Berliner Koalitionsoptionen: Richtig links wählen

Laut den Umfragen sind in Berlin drei Dreierkoalitionen denkbar. Strategisches Wählen ist dabei eine interessanter Gedanke, aber auch sehr riskant.

Rot? Oder grün? Oder ist ihr Schwarz doch näher? SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Rot-Schwarz-Gelb? Rot-Grün-Gelb? Also Deutschland-Koalition oder Ampelbündnis? Oder doch weiter Rot-Rot-Grün, vielleicht bloß unter grüner Führung, Grün-Rot-Rot also?

Auch unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl an diesem Sonntag ist völlig offen, wer künftig in Berlin zusammen regieren wird. Umso mehr, nachdem der bis 2014 amtierende langjährige Regierungschef Klaus Wowereit jüngst über seine SPD gesagt hat, dass die ihrer Spitzenkandidatin Franziska Giffey ein Bündnis mit CDU und FDP nicht durchgehen lassen würde.

Diese sogenannte Deutschland­-Koalition scheint nämlich die Wunsch­option der SPD-Spitzenkandidatin und Ex-Bundesfamilienministerin Giffey zu sein, deren Partei seit Mitte August alle Umfragen in Berlin teils deutlich anführt. Zu sehr ähneln sich Giffeys Aussagen und die von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, gerade bei den zentralen Themen Verkehr und Wohnungsbau. Im taz-Talk äußerten sich die beiden zudem an aufeinanderfolgenden Abenden kürzlich teils wortgleich zu Sicherheit und einer Randbebauung des Tempelhofer Felds.

Giffeys Verhältnis zur Linkspartei wiederum kann man als zerrüttet betrachten, nachdem ihr deren Landesvorsitzende Katina Schubert „allgemeines Blabla“ vorgeworfen und sie als „Populistin“ bezeichnet hat. Giffey wiederum vergrätzte den Noch-Koali­tionspartner der SPD, indem sie eine Koalition mit Enteignungsunterstützern ausschloss. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Aussichtsreichste Spitzenkandidatin für den Einzug ins Rote Rathaus ist derzeit SPDlerin Franziska Giffey (43), ehemalige Bundesfamilienministerin und davor Bezirksbürgermeisterin von Neukölln.

Bis Mitte August vorne lag Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch (53), die von 2011 bis 2016 Landesvorsitzende ihrer Partei war und anschließend ins Abgeordnetenhaus einzog.

Wie Giffey wechselt auch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner (49) zurück von der Bundes- auf die Berliner Ebene: Er ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter.

Bei Linkspartei und FDP sind die Spitzenkandidaten dieselben wie bei der Wahl 2016: Klaus Lederer (47) aktuell Kultursenator, und Sebastian Czaja (38) Fraktionschef der Liberalen im Abgeordnetenhaus.

Neu in dieser Position ist hingegen bei der AfD Kristin Brinker (49). Zuvor auf Finanzpolitik konzentriert, übernahm sie im März den Landesvorsitz ihrer Partei. (sta)

Mit der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, selbsternannte Brückenbauerin und nach eigener Einschätzung keine Linksradikale, dürfte Giffey zwar auskommen, weit weniger aber mit dem grünen Wahlprogramm, das deutlich mehr als das der SPD auf Klimaschutz setzt.

Wowereits Einschätzung – „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie [Giffey; d. taz] das in der SPD durchsetzen kann“ – fiel in einem Interview mit dem Tagesspiegel und ist durchaus gewichtig. Zwar war der Ex-Regierungschef nie selbst SPD-Landesvorsitzender. Aber er erreichte fast immer, dass seine Partei seinen Kurs unterstützte, sogar als er gegen den Willen der Parteibasis 2011 rot-grüne Koalitionsgespräche am Streit über die A 100 scheitern ließ und danach mit der CDU zusammenging.

Doch seither ist die Berliner SPD erkennbar nach links gerückt. Bei einem Parteitag Ende 2019 gelang es dem damaligen Landesvorsitzenden und Wowereit-Nachfolger Michael Müller nur noch mit großer Mühe, ein Nein zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen durchzusetzen. Obwohl alle Führungsfiguren inklusive Müller, Giffey und Innensenator Andreas Geisel inständig gegen Enteignung redeten, reichte es nur zu einem Ergebnis von 137 zu 97. Fast alle jüngeren Redner vertraten eine andere Haltung als die Parteiführung und kramten teils den demokratischen Sozialismus aus der Parteiprogrammatik – es wirkte wie ein letzter Sieg der älteren Generation gegen eine jüngere, linkere.

Darum ist nicht ausgeschlossen, dass eine in diese Richtung neigende SPD selbst einer erfolgreichen Spitzenkandidatin ein Bündnis mit der CDU verweigern wird. Zumal es ja einen Kompromiss zwischen einer solchen Deutschland-Koalition und dem mutmaßlich von Giffey abgelehnten „Weiter so“ mit Rot-Rot-Grün gibt: eine Ampelkoalition, bei der die SPD-Linke die FDP, Giffey hingegen die Grünen akzeptieren müsste.

Wie aber lässt sich am Sonntag mit nur einer von bis zu 2,5 Millionen Zweitstimmen, die über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses entscheiden, strategisch Einfluss auf die künftige Koalition nehmen? Strategisch bedeutet hier: nicht die eigene oder favorisierte Partei zu wählen, sondern sie über Bande zu unterstützen, durch eine Stimme für eine andere Partei. Grundsätzlich gilt: Dieser Weg ist risikoreich, weil er rein faktisch der eigenen Partei eine Stimme nimmt – und was passiert dann, wenn alle meinen, auf diese Weise strategisch abstimmen zu müssen?

Das betrifft beispielsweise den sichersten Weg, eine Regierungsbeteiligung der CDU zu verhindern, die derzeit in den Umfragen hinter der SPD mal auf Platz 2, mal auf Platz 3 liegt. Die wäre skurrilerweise genau dann ausgeschlossen, wenn die Christdemokraten am Sonntag stärkste Partei würden. Denn Franziska Giffey mag erwägen, mit der CDU zu koalieren, aber auf keinen Fall als Juniorpartnerin eines Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner.

Ihre SPD könnte nämlich auch als Zweitplatzierte der Wahl in der Lage sein, eine Koalition zu anführen – dann eben eine Ampel oder doch Rot-Rot-Grün. Die Christdemokraten blieben dann dort, wo sie jetzt sind: in der Opposition. Denn nirgendwo ist festgelegt, dass jene Partei den Regierungschef oder die Regierungschefin stellen muss, die am Wahlabend die stärkste ist. Sonst hätte etwa Helmut Schmidt weder 1976 noch 1980 Bundeskanzler bleiben können – beide Male waren CDU/CSU stärker als seine SPD.

Mit einigen zusätzlichen Stimmen für die CDU ließe sich also eine Deutschland-Koalition ausschließen – die ja genau genommen gemäß der Farbfolge auf der Flagge Uganda-Koalition heißen müsste. Wie aber ließe sich Einfluss nehmen auf ein fortgesetztes Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen, allerdings unter grüner Führung als Alternative zu einer rot-grün-gelben Ampel?

Das ist knifflig: Die Grünen als Wahlsieger könnten zwar eine Koalition mit SPD und Linkspartei anführen. Doch daraus wird nichts, wenn die SPD zwar schwächer abschneidet als die Grünen, aber immer noch stark genug, um mit CDU und FDP zu koalieren. Da mag die SPD-Basis noch so weit nach links gerückt sein: Es ist in der bundesdeutschen Wahlhistorie kein einziger Fall bekannt, in dem eine Partei auf die Möglichkeit verzichtet hätte, selbst eine Koalition anzuführen, statt bloß Junior­partner zu sein.

Grün-Rot-Rot ist nur dann sicher, wenn sich so viele Stimmen hin zu den Grünen verschieben, dass die SPD letztlich zu schwach abschneidet, um ein Bündnis mit CDU und FDP bilden zu können.

Das aber zeigt die Schwierigkeit solcher strategischen Überlegungen auf: Jeder und jede hat nämlich nur eine einzige Zweitstimme. Die CDU zur stärksten Kraft machen und damit im Senat zu verhindern und gleichzeitig die Grünen nach vorne bringen, um das Linksbündnis fortzusetzen – das geht nicht.

Dass hier überhaupt von drei möglichen Koalitionen die Rede ist, mag beim Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse irritieren. Denn weder eine Ampel noch eine Deutschland-Koalition kommt darin auf eine absolute Mehrheit der Stimmen. Das schafft nur Rot-Rot-Grün. Nach jetzigem Stand werden aber 12 bis 13 Prozent der Stimmen unter den Tisch fallen, weil die damit gewählten Parteien an der Fünfprozenthürde scheitern werden. Nur aus dem Rest, also 87 bis 88 Prozent, werden tatsächlich Parlamentssitze. Bleibt es dabei, reichen für eine Koalition bloße 45 Prozent – eine Deutschland-Koalition kommt aktuell auf 46 bis 47.

Was folgt also unterm Strich aus all diesen strategischen Überlegungen? Sich auf die eigene Partei konzentrieren und sie wählen beziehungsweise die, die am wichtigsten erscheint. Sozusagen mit dem Herzen wählen, auch wenn es nicht links schlägt – es muss ja nicht unbedingt so eckig sein wie das in der SPD-Wahlwerbung.

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