Tiere essen: Eine Ethik für alle Lebewesen

Menschen haben moralische Verpflichtungen Tieren gegenüber. Das ist die These der Philosophin Christine M. Korsgaard in „Tier wie wir“.

Ein Rind blickt durch einen Maschendrahtzaun

Was ist eine für Menschen als rationale Wesen angemessene Art des Umgangs mit Tieren? Foto: Heinrich Holtgreve/Ostkreuz

Die Frage ist nicht erst mit dem Klimawandel aktuell geworden. Ob es in Ordnung ist, Tiere zu essen, fragen sich Menschen, seit sie sich Gedanken über ihre Nahrung machen. Neben ökologischen Aspekten ist das Leid der Tiere einer der am häufigsten genannten Gründe, wenn Argumente vorgebracht werden, warum man andere Spezies nicht auf den Speiseplan setzen sollte. Die Vertreter solcher Positionen machen sich in der Regel zu Anwälten der zu Schützenden, da diese selbst nicht am Diskurs teilnehmen können.

Warum aber ist es nicht legitim, als Mensch andere Tiere leiden zu lassen? Die Frage ist keinesfalls banal, da sie höchst unterschiedlich beantwortet wurde. Der Philosoph Immanuel Kant etwa betrachtete die „vernunftlosen Thiere“ als „Sachen“, „mit denen man nach Belieben schalten und walten kann“.

Für die US-amerikanische Philosophin Christine M. Korsgaard, die sich als Ethikerin und Kant-Interpretin einen Namen gemacht hat, Anlass genug, in ihrem Buch „Tiere wie wir“ den älteren Kollegen an seinen eigenen ethischen Maßstäben zu messen. Der, wie sie ausführt, anders als das Zitat suggeriert, durchaus Grenzen für den Umgang mit Tieren gezogen hat, Nutztierhaltung aber für berechtigt hielt.

Für Korsgaard gilt als Grundannahme ihrer Ethik: „Wir teilen die Welt mit Mitgeschöpfen.“ Dabei wählt sie einen maßgeblich von Kant inspirierten rationalistischen Standpunkt für ihre Untersuchung der Frage, „warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben“. Diese Pflichten ergeben sich für sie aus unserer Rationalität selbst.

Christine M. Korsgaard: „Tiere wie wir“. Aus dem Englischen von Stefan Lorenzer. C.H. Beck, München 2021, 346 Seiten, 29,95 Euro

Ihr verdanken Menschen etwa „die Fähigkeit zu der Einsicht, dass die Welt und ihre anderen Bewohner nicht in Beziehung auf uns und unsere Bedürfnisse und Interessen existieren“. Was für sie als Konsequenz heißt: „Wenn also die Art, wie wir mit anderen Tieren umgehen, in der Ansicht gründet, dass sie nicht unabhängig von unseren menschlichen Bedürfnissen existieren, wenn wir so handeln, als wären die Tiere zu unserem Gebrauch in der Welt, dann hat unsere Rationalität an beiden Fronten versagt, und mit ihr unsere Humanität.“

Korsgaard kehrt in ihrer Tier­ethik so, zum Teil zumindest, die Perspektive um. Sie beginnt nicht bei der Frage, was für Tiere am besten und vertretbar ist, sondern was eine für Menschen als rationale Wesen angemessene Art des Umgangs mit Tieren ist. Zugespitzt könnte man sagen, dass Menschen eben das Pech haben, dass sie nicht einfach wie Raubtiere ihrem Instinkt folgen können, sondern über ihre Handlungen nachdenken müssen, Essen eingeschlossen.

Die Autorin ist nicht zimperlich. Sie erörtert auch die Frage, ob Menschen nicht besser aussterben sollten

Wenn die restliche Welt dadurch, dass sie unabhängig von Menschen existiert, nicht oder nicht so ohne Weiteres zu unserem Gebrauch da ist, warum darf man dann Pflanzen nutzen, Tiere aber nicht? Für diesen Punkt bringt Korsgaard den Begriff des „höchsten Guts“ ins Spiel. Menschen wie Tiere streben nach dem, was für sie, vereinfacht gesagt, gut ist, da für das Tier „zu bekommen, was gut, und zu vermeiden, was schlecht für es ist, Ziel und Zweck seines Handelns ist“.

Tiere sind für sie damit wie Menschen, „Zwecke an sich“, wie Kant sie bestimmt: Wesen mit eigenem Wert, die man nicht als bloße Mittel instrumentalisieren darf. Eventuellen Vorwürfen, das sei eine anthropozentrische Projektion, kommt Korsgaard zuvor mit einem an Aristoteles angelehnten Gedanken: „Es gehört zum Funktionieren eines Tieres, sein eigenes Wohlfunktionieren und mit ihm das, was gut für es ist, zum Ziel seines Handelns, zu etwas Erstrebenswertem, zu einem letzten oder höchsten Gut zu machen.“

Pflanzen hingegen hätten dieses höchste Gut nicht und wir folglich keine moralischen Pflichten ihnen gegenüber. Wobei sie einräumt, dass der Status von Pflanzen in moralischer Hinsicht schwierig zu bestimmen ist – eine der Stellen im Buch, an denen sie aus arbeitsökonomischen Gründen den Gedanken nicht vertieft.

Langfristige Zukunft der Art sichern

Korsgaard ist in ihrem Anspruch, eine Ethik zu begründen, die allen Tieren gerecht wird, keinesfalls zimperlich. Sie erörtert sogar die Frage „Sollten Menschen aussterben?“, weil Menschen schließlich für das Leid und Aussterben sehr vieler anderer Tiere verantwortlich seien. Mit Marx und Kant kommt sie zum Ergebnis, wir Menschen seien „die einzigen Tiere, die sich selbst als Angehörige einer Gattung begreifen“ (Marx). Und als diese hätten wir auch ein „Recht uns zu bemühen, die langfristige Zukunft unserer Art zu sichern“.

Im Anschluss an Kant beurteilt sie dieses Recht aber als eines, das wir „verwirken“ können, wenn wir nicht aufhören, Tiere zu misshandeln. Eine ziemlich rigorose Folgerung aus ihrer These, dass wir die Welt mit Mitgeschöpfen teilen.

Neben den abstrakteren Überlegungen stehen bei Korsgaard ganz konkrete Fragen wie die nach der Nutztierhaltung. Während sie verschiedene Argumente gegen industrielle Massentierhaltung vorbringt, erscheint ihr theoretisch möglich, Milchprodukte und Eier human zu produzieren. Wobei ihr für ein Urteil „harte Fakten“ darüber fehlen, was für Tiere in dieser Hinsicht gut ist.

Korsgaard zeigt ein umfassendes Problembewusstsein und ist bei aller Vernunftliebe nicht bis ins Äußerste verbohrt. Keinesfalls will sie ihre Artgenossen verpflichten, für alle Tiere Verantwortung zu übernehmen, sondern bloß für die, mit denen man interagiert. Wie sie selbst vermutlich: Am Ende des Buchs bekennt sie, dass sie seit einigen Jahren mit fünf Katzen zusammenlebt, die von ihr das Fleisch bekommen, das sie selbst nicht mehr essen will.

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