Konzert von Jimi Tenor in Hamburg: Erleuchtung hinterm Bauzaun

Der finnische Multiinstrumentalist Jimi Tenor spielte am Freitag live vor dem Hamburger Pudelclub. Dessen erste Veranstaltung seit Pandemiebeginn.

Jimi Tenor, gekleidet in einen blauen Dashiki, singt ins Mikrofon

Jimi Tenor am Freitag beim Konzert vor dem Pudelclub Foto: Miguel Ferraz Araujo

Wenn Kleider Leute machen, dann können sie auch den Ton eines Konzerts setzen. Als Jimi Tenor in seinem afrikanischen Dashiki – strahlend türkis und golden bestickt – am frühen Freitagabend durch den Vorgarten des Hamburger Pudel Clubs schreitet, bekommt sein Auftritt schon vor der ersten Note eine Richtung.

Erschienen ist: der Afrobeat-Jimi, der Space-Jazz Tenor, der Fela-Kuti-Verehrer. Die Unterscheidung ist wichtig, weil es so viele andere Versionen von Jimi Tenor gibt: den Deep-House Club-JT, den Euro-Disco-Trash-JT, den Dub-Metal-Fusion-JT … All diese musikalischen Inkarnationen des 56-jährigen finnischen Künstlers sind nicht scharf getrennt, aber sie treten in unterschiedlichen Gewichtungen auf.

Welche an diesem frühen Freitagabend dominiert, klärt das erste Stück unmissverständlich. Über plockernden Analogbeats erhebt sich bald Tenors sublimes Querflötenspiel zu einer Spiritual-Jazz-Ode an die Wunder der Natur. Ist das Pharoah Sanders mit Korg-Synthesizer? Klingt es wie Stereolab in einer Jam Session mit Yusef Lateef? Nein, es ist der finnische Sohn, heimgekehrt auf historischen Grund: Jimi Tenor, endlich wieder zu Gast im Pudel am Hafen in St. Pauli.

Lange gemeinsame Reise

Denn das hier ist kein weiteres schnödes Freiluftkonzert nach Hygieneregeln, wie sie derzeit aus Grünanlagen sprießen. Es ist eine Etappe auf einer langen gemeinsamen Reise. 1995 legte Tenor ein paar Hundert Meter von der heutigen Bühne entfernt und gebucht vom gleichen Booker wie heute Platten in einem Keller auf St. Pauli auf. Da hatte der Song „Take Me Baby“ Jimi Tenor schon zum Star der Technoszene katapultiert, zu dieser Musik würden bald darauf während der Love Parade eine halbe Million Leute tanzen. Trotzdem steht der Mann mit Warhol-Look im Jahr 2000 mit Querflöte und kleiner Band im winzigen Pudel. Als Jazz-Alchimist schafft er es, diesem Vollholz-Studienrat-Genre einen schwitzigen Clubsound zu verpassen.

Jimi Tenor und der Pudelclub haben ähnliche Karrieren durchlaufen. Beide werden in den 1990ern erfolgreich, aber beide lassen sich davon nicht sättigen, bleiben hungrig, offen, abenteuerlustig. Der Pudel erweitert Programm und Angebot, Tenor erkundet obsessiv obskure Analogsynthies und afrikanische Regionalszenen. Beide, der Künstler und der Club, sind auf der Suche nach neuen Fusionen, beide suchen Glamour im Trash, wollen Herausforderung und Spaß. Das verbindet.

Im Januar hätte der studierte Saxofonist Tenor mit großer Band in der Elbphilharmonie spielen sollen. Es hätte etwas wie das Sun Ra Arkestra unter finnischer Leitung werden können. Das Virus kippte diesen Plan und öffnete den Weg für etwas ganz anderes: Jimi Tenor alleine, unter dem Pudel-Obergeschoss Zwölphi und hinter einem Bauzaun, nur mit Saxofon, Querflöte und einem Tisch Elektronik. Streben nach Größe mit begrenzten Mitteln, noch eine Pudel-Parallele. Nach einer halben Stunde steigert sich das Fiepsen des Korg und Knuspern der Beats in eine Fiebrigkeit, die an die hysterischsten Palais-Schaumburg-Momente reicht. Herrlich! Schnell senkt das bass-erdige „My Mind“ den Blutdruck mit ein paar Barry-White-Schmusemoves.

Tribalistische Oldschool

„I run an oldschool show here“, bemerkt Tenor irgendwann. Es ist keine Entschuldigung, sondern klingt sehr zufrieden. Erinnert er sich an seine jungen Jahre als Alleinunterhalter auf Hochzeiten? Die ersten Tabletts mit Kurzen werden jetzt durch die Sitzreihen des nicht mehr blutjungen Publikums jongliert. Die Stimmung ist gut, ab und zu geht ein Paar Hände in die Luft. Tanzt da wer? Sehr in Ordnung für 19 Uhr. Es wird nun tribalistisch. Tenor salutiert seinem langjährigen Mitstreiter Tony Allen, dem im vergangenen Jahr gestorbenen früheren Schlagzeuger Fela Kutis.

Dann stimmt er „Love is the only God“ an, ein mit der Berliner Afrobeat-Band Kabu Kabu eingespieltes Stück, das Flöte und Gesang auf harte Percussion bettet. Ein paar Übergänge sind verstolpert, aber Tenor regiert die Hardware, changiert vom Saxofon zum Delay zur Orgel zur Flöte, dreht zwischendurch an Reglern, schraubt an Bässen und singt wie ein melancholischer Tundra-Hirte. Um kurz vor halb acht ist alles vorbei. Wie früher im Pudel – nur zwölf Stunden eher. Schorsch Kamerun teilt mit, den „besten Gig seit Jahren“ gesehen zu haben. Pudel-Booker Ralf Köster gibt an, hier und heute den „Glauben an die Clubkultur“ zurückgewonnen zu haben. Die Freude ist groß über solche Abende. Zu Recht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.