Spezialausrüstung für Obdachlose: Gefährlicher als ein Outdoor-Ausflug

Nun gibt es Rucksäcke speziell für obdachlose Menschen. Das ist gut gemeint – aber wollen wir uns wirklich an Wohnungsnot gewöhnen?

Ein Zelt und Habseligkeiten eines Obdachlosen sind von oben unter einem Baum nahe des Alexanderplatzes zu sehen

Wer dauerhaft in einem Zelt leben muss, ist vielen Gefahren ausgesetzt Foto: Christoph Soeder/dpa

Regendicht sollten die Rucksäcke sein. Und ein paar versteckte Taschen haben, um Wertsachen sicher zu verstauen. Außerdem wichtig: reißfestes Material und Ösen, um Trinkbecher einzuhängen oder Isomatte und Schlafsack zu befestigen. Was wie ein praktisches Gepäckstück für den Outdoortrip klingt, ist in diesem Fall für das dauerhafte Leben in Hauseingängen, U-Bahnhöfen oder Unterführungen gedacht. Ein in den Friedrichshainer Rambler Studios entworfener Multifunktions-Outdoor-Rucksack soll die Bedürfnisse von obdachlosen Menschen erfüllen.

Entworfen und genäht haben den Rucksack zwei Männer, die das Leben ohne festen Wohnsitz aus eigener Erfahrung kennen. „Ein vernünftiger Rucksack, Isomatte, Schlafsack – ohne das gehst du kaputt“, sagt einer der beiden in einer RBB-Fernsehreportage über den Prototyp. 3.000 solcher Rucksäcke sollen produziert und an obdachlose Menschen verteilt werden. Ein Leben in Obdachlosigkeit wolle das Projekt natürlich nicht fördern, heißt es im RBB – die Rucksäcke sollen den Menschen auf der Straße das Leben aber ein bisschen leichter machen.

Im vergangenen Jahr stellte eine Initiative eigens für ein Übernachten auf der Straße designte Schlafsäcke vor, die tagsüber als Jacke oder Overall dienen können. Am Kottbuser Tor verteilte ein Bündnis im vergangenen Dezember spezielle Thermoskannen. Alles gut gemeint, und die Rucksäcke sind wohl gut gemacht. Doch diese eigens für Obdachlose entworfenen Ruck- und Schlafsäcke mögen zwar das Leben von Menschen, die ihre Tage und Nächste auf der Straße verbringen müssen, etwas einfacher machen. Sie machen deren Lebenssituation aber auch ein Stück normaler.

Nur eine Frage des Outfits?

Obdachlosigkeit wird so zu einem Fakt, an den sich die, die noch eine Wohnung haben, gewöhnen. Sie wird zu einer Frage der Ausrüstung, einer Situation, der sich Betroffene eben nur mit dem richtigen Outfit anpassen müssen – fast so wie eine Wanderung in Funktionsklamotten, bei der es ja auch oft heißt, es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.

Aber Obdachlosigkeit ist kein Outdoorausflug. Sie ist ein gesellschaftliches Problem. Menschen ohne festen Wohnsitz brauchen mehr Schutz als eine Bauchtasche fürs Bargeld. Auch mit gutem Rucksack, Schlafsack und Isomatte macht ein Leben ohne Wohnung kaputt: die Lebenserwartung sinkt, viele Menschen werden körperlich oder psychisch krank.

Der Grund dafür, warum Bezirke wohnungslosen Menschen eigentlich eine Unterkunft geben müssen, ist ja, dass sie geschützt werden sollen. Ihre Gefährdung ist real: Am Sonntagabend steckten Unbekannte die Schlafstätte von fünf Menschen unter einer Brücke am Ostbahnhof in Brand. Zwei Wochen zuvor war ein Brandsatz auf das Zelt von zwei Obdachlosen an der Skalitzer Straße in Kreuzberg geworfen worden. Am folgenden Tag wurde eine wohnungslose Frau in einem Park in Neukölln brutal angegriffen und ausgeraubt. Mitte September war ein obdachloser Mann in Lichtenberg angegriffen und lebensgefährlich verletzt worden. Aufschrei oder Solidaritätskundgebungen blieben weitgehend aus. Auch daran sollten wir uns nicht gewöhnen.

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