Ampelkoalition und die Hundefrage: Der erste Vintage-Kanzler

Olaf Scholz und andere Secondhand-Modelle: Unsere Kolumnistin war Bier trinken mit dem künftigen Kanzler Scholz und einem Labrador.

Labrador hat etwas rotes im Maul und läuft durch Wasser

Was hat der Labrador rotes im Maul? Foto: Bodo Marks/dpa

Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich verhaltenskonservativ. Warum nicht mal bei einem unbekannten, aber sehr coolen Vintage-Onlineshop in London Klamotten bestellen? Ist total vertrauenswürdig, sie kennt ihn nämlich von Instagram! Wieso Müsli zum Frühstück verzehren, wenn man auch Eis essen kann?

Und was soll bitte das immer gleiche Nein auf die Frage, ob sie ein Katzenbaby haben darf? Schließlich macht eine mehr doch keinen großen Unterschied, wenn man ohnehin schon zwei Katzen und einen Hund hat.

Sehr uncool im Übrigen auch, dass ich und meine EC-Karte nur widerwillig mit der Minderjährigen durch Secondhand-Läden streifen, wo neuerdings altmodische Klamotten völlig überteuert ebenfalls als Vintage veräußert werden. Immerhin: Die Wiederverwendung von Kleidungsstücken, die nur einen Schritt von weißen Tennissocken in Sandalen entfernt sind, ist wenigstens nachhaltig.

Diese Art der Nachhaltigkeit wird derzeit auch in der Politik gepflegt. Denn eigentlich war Olaf Scholz schon aussortiert und im hinteren Teil des Kleiderschranks verschwunden. Doch als die SPD mal wieder das Problem hatte, nichts zum Anziehen zu finden, wurde er hervorgekramt, frisch aufgebügelt und dem Wahlvolk als Vintage angeboten. Und siehe da: ein Verkaufsschlager!

Bierchen mit Olaf

Das erinnert mich an meine erste längere Begegnung mit ihm. Olaf, wie er damals von taz­le­r*in­nen genannt werden wollte, war SPD-Chef in Hamburg-Altona und wollte mal ein Bierchen trinken gehen. Es ergab sich, dass ich und meine liebste Kollegin vor dieser Verabredung einen Hund besuchten, der als Scheidungstier dringend ein neues Zuhause brauchte.

Als wir aufbrachen, hatte ich eine Leine mit einem liebesbedürftigen und verfressenen Labrador namens Paula in der Hand. Wir überlegten kurz, ob wir Olaf absagen oder wenigstens über die Hundebegleitung informieren sollten, befanden aber, dass er ja nur ein kleines Licht der mächtigen Hamburger SPD sei und dankbar zu sein hatte, den Abend mit uns verbringen zu dürfen.

Nun, es stellte sich heraus, dass Olaf sich in Paulas Anwesenheit ungefähr so wohl fühlte wie Merkel bei Putin. Er wollte sie trotz guten Zuredens weder streicheln noch unter seinem Stuhl Krümel wegschlecken lassen.

Die Hamburger SPD in den 1990ern muss man sich als eine CSU des Nordens vorstellen. Olaf gehörte quasi zu den jungen Wilden (!), die sich Rot-Grün wünschten. Während er darlegte, wie gut die Milieus von SPD und Grünen zusammenpassten, rückte er kaum merklich immer weiter vom Tisch ab, bis er sich schließlich fast an die Wand presste.

Mettigel-Springer

Seit dieser Woche also sitzt Olaf mit Menschen am Koalitionsverhandlungstisch, die in seiner Kernkompetenz Hundeangst eine gewisse Milieuferne sehen könnten. Da wäre zum einen Robert Habeck, der auf Instagram so häufig wie kein anderer Hunde gepostet hat. Und Christian Lindner, der völlig zu Recht für die Abschaffung der Hundesteuer ist. Es wird also schwierig.

Nach den Erfolgen der SPD wird übrigens auch in der zukünftigen Opposition mit Secondhand-Modellen gearbeitet. Die CDU hat aus der Wirtschaft Friedrich Merz günstig übernehmen können, um eine Wende zum Vintage hinzubekommen. Mehr Helmut Kohl wagen!

Auf diese Weise ließe sich auch wieder harmonisch mit der Bild und Springer zusammenarbeiten, dem verhaltenskonservativen Medienhaus, das in seiner Mentalität nie aufgehört hat, von gestern zu sein. Man fühlt sich an die Pelzmäntel früherer Generationen erinnert, die nun als hip und Vintage verkauft werden, aber genauso muffig und nach altem Mettigel riechen wie eh und je.

Unterdessen traf die Ware aus London ein, die gegen meinen Willen bestellt wurde. Der Postbote wollte sie nur nach der Zahlung von 26 Euro Zoll und 6 Euro Extraporto aushändigen. Ach wie schön waren doch die Zeiten, als man einfach in ein Geschäft ging und eine No-Name-Winterjacke für 40 Euro kaufen konnte. Aber was weiß ich schon. Ich hab die Vintage-Klamotten ja mal wirklich getragen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.