Wahlpannen in Berlin: Die Qual der Wahl geht weiter

Die Pannen könnten mehreren Abgeordneten das Amt kosten: Geht es nach der Landeswahlleiterin, muss die Wahl in zwei Wahlkreisen wiederholt werden.

Menschen stehen vor einem Wahllokal Schlange

Eher Ausdruck der Probleme bei der Wahlorganisation: Schlange vor einem Wahllokal in Berlin Foto: dpa

BERLIN taz | Nach dem Willen der scheidenden Berliner Landeswahlleiterin Petra Michaelis soll in zwei Wahlkreisen die Wahl der Direktkandidaten zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt werden. Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe gab es am 26. September zwar in gut 200 Wahllokalen. Aber in zwei Wahlkreisen – die in der Regel zwischen 20 und 30 Wahllokale umfassen – könnten sie sich wegen des knappen Wahlausgangs unmittelbar auf die Vergabe des mit der Erststimme gewählten Direktmandates auswirken.

Eine Wiederholung der Wahl würde erst zum Sommer 2022 stattfinden

Es geht um den Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf, den der AfD-Rechtsausleger und Putin-Versteher Gunnar Lindemann knapp gewonnen hat, sowie um den Wahlkreis 6 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier wurde erst die SPD-Politikerin Franziska Becker als Siegerin gekürt. Nach einer Nachzählung ging das Mandat dann mit lediglich 19 Stimmen Vorsprung an den Grünen Alexander Kaas-Elias.

In beiden Wahlkreisen hatte die scheidende Landeswahlleiterin Einspruch beim Berliner Verfassungsgerichtshof angekündigt. Auch die AfD und die Satirepartei Die Partei haben bereits erklärt, Einspruch gegen die Berlin-Wahl einzulegen. Unklar ist noch, auf welche Wahlbezirke sich dieser beziehen wird.

Nachwahl im Frühsommer 2022?

Innensenator Andreas Geisel (SPD) erläuterte der taz den Fahrplan der Wahlanfechtung: Offiziell kann ein Einspruch erst eingereicht werden, wenn das amtliche Endergebnis im Amtsblatt veröffentlicht ist – das dürfte in knapp zwei Wochen der Fall sein. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erwartet Geisel allerdings erst im Frühjahr. Falls die Richter den Einsprüchen von Petra Michaelis folgen, sei „eine Nachwahl für die Erststimme in den betreffenden Wahlkreisen vor der Sommerpause 2022 möglich“ – also etwa neun Monate nach dem ursprünglichen Wahltermin. Bis dahin behalten Lindemann und Kaas-Elias ihre Direktmandate für das Abgeordnetenhaus.

Sollten die Wähler im Marzahner Norden und rund um den Prager Platz in Wilmersdorf aber im Frühsommer erneut wählen, könnte zumindest die Abstimmung in Marzahn-Hellersdorf eine politische Kettenreaktion auslösen. Denn hier unterlag der SPD-Kandidat Gordon Lemm dem AfD-Mann Lindemann um nur 70 Stimmen. Der linke Bewerber Björn Tielebein wiederum lag um lediglich 292 Stimmen hinter dem AfD-Politiker auf dem dritten Platz.

Da nach bisherigem Wissensstand 509 WählerInnen in Marzahn-Nord kein Wahlzettel für die Erststimme für das Abgeordnetenhaus ausgehändigt wurde, könnte auch der Zweit- und Drittplatzierte eine Chance auf das Direktmandat haben. Möglich wäre es natürlich auch, dass der AfD-Mann seinen Vorsprung vergrößert.

Gemeinsame Wahlempfehlung gegen die AfD

Sollte der SPD-Kandidat Lemm ins Abgeordnetenhaus gewählt werden und das Mandat annehmen, müsste er allerdings auf seinen Sitz im Bezirksamt verzichten; Lemm ist Jugendstadtrat. Eine Zählgemeinschaft aus SPD, Linken, Grünen und Tierschutzpartei nominierte ihn sogar zum Bezirksbürgermeister. „Das Be­zirks­­amt hat für mich Priorität. Da kann man mehr gestalten“, sagte Lemm der taz. Aber er will seine Entscheidung noch mit der SPD abstimmen.

Dass Lemm auf dem Wahlschein durch ein anderes SPD-Mitglied ausgetauscht wird, ist nicht möglich. „Die Frage ist ja: „Bekäme die SPD mein eventuell zusätzlich gewonnenes Mandat als Ausgleichsmandat hinzu? Oder müsste eine Listenkandidatin ihr Mandat abgeben? So ein Fall ist für uns alle Neuland, da müssen wir die Juristen fragen.“

Lemm könnte sich vorstellen, dass die SPD, „wenn wir uns mit anderen demokratischen Parteien darauf einigen“ und wenn die SPD dadurch keinen Mandatsverlust erleidet, eine Wahlempfehlung für einen Kandidaten einer anderen Partei abgibt, „die den Marzahner Norden als Demokrat im Abgeordnetenhaus vertritt“. Das wäre dann wohl der Linke Tielebein. „Denn der jetzt gewählte AfD-Mann Lindemann ist kein guter Vertreter für die Menschen vor Ort“, sagte Lemm.

ein mann steht im Park

Erst die Nachzählung machte den Grünen Alexander Kaas-Elias zum Sieger in seinem Wahlkreis Foto: Grüne

Alles steht auf dem Spiel für grünen Abgeordneten

Lindemann ist über die Landesliste der AfD nicht abgesichert und würde, wenn er eine mögliche Wahlwiederholung nicht gewinnt, aus dem Abgeordnetenhaus ausscheiden. Sein Mandat würde allerdings ausgeglichen werden, sprich ein anderer AfD-Vertreter von der Landesliste würde nachrücken.

Nicht ganz so komplex wären die möglichen Folgen einer Wahlwiederholung in Charlottenburg-Wilmersdorf, wo teilweise falsche oder gar keine Stimmzettel für die Erststimme ausgegeben wurden und die Abstimmung sehr knapp ausfiel. Die jetzt hauchdünn unterlegene SPD-Vertreterin Franziska Becker sitzt ohnehin im Abgeordnetenhaus. Sie wurde über die Bezirksliste der SPD gewählt.

Bitter wäre es allerdings für Alexander Kaas-Elias, würde er in einer Wahlwiederholung der Unterlegene sein: Der Grüne würde nicht nur sein Mandat fürs Abgeordnetenhaus verlieren. Kaas-Elias hatte zeitgleich auch für die Bezirksverordnetenversammlung kandidiert und dort nach der erfolgreichen Abgeordnetenhauswahl auf sein Mandat verzichtet. Beide Mandate auszuüben ist nicht zulässig. Diesen Verzicht könnte er nicht wieder rückgängig machen. Im Abgeordnetenhaus würde aber ein grüner Listenkandidat für ihn nachrücken.

Vier Abstimmungen Am 26. September wurde in Berlin nicht nur das Abgeordnetenhaus gewählt, sondern die Bürger*innen gaben auch für den Bundestag und zwölf Bezirksverordnetenversammlungen ihre Stimmen ab. Außerdem konnten die Wähler bei einem Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungsunternehmen abstimmen.

Viele Fehler Insgesamt kam es bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in 207 von 2257 Wahllokalen (etwa neun Prozent) zu Unregelmäßigkeiten, wie Petra Michaelis Mitte Oktober mitteilte. „Das ist eine Zahl, die uns alle erschrecken und auch ärgern muss“, sagte sie. So gab es Verzögerungen bei der Zusendung von Briefwahlunterlagen, es wurden falsche Stimmzettel ausgegeben oder sie fehlten. Aus letzterem Grund wurde das Wahlgeschehen in 78 Lokalen zeitweise unterbrochen – für bis zu zwei Stunden.

Keine Stimmzettel In 56 Wahllokalen wurden zeitweise keine Stimmzettel ausgegeben, obwohl sie vorhanden waren. Als Ursache vermutete Michaelis ein Versehen oder Überforderung der Wahlvorstände vor Ort. In wenigen Einzelfällen konnten 16- und 17-Jährige, die nur für die Bezirksparlamente wahlberechtigt waren, auch für andere Wahlen ihre Stimme abgeben. Als weiteres Problem nannte Michaelis lange Schlangen vor Wahllokalen. 1.773 Wahllokale hatten länger geöffnet als üblich, sodass Wähler, die bis 18 Uhr vor Ort waren, ihre Stimmen abgeben konnten – in Einzelfällen bis kurz vor 21 Uhr. (dpa, taz)

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