Neuer Thriller von Yassin Musharbash: Das Handwerk der Wahrheit

„Russische Botschaften“ ist ein Thriller über Fake News und Investigativjournalismus. Journalist und Autor Yassin Musharbash zeigt viel Insiderwissen.

Ein Mann wartet in einer prächtigen Ubahn-Station auf einen Zug

Die Spuren der Fake News führen nach Russland. Szene in der Moskauer Metro Foto: Sergei Ilnitsky/epa

Ein Roman als mögliches Lehrbuch an der Journalistenschule und zugleich als spannende Lektüre? Yassin Musharbash ist das gelungen. Sein neues Buch könnte durchaus als Pflichtlektüre für den Nachwuchs der schreibenden Zunft dienen. Denn der Thriller „Russische Botschaften“ setzt sich mit dem auseinander, mit dem der Autor im Hauptberuf seine Brötchen verdient, dem Investigativjournalismus.

Im Mittelpunkt des Romans steht die bereits aus dem Vorgänger Werk „Jenseits“ bekannte Journalistin Merle Schwalb vom Globus. Sie steigt in das Investigativteam des Magazins auf. Ausgerechnet als ihr dies mitgeteilt wird, klatscht ein junger Mann neben ihr auf den Boden und bleibt tot liegen.

Was zuerst wie „Clan-Scheiß“ aus Neukölln aussieht, wird schnell zum Spionagefall. Der Gestürzte war Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes GRU. Als Doppelagent lieferte er auch dem deutschen Verfassungsschutz zu. Sein letzter Verrat sollte eine Liste von Deutschen werden, die vom Kreml bezahlt die deutsche Öffentlichkeit beeinflussen sollen. Doch der tödliche Balkonsturz – Mord? Unfall? – kam ihm dazwischen.

Diese Liste gelangt schließlich über einen anderen GRU-Mitarbeiter und Freund des Toten an einen alten Bekannten von Schwalb, an Timur Zossen – auch er Investigativjournalist, allerdings bei der Konkurrenz von der Norddeutschen Zeitung, der NZ. Das besonders Heikle: Auf der teilweise verschlüsselten Liste steht auch der Wirtschaftschef der NZ und „das andere Geschlecht“, wie die Globus-Belegschaft ihre Herausgeberin und Eigentümerin, Adela von Steinwald, nennt.

Yassin Musharbash: „Russische Botschaften“. Kiepen­heuer & Witsch, Köln 2021, 400 Seiten, 16 Euro

Diese Situation führt zu einer Premiere. Die Investigativteams der beiden Blätter schließen sich nach längeren Überlegungen zusammen. Statt einem „Rattenrennen“ – wie es im Journalistenjargon heißt, wenn zwei Konkurrenten hinter der gleichen Nachricht her sind – kommt es zu einer gemeinsamen Untersuchung der Liste und ihres Wahrheitsgehalts. Freilich hinter dem Rücken der beiden Publikationen und deren Chefs. Eine nicht ganz ungefährliche Recherche beginnt.

Vorwurf der Lügenpresse

Ein Roman, der erlaubt, Mäuschen in den Redaktionen großer deutscher Medien zu spielen

„Russische Botschaften“ handelt von Operationen des Kreml und seines Umfeldes, um die Gesellschaften bestimmter Länder gezielt zu spalten. Es ist ein Buch in Zeiten von Fake News und breiter Online-Operationen, die mit ausländischer Unterstützung – siehe Trump – sogar wahlentscheidend sein können. Und es ist ein Roman in Zeiten, in denen die Presse durch Skandale, wie der um einen preisgekrönten Reporter, der seine Geschichten erfunden hat, ihren guten Ruf immer mehr verliert.

Auch die Hauptfigur Merle Schwalb sieht sich dem Vorwurf der „Lügenpresse“ ausgesetzt. Sie kämpft dagegen an, sieht sich der Wahrheitsfindung verpflichtet. Die Tatsache, dass die Wahrheit sehr vielschichtig sein kann, bestimmt den Fortgang der Handlung. Es geht letztendlich um die Frage, ob die Wahrheit wirklich stärker ist als die Lüge.

Musharbash verteidigt mit „Russische Botschaften“ den guten Journalismus, ohne dass dabei die Spannung, die einen Thriller schließlich zum Thriller macht, zu kurz kommt. Der Autor, der, was das Thriller-Schrei­ben angeht, wohl so manches bei John Le Carré gelernt haben dürfte, für den er eine Zeitlang als Rechercheur tätig war, gibt einen Einblick in das journalistische Handwerk, das guten Magazintexten zugrunde liegt; und er erlaubt dem Leser, Mäuschen in den Redaktionen großer deutscher Medien zu spielen.

Anspielungen auf Medienwelt

Bewusste Anspielungen auf die Medienwelt und die Hauptstadtblase, in der Berliner Journalisten leben, schließt Mu­shar­bash, der nach Stationen bei taz und Spiegel Online inzwischen als Investigativer bei der Zeit arbeitet, ausdrücklich zu Beginn des Buches nicht aus. Der Autor bedient sich gerne eines feinfühligen Humors, besonders wenn es um Skandale, wie der um einen vermeintlich rassistischen Gastronomiekritiker innerhalb der Redaktionen oder um das Ambiente bei Verleihungen von Journalistenpreisen geht.

So manche/r von Mu­shar­bashs HauptstadtkollegInnen wird beim Lesen manchmal nervös auflachen, oder es bleibt ihm/ihr das Lachen im Halse stecken. Dem Rest der Sterblichen sei das Buch als unterhaltende und aufschlussreiche Lektüre empfohlen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.