Österreichs Regierung wackelt

Bundeskanzler Sebastian Kurz gerät massiv unter Druck – auch vonseiten des grünen Koalitionspartners. Ihm wird Anstiftung zur Bestechung vorgeworfen. Die jüngsten Enthüllungen könnte sogar noch die Ibiza-Affäre toppen

Steht zu Hause derzeit mächtig unter Druck: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz beim EU-Gipfel in Slowenien am 6. Oktober Foto: Darko Bandic/ap

Aus Wien Ralf Leonhard

Österreichs türkis-grüne Koalition steht auf der Kippe. Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Finanzministerium und bei engen Mitarbeitern von Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch bergen eine Sprengkraft, die jene der Ibiza-Affäre noch überbieten könnte.

Ermittelt wird gegen zehn Personen, darunter der Kanzler selbst, der der Anstiftung zur Bestechung verdächtig ist. Es geht um das Lancieren gefälschter Umfragen über den Boulevard zum Nutzen von Kurz und auf Kosten der Steuerzahler. Der kometenhafte Aufstieg des Jungspunds 2016 soll durch Fake News und korrupte Medienmacher maßgeblich befördert worden sein. Sebastian Kurz wies am Mittwochabend in der Zeit-im-Bild 2 jede Verantwortung zurück: „In keiner SMS gibt es von mir einen Auftrag oder ein Ersuchen, etwas zu tun.“

Zwar wurde bisher tatsächlich keine SMS des Kanzlers gefunden, die dessen Anstiftung nachweisen würde. Doch ist für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) schlüssig: „Sebastian Kurz ist die zentrale Person. Sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen.“

Die Geschichte beginnt 2016. Sebastian Kurz war damals noch Außenminister einer SPÖ-geführten Groko, als ÖVP-Chef und Vizekanzler fungierte Reinhold Mitterlehner. Wollte der damals 29-jährige Sebastian Kurz ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz einziehen, musste Mitterlehner als Parteichef abgeschossen und die Regierung gesprengt werden. Dieses „Projekt Ballhausplatz“, eine minutiös choreografierte Machtübernahme des ehrgeizigen Jungpolitikers, wurde 2017 durch die Wochenzeitung Falter aufgedeckt und dokumentiert.

Einem bisher nicht bekannten Detail dieser Verschwörung ist jetzt die WKStA auf der Spur: dem Manipulieren von Umfragen und Kauf günstiger Berichterstattung. Sophie Karmasin, im Zivilberuf Chefin eines Meinungsforschungsinstituts, war damals ÖVP-Familienministerin. Auf Anweisung von Kurz, so die WKStA in ihrer 104-seitigen Begründung für die Hausdurchsuchungen, habe sie 2016 ihre Teilhaberin Sabine Beinschab veranlasst, stark frisierte Umfragen zu verbreiten. Diese sollten dokumentieren, dass die ÖVP unter Mitterlehner zum Untergang verurteilt sei, mit Sebastian Kurz an der Spitze aber mehrheitsfähig werden könnte.

Als Plattform dafür bot sich das auflagenstarke Gratisblatt Österreich der Gebrüder Wolfgang und Helmuth Fellner an. Die wurden dafür mit fetten Anzeigen des Finanzministeriums von mehr als einer Million Euro belohnt. In den Chats wird diese Kooperation als „Beinschab-Österreich-Tool“ gefeiert.

Erste Quelle für die entlarvenden Chat-Verläufe ist das Handy von Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, das die Justiz in Zusammenhang mit einer anderen Affäre beschlagnahmt hatte. Als Chef der Staatsholding ÖBAG musste er deswegen zurücktreten und ist seither abgetaucht. Schmid, ein Intimus von Kurz und dem heutigen Finanzminister Gernot Blümel, hat, so legen es seine SMS nahe, die kooperierende Meinungsforscherin Sabine Beinschab zum Stellen von Scheinrechnungen angestiftet: „Die Kosten für die offenen (Studien, Anm. d. Red.) packst Du in die Studie zur Betrugsbekämpfung rein“.

Die konservative Regierungspartei ÖVP befindet sich schon seit Tagen im Panikmodus

Die ÖVP befindet sich schon seit Tagen im Panikmodus. Vergangene Woche hatte Vize-Generalsekretärin Gaby Schwarz in einer skurrilen Pressekonferenz die Presse beschuldigt, Gerüchte über bevorstehende Razzien bei der ÖVP in die Welt zu setzen und versicherte, die Ermittler würden nichts Belastendes finden. Tags darauf rückte der Abgeordnete Andreas Hanger aus, um vor „linken Zellen“ in der WKStA zu warnen. Auch Kurz selbst hat den Korruptionsermittlern immer wieder politische Voreingenommenheit gegen seine Person vorgeworfen.

Während die Oppositionsparteien eine Sondersitzung des Nationalrats einberufen haben, die binnen acht Werktagen stattfinden muss, und einen Misstrauensantrag gegen Kurz vorbereiten, stellen jetzt auch die Grünen die Handlungsfähigkeit von Kurz in Frage. Vizekanzler Werner Kogler lud die anderen Parteien zu Allparteiengesprächen ein. Auch beim Bundespräsidenten bat er um einen Termin. Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen kann den Kanzler oder die ganze Regierung entlassen. In einer ersten Stellungnahme hat er der Justiz den Rücken gestärkt.

In der konservativen Tageszeitung Die Presse sieht Oliver Pink in seinem Leitartikel schon das Ende heraufdämmern: „Die türkise ÖVP steht vor der Implosion, die türkis-grüne Regierung vor der Explosion.“

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