn man eine Schokolade liegen lässt und die warm wird und dann wieder erkaltet, dann hat sie so einen grauen Film. Das ist kein Schimmel, sondern ausgetretene Kakaobutter. Wenn ich was aus Schokolade formen möchte, muss ich sie auch erwärmen und wieder abkühlen lassen – aber so, dass die Kakaobutter sich nicht trennt. Sie soll ja einen schönen Glanz haben und knackig sein. Hier spricht man vom Temperieren. Man muss dabei ganz genau auf die Temperatur der Schokolade achten – gar nicht so einfach, wenn man es noch nie gemacht hat.

Warum ist es Ihnen wichtig, so was ins Fernsehen zu bringen?

Ich will den Spaß am Backen zeigen. Ganz viele Leute haben ja Angst zu ­backen. Aber man muss ja nicht un­bedingt mit einer Hochzeitstorte ­anfangen. Der Vorteil ist: Eine Torte oder ein Kuchen wird gegessen, wenn er nicht gerade verbrannt ist. Selbst wenn der jetzt nicht hundertprozentig aussieht. Wenn man vor der Tür steht und sagt: „Ich hab dir einen Kuchen ­gebacken“, da antwortet ja kein Mensch: „Da ist eine Falte drin.“ Ich kenne keinen, der sich bei Kuchen nicht freut. Und man bekommt in fünf Jahren nicht ­gesagt: „Übrigens, ich hab da noch was im Keller, was du mir mal gebastelt hast.“

Die gegenteilige Theorie wäre: Man guckt Shows wie „Das große Backen“, um mit den Augen zu essen. Um gerade nicht zu backen.

Wir haben eine treue Fangemeinde, in der viele die Rezepte der letzten Folge backen – und dann beim Gucken den Kuchen verkosten. Damit sie auch was zu essen haben und nicht nur uns zuschauen müssen. Die Sendung animiert viele Menschen zum Backen. Backen entschleunigt übrigens sehr. Kochen ist für mich etwas, das man schnell macht; wenn man Hunger hat. Fürs Backen braucht man Zeit. Slow Food.

Aber auch Ihre Sendung wirkt oft sehr entschleunigend. Slow TV?

Ich glaube vor allem, wir machen gutes Fernsehen. Weil wir wenig provozieren. Ja, bei uns funktionieren manchmal Torten nicht. Aber wir führen die Kandidatinnen und Kandidaten nicht vor, sondern versuchen das Ganze positiv aufzufangen.

Die Spitzenküche gilt noch immer als männerdominiert. Ist das in der gehobenen Konditorei ähnlich?

Momentan schon noch. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie viele weibliche Obermeister es außer mir in Deutschland gibt. Aber die Auszubildenden sind fast nur noch weiblich. Das hat auch was damit zu tun, dass Konditor und Bäcker nicht mehr ganz so körperliche Berufe sind. Als ich gelernt habe, vor 30 Jahren, gab es noch Fünfzig-Kilo-Säcke, die man schleppen musste.

Backen Frauen denn anders als Männer?

Ich glaube, Frauen kommen eher über das Gestalterische: Torten dekorieren, ein bisschen Glitzer mit rein. Männer gehen häufig eher über die Geschmacksschiene.

In den Boulevardmedien waren kürzlich viele Artikel darüber zu lesen, dass Sie während der Corona­pandemie 30 Kilo abgenommen haben. Fühlten Sie sich vorher unwohl?

Klar merkte ich irgendwann: Die Bewegungen werden schwerer. Und ja, es geht mir jetzt besser. Das will ich gar nicht leugnen. Aber ich könnte jetzt zum Beispiel nie sagen: Ich verzichte komplett auf Süßspeisen. Dafür esse ich viel zu gerne. Es gibt ja auch Leute, die nicht gerne essen. Aber ich glaub einfach: Leute, die gerne Kuchen essen, sind nette Menschen. Kuchen ist was Besonderes, was anderes als eine warme Mahlzeit oder ein Salat. Den braucht man nicht zum Leben, er gibt uns keine Vitamine oder Mineralstoffe. Der ist halt einfach Spaß.

Wie sehr müssen Sie als Konditorin und Backjurorin denn Ihre Versuchung im Zaum halten?

Wer mit Nahrungsmitteln zu tun hat und seinen Job liebt, ist immer am Probieren. Ich sehe das bei Köchen, ich sehe das bei Konditoren. Auch einfach, um zu gucken: Was machen die Kollegen? Sonst wird es lieblos. Das ist bei fast allen in der Branche so, dass sie dann ab und an mal Probleme haben mit dem Gewicht. Aber ich finde das auch nicht schlimm.

Ist die Welt heute durchgestylter als früher?

Ja, sehr. Durch Social Media ist die Welt optischer geworden. Trends haben eine viel größere Macht. Und natürlich auch durch TV-Sendungen, gerade bei Hochzeiten. Die sagen einem dann: Das musst du haben, das muss dabei sein. Und dann muss tatsächlich auch die Hochzeitstorte durchgestylt sein.

Besteht dabei nicht die Gefahr, oberflächlich zu werden? Dass auch Torten irgendwie nur noch Fake sind?

Viele Leute bekommen richtig Komplexe: Bei Instagram sieht man die tollsten Torten ohne Fehler. Aber die meisten davon sind über Tage hinweg entstanden! Wenn man – wie in unserer Sendung – probiert, in zwei Stunden so eine Torte makellos hinzukriegen, dann kann das nicht funk­tio­nieren. Trotzdem soll sie möglichst fehlerfrei und gut sein. Da setzen wir dann an und sagen: Manche Fehler können wir akzeptieren, weil es in der Zeit gar nicht anders machbar ist. Ich habe mittlerweile übrigens den größten Respekt vor Influencern. Aber ich persönlich poste oft nur, wenn mir auch gerade danach ist.

Welche Trends gibt es aktuell im Gebäckmarkt?

Ich glaube, es wird noch viel mehr Dinge im To-go- und Snack-Bereich geben. Sieht man ja schon bei den Bäckern, da kriegt man mittlerweile auch Salate. Mir fehlt da noch was bei den Konditoren. Und ich hoffe darauf, dass die Hochzeitstorten wieder etwas handwerklicher werden. Gerade gibt es viele naked cakes: Tortenböden auseinandergeschnitten, mit Buttercreme gefüllt, Früchte und echte Blumen drauf. Noch nicht mal eingestrichen. Das sieht vielleicht auf einem Foto schön aus.

Was soll es für Konditoren-Snacks ­geben? Windbeutel to go?

Da ist das Problem: Das schmiert. Pies finde ich gerade total spannend. Da kann man vieles auf die deutsche Kultur übertragen. Ich finde es schade, wenn alles immer so direkt amerikanisiert wird. Man kann auch ganz gut einen deutschen Weg damit finden. Ich wünsche mir manchmal mehr Besinnen auf die guten Traditionen, die wir hierzulande haben.

Was heißt deutsche Traditionen? Sie haben ja selbst amerikanische Backmethoden nach Deutschland gebracht.

Im Ausland sind wir Deutschen einfach bekannt für Torten. Schwarzwälder Kirschtorte, Frankfurter Kranz, Schillerlocken, Baumkuchen, Stollen. Ich finde, man kann mit diesen Gebäcken ganz viel machen. Oder mit Buttercreme: Jeder isst Cupcakes mit Frosting oben drauf, aber nicht jeder will Buttercreme essen. Dabei ist da kein großer Unterschied, nur der Name ist anders. Aber für viele ist Torte per se schon schwierig. Hat ja Kalorien.

Das heißt, Sie wollen diese Traditionen modern verpacken?

Ja, genau. Man muss ja das Rad nicht neu erfinden. Aber man kann sich ruhig ein bisschen austoben. Ich finde es zum Beispiel schwierig, Torten vegan hinzukriegen. Ich freue mich dann immer, dass es Kollegen gibt, die vegan ­leben und das machen und deren Torten wirklich gut schmecken. Oder glutenfreies Backen. Das sind Bereiche, mit denen man sich ernsthaft beschäftigen muss. Das muss allen bewusst sein: Das ist kein Geschäft, das man mal eben nebenbei macht.

Wie ist das mit türkischem, syrischem oder persischem Gebäck? Für einen Teil der Deutschen verkörpert es ebenfalls Tradition; ein noch größerer Teil aber würde niemals auf die Idee kommen, Baklava statt Sahnetorte zu backen.

Ich glaube, da wird es noch mehr Mischungen geben. In Berlin sind inzwischen zum Beispiel einige türkische und syrische Bäckereien in der Konditoreninnung. Ich persönlich liebe Baklava, beim „großen Backen“ gab es mal einen ganz tollen „Orientalischen Liebeskuchen“. Ich tue mich aber schwer damit, einfach zu sagen: Ich backe jetzt ganz viele türkische oder syrische Rezepte, einfach um es gemacht zu haben.

Würden Sie jungen Leuten heute raten, Kon­di­to­r:in­nen zu werden?

Absolut. Handwerk hat immer noch goldenen Boden. Außerdem ist vielen durch Corona bewusst geworden: Bäcker und auch Konditoren sind systemrelevant. Gerade vor Ostern und Weihnachten konnten sich viele Konditoren nicht mehr retten vor Kunden – weil die sich was Gutes tun wollten.

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