Klimalisten-Politikerin über die Wahl: „Aktivismus reicht nicht“

Die Klimaliste will in den Bundestag. Stiehlt sie so nicht den Grünen wertvolle Stimmen? Kathrin Lehmann sieht ihre Partei als notwendiges Korrektiv.

Kathrin Lehmann trägt eine Lederjacke, kurzes Haar und lehnt an einer Säule. Im Hintergrund ist eine Treppe, die nach unten führt.

„Die Grünen können nicht die am meisten klimaschutzpolitische Partei sein“, sagt Kathrin Lehmann

taz: Frau Lehmann, ihre Partei, die Klimaliste, wurde von Ak­ti­vis­t:in­nen gegründet. Wie kam es dazu?

Kathrin Lehmann: Es gibt die Initiative Klimaneustart, die es geschafft hat, mit einer Volksinitiative den Klimanotstand in Berlin ausrufen zu lassen. Das war ein Meilenstein. Aber es ist bei diesem symbolischen Ausrufen geblieben, keine notwendige Maßnahme wurde beschlossen, die der Notstandsaussage entsprochen hat.

Parallel dazu kam das Kohleausstiegsgesetz letztes Jahr. Das hat weite Kreise von Ak­ti­vis­t:in­nen – mich auch – dazu gebracht, zu denken, dass selbst der Aktivismus nicht ausreicht, wenn die Forderungen nicht in entsprechende Politik umgesetzt werden.

Aktivismus reicht nicht?

ist Aktivistin bei Sand im Getriebe und Ende Gelände. Sie kandidiert auf Listenplatz 5 der Klimaliste für das Berliner Abgeordnetenhaus und für die Bezirksverordnetenversammlung im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auf Platz 1.

Vorletztes Jahr waren Eineinviertel Millionen Menschen auf den Straßen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, was nicht gespiegelt wurde in der Politik. Die Klimaliste hat sich gegründet, um zu sagen: Wir werden das leisten: Wir werden die Stimme der Bewegung. Alle Bewegungen, die sich der Klimagerechtigkeit verschreiben, holen wir ins Parlament. Es ist ein sehr bunter Haufen von Menschen, die mit klassischer Politik gar nicht so viel am Hut haben.

Was ist ihre Kernforderung für den Bund?

Eine Kernforderung auf Bundesebene zum Thema Klimaschutz ist, ein sofortiger Stopp von allen klimafeindlichen Infrastrukturprojekten. Da muss auf jeden Fall ein Moratorium her, bevor entschieden werden kann, welche Projekte weiter verfolgt werden können.

Wie sähe so ein Moratorium aus?

Beispielsweise über die Forderung eines Klimavorbehalts, der ja gesetzlich verankert werden kann. Dann würde jedes Projekt, das auf einer gesetzlichen Grundlage basiert, automatisch überprüft. Dann würde Konkretes wie ein Autobahnausbau oder -neubau, aber auch Abholzung von Wäldern sofort gestoppt werden müssen.

Sie haben aber auch noch andere klimapolitische Forderungen, oder?

In ehrenamtlicher Arbeit haben wir zusammen mit Wis­sen­schaft­le­r:in­nen dezidierte Maßnahmen erarbeitet für alle relevanten Sektoren wie Verkehr, Mobilität, Landwirtschaft, Ernährung, Energie und Gebäude. Maßnahmen dafür, wie diese Sektoren transformiert werden müssen. Mit diesem Klimaplan treten wir in Berlin an.

Auch die anderen Parteien haben inzwischen Klimaschutz als Ziel in den Programm stehen. Was ist das besondere an Ihrem Plan?

Keine andere Partei hat einen Plan, wie die 1,5 Grad-Grenze eingehalten wird. Der ist das Alleinstellungsmerkmal, der aufzeigt, dass wir die Dringlichkeit der Klimakrise wirklich verstanden haben und ein Konzept haben, mit dem wir tatsächlich etwas tun können.

Dieser Klimaplan ist allen Parteien offen zugänglich, die dürfen gerne jede Maßnahme übernehmen, wir würden uns freuen. Es geht uns nicht darum, dass wir gewinnen wollen, sondern darum, dass die Klimakrise noch weitgehend eingedämmt werden kann.

Wo können die anderen Parteien den Plan finden, wenn sie abschreiben wollen?

Der Klimaplan ist auf der Webseite öffentlich zugänglich und es wird explizit dafür geworben, Feedback zu schicken. Es ist ein lebendiges Dokument und wir laden alle ein daran mitzuarbeiten – gerade auch die Parteien. Wenn diese ihre Lippenbekenntnisse ernst meinen – die 1,5-Grad-Grenze einhalten zu wollen -, dann würden sie viele unserer vorgeschlagenen Maßnahmen übernehmen – dies ist aber nicht passiert. Die Programme der anderen Parteien sind ganz klar und auf wissenschaftlicher Ebene ungenügend, um die genannte Grenze einzuhalten.

Viele, die für Klimaschutz sind, haben die Befürchtung, dass die Klimaliste den Grünen wichtige Stimmen wegnimmt…

Stimmen für Klimaschutz sind nicht durch eine Partei gepachtet. Wir sind das Korrektiv für alle Parteien. Auf Bundesebene gibt es nur 21 Bewerbungen der Klimaliste für Direktmandate. Niemand kann uns vorwerfen, dass wir mit den Erststimmen jemandem etwas wegnehmen.

Rechnen Sie sich denn Chancen auf die Direktmandate aus?

Gerade in Baden-Württemberg hat die Klimaliste schon ein gutes Standing aufgebaut durch die Landtagswahlen, die wir dort bestritten haben. Dort wurden knapp ein Prozent erreicht und damit ja schon einige Aufmerksamkeit gewonnen. Ich denke, gerade die Di­rekt­kan­di­da­t:in­nen in Baden-Württemberg haben eine Chance.

Baden-Württemberg ist ja auch ein symptomatisches Beispiel: mit Winfried Kretschmann und den Grünen, die jetzt in Baden-Württemberg so lange an der Regierung sind. Grünen-Politik hat mitnichten das Patent auf Klimapolitik. Dort tut sie eher das Gegenteil mit der Unterstützung der Autolobby.

Die Grünen verlieren Stimmen, weil sie Realpolitik statt echtem Klimaschutz betreiben?

Die Klimakrise ist eine so große Aufgabe, dass sie nicht das Thema einer einzigen Partei sein kann. Die Grünen können nicht die klimaschutzpolitischste Partei sein. Es muss noch weitergehen. Das wäre die Klimaliste.

Ein-Themen-Parteien haben es traditionell schwer in Deutschland. Was ist denn zum Beispiel mit der Sozialpolitik?

Ich würde diesen Ausdruck der Ein-Themen-Partei nochmal aufrollen: Natürlich haben wir uns gegründet, mit einer Vorstellung, mit einer Prämisse, mit einem Oberziel. Wir sagen aber gleichzeitig, dass gerade Sozialpolitik und alle Bereiche unseres Lebens auf der Welt früher oder später abhängig davon sein werden, inwiefern wir es schaffen, die Klima-Erwärmung zu begrenzen. Dieses eine Oberthema spielt in alle Bereiche hinein – in manche weniger, in manche mehr. Es geht uns um die ganzheitliche systemische Transformation, die betrifft natürlich auch Sozialpolitik.

Inwiefern?

Eine Mammutaufgabe, die bisher versäumt wurde, ist die energetische Gebäudesanierung, die es braucht, um entscheidend Emissionen einsparen zu können. Wir sind ganz stark dafür: Die energetische Gebäudesanierung muss in jedem Gebäude in den nächsten Jahren passieren. Das ist oft mit Mieterhöhungen verbunden, wenn entweder wirklich oder vermeintlich irgendwelche Sanierungen stattfinden.

Wie verhindert Sie, dass die Mieten teurer werden?

Die Folgekosten dürfen natürlich nicht auf die Menschen abgelagert werden. Das ist ein Beispiel für den Klimabezug in der Sozialpolitik. Wir unterstützen auch die Initiative hinter dem Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen.

In ganz Berlin sieht man viele Plakate der Klimaliste auf denen steht „Natur statt Banken retten“ oder „How dare you“ und andere aktivistische Sprüche…

Genau, die haben wir in einer Wochenend-Aktion im Sommer selber gemacht mit Parteimitgliedern, Freund:innen, Bekannten und Menschen, die wir bei Social Media dazu aufgerufen haben. Es war eine wunderschöne Aktion. Ich denke, es ist das, was wir als Ak­ti­vis­t:in­nen am besten können.

Insofern war das unsere Kernkompetenz und eine super spaßige Sache. Die Plakate haben wir aus recyceltem Material gefertigt. Alte „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“-Plakate haben wir auch bekommen dafür. Wir haben uns über Politik unterhalten und die Sprüche gleichzeitig draufgemalt.

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