Die erste Schachweltmeisterin: Meisterin im stillen Spiel

Die siebenmalige russische Schachweltmeisterin Vera Menchik siegte auch gegen den Spott der Männer. Talent hatte sie noch für vieles andere.

Vera Menchik beim Schachspiel gegen einen Mann

Von Männern wenig geschätzt: Gegnerin Vera Menchik war oft einfach zu gut Foto: United Archives International/imago

Wenn der Film „Das Damengambit“ nicht eine fiktive, sondern die tatsächliche Geschichte der ersten Schachweltmeisterin erzählt hätte, hätte er in Russland und England gespielt. Vera Menchik wuchs nämlich in Moskau auf, wo sie als Tochter eines tschechischen Verwalters und einer englischen Gouvernante am 18. Februar 1906 geboren wurde. Die Eltern arbeiteten für reiche Adelige und waren selbst gut situiert, sodass die beiden Töchter Vera und Olga Privatschulen besuchen könnten. Der Vater brachte den Mädchen Schach bei. Das Spiel galt als anerkannter Zeitvertreib gehobener Schichten.

Frauen waren im British Chess Magazine, der ältesten bis heute erscheinenden Schachpublikation der Welt, zum ersten Mal in der August/September-Ausgabe des Jahres 1881 erwähnt worden – die Damen Bridgewater, Wildman und Arkwell gehörten allerdings lediglich einem Chor an, der zur Eröffnung eines Schach-Matches gesungen hatte.

Dabei spielten Frauen sehr wohl schon lange Schach, allerdings eben nur privat. Benjamin Franklin, der erste amerikanische Diplomat, traf sich während seiner Zeit in Paris von 1776 bis 1785 gern mit einer Madame Brillon, in deren Badezimmer die beiden oft bis in die frühen Morgenstunden am Schachbrett saßen.

Für die Menchiks wurde mit Beginn der russischen Revolution das Leben in Moskau immer schwieriger. Vera erzählte Jahre später, dass sie von einer privaten in eine öffentliche Schule wechseln musste, wo die Kinder im Winter mangels Heizung und Licht dick eingemummelt und bei Kerzenschein unterrichtet wurden. 1921 verließen die Menchiks Moskau, die Eltern trennten sich und die Mutter zog mit ihren beiden Töchtern nach England. Für Vera begann eine schwierige Zeit. Später schrieb sie, dass Schach ein stilles Spiel und damit „das ideale Hobby für jemanden, der die Landessprache nicht beherrscht“ sei.

Sieben WM-Titel

1923 trat sie dem Hastings Chess Club bei, wo ihr außergewöhnliches Talent rasch entdeckt und gefördert wurde. Unter anderem gehörte mit Géza Maróczy ein Großmeister zu ihren Lehrern. Vier Jahre später wurde in London im Rahmen der Schacholympiade die erste Frauenweltmeisterschaft im Schach ausgetragen. Vera Menchik trat dort für Russland an und gewann souverän.

Sieben Mal wurde sie Weltmeisterin, insgesamt startete sie für Russland, die Tschechoslowakei und zuletzt 1939 für England. Die Schachmännerwelt zeigte sich von ihren Erfolgen allerdings nur wenig beeindruckt. Einer oft verbreiteten Anekdote zufolge erklärte der österreichische Meister Albert Becker 1929 anlässlich eines Turniers in Karlsbad spöttisch, dass alle von ihr geschlagenen Männer zwangsweise dem „Vera-Menchik-Club“ beitreten müssten – und wurde prompt dessen erstes Mitglied.

Vera Menchik beschäftigte sich nicht nur mit Schach oder Siegen über Männer. „Das wäre mir zu einseitig“, erklärte sie der Zeitung Sussex Daily News, „ich spiele auch gern Tennis oder beschäftige mich damit, Dinge aus Modelliermasse herzustellen.“ Die Hoffnungen der Weltmeisterin auf eine Fortsetzung der Schachkarriere nach dem Sieg gegen Nazideutschland erfüllten sich nicht: Menchik, ihre Mutter und ihre Schwester starben am 26. Juni 1944 bei einem deutschen Bombenangriff.

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Schreibt nicht nur über Sport, sondern auch über Verschwörungsideologien, skandinavische Politik und Königshäuser. *** Die ersten Artikel für den taz-Sport gestalteten sich allerdings etwas schwierig: Mit den Worten "Wie, die schicken uns heute eine Frau?" wurde ich beispielsweise vor Jahren von einem völlig entsetzten Vorsitzenden eines Westberliner Fünftligavereins begrüßt. Da war er also, der große Tag, an dem über seinen Club in der taz berichtet werden würde, und dann das: Eine Frau! Ich antwortete ja, ich sei die Strafe und sofort war die Stimmung super. *** Und eines Tages werde ich über diesen Tag und andere, sagen wir: interessante Begegnungen mal ein Buch schreiben.

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