Waldsterben in Deutschland: Wenn die Buchen schwinden

In Südhessen macht der Klimawandel den Bäumen zu schaffen. Ein Forstwirt und eine Hobbyfotografin wollen sie retten – auch vor der Forstwirtschaft.

In einem Buchenwald fällt Sonnenlicht auf eine Lichtung auf der ein toter Baumstamm steht

Verwunschen, aber nicht wünschenswert: abgestorbene Bäume im Odenwald Foto: Yvonne Albe

Es sind über 30 Grad in der Sonne, mal wieder. Um der Hitze zu entgehen, sitzen Yvonne Albe und Volker Ziesling im Schatten der Bäume, auf einer frisch gefällten Lärche. Die Hobbyfotografin und der Forstwirt bereiten eine ihrer Erkundungen auf dem Felsberg am westlichen Rand des Odenwaldes vor. Sie sind ein eingespieltes Team, wenn es darum geht, den nahenden Kollaps des Waldes zu erspüren – und zu erklären, wie sie ihn aufhalten wollen.

Jeden Tag kommen Hunderte Be­su­che­r*in­nen an diesen Teil der südhessischen Bergstraße. Unzählige teils meterhohe Steine bilden hier das „Felsenmeer“, das über Hunderte Meter den dunklen Wald am Hang des Feldbergs durchbricht. Die Steine prägen das gesamte Areal. Das Felsenmeer entstand, so erzählt man es sich bis heute, als sich zwei Riesen mit Felsen bewarfen, bis einer der beiden darunter begraben wurde.

Volker Ziesling und Yvonne Albe haben sich im Sommer 2020 bei einer Informationsveranstaltung zum Zustand des Waldes kennengelernt. Seitdem machen sie regelmäßig Spaziergänge an den Hängen des Felsbergs. Yvonne Albe haben zunächst die eigentümlichen Felsen mitten im Wald zur Naturfotografie inspiriert. Doch bei ihren Ausflügen hat sie auch immer wieder Baumfällarbeiten im Naturschutzgebiet beobachtet. „Mit meinen Nachfragen und Einwänden beim Forstamt und der Gemeinde bin ich aber immer abgeblitzt“, erzählt sie.

Der Speyerer Forstwirt Volker Ziesling arbeitete jahrelang in der Branche, bevor er im Streit über ökologische Fragen ausschied. „Wir sind jetzt schon mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert, und noch immer entscheidet eigentlich nur die Forstwirtschaft über den Wald“, erklärt er seine Motivation, sich für die Wälder einzusetzen.

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Die Lichtung als Bühne eines Dramas

Der Felsberg ist von Buchen geprägt und stellt damit inzwischen eine Rarität unter den deutschen Wäldern dar. Früher war Deutschland zu zwei Dritteln von Buchenwäldern bedeckt, heute machen sie nur noch 16 Prozent einer insgesamt stark geschrumpften Waldfläche aus. Verdrängt werden die Buchen vor allem von Kiefern – und von Fichten, die eigentlich in größeren Höhen heimisch sind. Besonders seit der Industrialisierung werden die schnell wachsenden Nadelbäume für die Holzindustrie über ihr natürliches Habitat hinaus verbreitet.

Als Laie sieht man dem Wald seinen schlechten Zustand oft nicht an. So wirken die vielen Schulen frisch gepflanzter Nadelbäume wie eine Unterstützung der Verjüngung, verdecken jedoch, dass dafür zuvor alte Bäume gefällt wurden. Auch der Abtransport von Totholz erzeugt den Eindruck eines lebendigen Waldes, schadet jedoch der Artenvielfalt und Reproduktion.

Volker Ziesling zeigt vom Weg aus auf die tiefen Fahrrillen, die in den Wald führen. Ein doppelt unterstrichenes R auf einem Baum markiert die Rückegasse, durch die Maschinen Bäume hinausholen. Am Ende der Gasse steht man auf der Bühne eines Dramas. Die Stille und das vom einfallenden Sonnenlicht betonte Grün der Gräser, Sträucher, Bäume – das ist schön, fast romantisch. Doch Ziesling warnt vor diesem Eindruck: „In einen gesunden Wald sollte zu dieser Jahreszeit gar kein Licht fallen.“

Die Ursache dafür ist eine künstliche Lichtung nur wenige Meter weiter. Die Leerstelle ist Ergebnis eines Schirmschlags. So nennt man das Fällen großer Bäume, die mit ihrer Krone jüngere Bäume vor der Sonne schützen, eben wie ein Schirm. Ist einmal ein Loch zwischen die Baumkronen gerissen, setzt ein Dominoeffekt ein: Das Sonnenlicht frisst sich regelrecht durch den Wald, und ein Baum nach dem anderen stirbt in kürzester Zeit ab. In der Nähe eines Schirmschlags kann man das Sterben in Raten gut nachvollziehen: Je näher sie zur Lichtschneise stehen, desto weniger Blätter tragen die Buchen, und in der prallen Sonne stehen nur noch blanke Holzstämme.

Volker Ziesling, Forstwirt

„Es stimmt, wenn die Forstwirtschaft warnt: Der Wald stirbt. Aber den Großteil hat sie selbst zu verantworten“

„Ich bin fast täglich für Fotos hier im Wald unterwegs“, erzählt Yvonne Albe, „und ich entdecke kaum noch Bäume ohne Schäden.“ Besonders fallen ihr die Schäden an der Rinde auf. Mal kommen sie von den Rodungsarbeiten, mal von Tourist*innen, die Botschaften hineinritzen. Das Hauptproblem ist aber wieder der fehlende Schatten: In der Sonne wird die Schicht unter der Rinde so heiß, dass sie einfach aufplatzt.

Ein geschlossenes Blätterdach senkt die Temperaturen signifikant. Deshalb sind naturnahe Buchenwälder im Vergleich zum Nadelwald resistenter gegen die steigenden Temperaturen und speichern mehr Wasser und CO2. Die Bundesregierung hatte schon 2007 beschlossen, bis 2020 fünf Prozent der staatlichen Waldfläche in Naturwald zu verwandeln und der wirtschaftlichen Nutzung zu entziehen. Doch 2021 beträgt der Anteil nur gut drei Prozent. Naturschutzorganisationen kritisieren neben der schleppenden Umsetzung, dass vor allem Flächen, die ohnehin schwer zu bewirtschaften sind, der Natur überlassen wurden.

„Es stimmt, wenn die Forstwirtschaft warnt: Der Wald stirbt“, sagt Volker Ziesling, „aber den Großteil hat sie selbst zu verantworten.“ Denn die Landes­gesetze – die Hälfte des Waldes ist in öffentlicher Hand – schrei­ben den betriebswirtschaftlichen Gewinn als Ziel der Forstverwaltung fest. Das fördert wiederum die Umwandlung von Laub- in Nadelwald. „Da fehlt jedes volkswirtschaftliche oder langfristige Denken. Wir wissen längst, wie wertvoll der Wald ist – für die Gesundheit, die Wasserqualität, den Kampf gegen den Klimawandel. Aber nur der Holzpreis wird in Wert gesetzt und berechnet.“ Dabei sei auch die Forstindustrie längst auf enorme staatliche Zuschüsse angewiesen. „Selbst ökonomisch betrachtet, ergibt das gar keinen Sinn mehr, aber da findet keine Selbstkritik statt“, sagt Ziesling.

„Der Wald wird bewirtschaftet, weil er bewirtschaftet wird. Das ist für uns ein Zuschussgeschäft“, bestätigt Helmut Adam am Telefon. Er ist der Vorsitzende der Gemeindevertretung Lautertal, der ein Großteil des Waldes dort gehört. Für Adam ist der Wald um das Felsenmeer eine Erfolgsgeschichte. „Noch vor dreißig bis vierzig Jahren gab es Leute, die sich daran erinnern konnten, dass der Felsberg früher komplett kahl war. Es ist also enorm, was da an Biomasse dazugekommen ist.“

Volker Ziesling, Forstwirt

„Die Wälder können dem Klimawandel etwas entgegensetzen – wenn wir sie nur lassen“

Angesichts weltweiter Umweltkatastrophen sei es Zeit, Natur und Klima zu schützen. Die Verantwortung dafür läge jedoch nicht auf der lokalen Ebene, und Adam kritisiert, „dass Leute, die nicht von hier kommen, über anderer Leute Eigentum entscheiden wollen“. Volker Ziesling kann darüber nur den Kopf schütteln. „Bei der Abholzung schauen wir immer – und auch zu Recht – auf ferne Urwälder wie den Amazonas, aber hier kommen wir nicht mal von Ortschaft zu Ortschaft voran“, fasst er das Dilemma zusammen.

Yvonne Albe blickt über den von meterhohen Steinen bedeckten Hang. „Das Felsenmeer ist für die Menschen in der Region auch touristisch wichtig. Wir wollen es als Ausflugsziel erhalten, aber nachhaltig gestalten“, sagt sie. Moderne Stege, die den Waldboden im Naturschutzgebiet vor zu vielen Spa­zier­gän­ge­r*in­nen schützen, wären eine Möglichkeit. Vor allem aber wollen Albe und Ziesling, dass der Wald nicht mehr bewirtschaftet, sondern zum Naturwald erklärt wird.

Die Chancen stehen nicht allzu schlecht: In Lautertal prüft die Gemeindevertretung, ob und wie zehn Prozent der eigenen Waldfläche der Natur überlassen werden könnten. Helmut Adam betont aber auch die Bedeutung, die der Rohstoff Holz für nachhaltiges Wirtschaften hat – besonders wenn er lokal hergestellt und verarbeitet wird.

Albe und Ziesling haben derweil eine Petition initiiert, mit der sie das Ende der Holznutzung auf dem Felsberg fordern. „Klar, wir haben noch keine großen Entscheidungen bewirkt, aber davor muss sich ja auch der Blick der Leute auf den Wald ändern. Und da haben wir schon viel erreicht“, sagt Ziesling.

Für ihn sind die alten Buchenwälder des Mezzogiorno so etwas wie ein langfristiges Vorbild, auch für Deutschland. Im Süden Italiens sind manche Wälder schon vor über hundert Jahren komplett der Natur überlassen worden. Trotz der höheren Temperaturen wachsen dort die gesündesten und schönsten Wälder Europas, so Ziesling. An diesem Beispiel sähe man, „dass die Wälder dem Klimawandel etwas entgegensetzen können – wenn wir sie nur lassen. Doch dafür müssen wir jetzt aber die Notbremse ziehen.“

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