Polizeikommissarin schrieb Attentäter: Alarmglocke Einzelfall

Eine Kommissarin schrieb dem rechtsextremistischen Halle-Attentäter Briefe ins Gefängnis. Die Polizei muss bei Ein­zel­tä­te­r*in­nen genau prüfen.

Das Wappender Polizei vor der Polizeiinspektion Dessau-Roßlau

Die Polizistin soll bereits im Frühsommer Kol­le­g:in­nen gegenüber das Attentat relativiert haben Foto: Christian Schroedter/imago

Die Polizeiinspektion Dessau-Roßlau beurlaubt eine junge Polizeikommissarin aus Bitterfeld-Wolfen, weil sie dem rechtsextremistischen Attentäter von Halle Briefe ins Gefängnis schrieb. Wieder ein Einzelfall, so der erste Gedanke. Vereinzelung kann so unheimlich entlastend sein. Auch der Attentäter, der am 9. Oktober 2019 zwei Menschen aus rassistischen und antisemitischen Motiven tötete, galt lange als Einzelgänger. Im Dorf will ihn niemand gekannt haben.

Im Gerichtsprozess hieß es, es habe weder Freundschaften noch Mitwissende für seine Taten gegeben. Befragungen ergaben zwar, dass verschwörungsideologische und rechtsextremistische Äußerungen des Täters keine Seltenheit gewesen seien. Eine externe Analyse seiner Tat wies auf Zugehörigkeit zu einer Onlinecommunity hin. Und doch hielt sich in vielen Köpfen das Narrativ des Einzeltäters.

Nun trifft Einzelfall auf Einzeltäter – geeint in gemeinsamer Ideologie. Mehr als zehn Briefe soll die Polizistin ins Gefängnis geschickt haben. Zuspruch und Liebesbekundungen unter falschem Namen. Schon bevor die Briefe in der Gefängniszelle des Attentäters entdeckt wurden, gab es Hinweise. Die Polizistin soll bereits im Frühsommer Kol­le­g:in­nen gegenüber das Attentat relativiert und für den Täter Sympathien zum Ausdruck gebracht haben.

In der Folge gab es eine Meldung beim Vorgesetzten, ein Gespräch – das wars. Es bleibt spannend, was auf die Suspendierung der Polizistin folgt, ist die Polizeiinspektion Dessau-Roßlau doch bundesweit für ihre Inkonsequenz bei internen Ermittlungen bekannt. Li Yangjie. Vergewaltigt und ermordet; Mitarbeiter der Polizei zerstören möglicherweise Beweismittel. Oury Jalloh. Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann – auf nicht nachvollziehbare Weise vom Leben in den Tod befördert. Nahezu ohne Konsequenz.

Einzelgänger. Einzeltäter. Einzelfall. Sprechen wir über politisch motivierte Verbrechen, werden diese Worte zur Farce. Dabei sind sie eine Alarmglocke, die darauf hinweist, dass Zusammenhänge noch nicht genug beleuchtet sind – oder schlichtweg niemand die Verantwortung übernehmen will.

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Pia Stendera schreibt frei für die taz zu den Themen Ostdeutschland, Soziale Ungleichheit und Rechte Gewalt.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

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■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

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■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

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