Kolumne Lotters Transformator: Generation Quality

Eine Generation, die die Transformation hinkriegen will, muss sich richtig anstrengen. Sich Routinen entziehen und für Qualität kämpfen. Harte Arbeit.

Foto: Illustration: Timo Lenzen

Von WOLF LOTTER

1 SOLL DAS NEU SEIN?

In den stets klischeefreudigen Sozialwissenschaften wird die aktuelle Jugend unter dem Kürzel »Generation Z« geführt, das hat was. Es gibt nämlich Hoffnung, dass diese Generation es dem ihr zugeschriebenen Buchstaben im Alphabet gleich tut. Sie ist die letzte Generation, die beim Rattenrennen des Industrialismus mitmacht.

Ah, but I was so much older then

I'm younger than that now.

Bob Dylan, My Back Pages

Der Weg in eine angenehmere Zukunft führt aber über die Transformation, die ganz große. Als Karl Polanyi von seiner Großen Transformation schrieb, vor 70 Jahren, wollte er zeigen, wie sehr der Industriekapitalismus unsere Vorstellung von Wirklichkeit beeinflusst hat. Viele konnten – und können – sich nicht vorstellen, dass es eine andere Normalität gibt als jene, die wir – zugeschnitten für die Konsumgesellschaft und die Massenproduktion – überall vorfinden. Und ja, es war nicht alles schlecht. Der materielle Aufstieg mehrerer Generationen war grundsätzlich gut. Es war der Abschied von der Knechtschaft auf Gutshöfen und der Ohnmacht, eine Chance, den Verhältnissen, in die man hineingeboren wurde, zu entfliehen. Es waren die Jungen, die von den Gutshöfen in die Fabriken gingen, um sich zu verbessern, es waren ihre Nachkommen, die sich durch mehr Bildung der harten Plackerei entziehen konnten. Das galt längst nicht für jede und jeden, aber doch für viele.

Das Materielle ist nicht egal. Und Postmaterialismus muss man sich leisten können. Aber ist diese Generation nicht ganz anders, eben Z, also am Ende im Sinne der alten Welt, muss sie nicht wieder von Neuem anfangen? Obacht. Ludwig Marcuse hat in Bezug auf die Vorstellung, dass die Jungen es immer ganz anders machen als die Alten, festgestellt, dass das Neue daran »in der Regel nur ist, was einer Generation neu vorkommt«.

Das heißt: Es besteht die Gefahr, dass nach der Generation Z wieder die Generation A auftritt. Das könnte also eine durchaus angepasste und dem Industrialismus und dem Mitmachen in allen Lebenslagen äußerst zugewandte Generation sein, was sich ja ganz konkret dadurch zeigt, dass Beamtin und Beamter zu den nachgefragtesten Lebenszielen der jungen Menschen gehören. Will sagen: Die Verunsicherung durch die vielen Neuerungen der Transformation auf all ihren Gebieten führt selbstverständlich nicht geradewegs in das Paradies der sozialen Gerechtigkeit mit angeschlossenem humanistischem Seminar. Das wünschen sich Intellektuelle zwar irgendwie, aber das war – rein historisch betrachtet – eher immer der Indikator dafür, wie es nicht läuft. Das liegt auch daran, dass sich die Generation Z leider, leider nicht nur hinsichtlich des Berufswunschs noch konservativer verhält als die Generation vor ihr. Es liegt vor allen Dingen aber daran, dass man sich – wieder intellektuell – zu wenig anstrengt. Zu schlampig ist beim Kritisieren und Zweifeln. Und dann für neu hält, was ein ganz alter Hut ist.

2 KREISLAUFWIRTSCHAFT

Vor diesem Hintergrund sollten wir jetzt mal den Unterschied zwischen Ritual, Routine und Revolution kurz klarstellen. Ein Ritual ist eine symbolische Handlung, also etwas, dass man tut, damit etwas geschieht, was man nicht im Griff hat oder glaubt, im Griff zu haben. Dazu macht man was, was man immer macht, man murmelt was vor sich hin und bewegt sich nach einem festgelegten Schema. Das klingt schon sehr nach Verwaltungstätigkeit. Und das ist es auch. Wer sich ein wenig umsieht in der Welt der Berufe und ihrer Entstehung, der lernt schnell, dass das, was meistens als unglaublich dynamisch und innovativ verkauft wird, die Welt der Institutionen, in Wirklichkeit ein lahmer Haufen ist. Es gibt diese Einrichtungen, damit sich Dinge nicht ändern. Das ist ihr Zweck, und für eine bestimmte Zeit ist dieser Zweck ausgesprochen nützlich. Andererseits: Organisationen sind konterrevolutionär, und da ist was dran. Jedenfalls sind sie vollkommen ungeeignet, um Veränderungen zu moderieren, weil Organisationen nichts anderes im Schilde führen als den Istzustand bewahren – vornehmlich also die Macht der Etablierten zu sichern. Das kennt man von jenem Amtsklischee, bei dem sich Verwaltungsangestellte unerledigte Akten zuschieben, bis sie wieder am Ausgangspunkt angelangt sind. Und man soll sich nicht darüber lustig machen. Das ist auch Arbeit. Und die Leute tun ihr Bestes, ehrlich. Routiniertes Rumschieben von unerledigten Problemen entspricht geradezu unserer Vorstellung von Arbeit. Es ist eine Art soziale Kreislaufwirtschaft, die dort betrieben wird, ein Recycling, bei dem es um Rituale und Routinen geht.

Nun aber geht es nicht um Re-, sondern Upcyling. Um Qualität. Deshalb brauchen wir eine Generation Quality.

Industria heißt auf lateinisch Fleiß. Die Industriegesellschaft ist eine Fleißgesellschaft, die immer das Gleiche tut und dabei insgeheim hofft, dass sich alles zum Guten wendet. Das ist natürlich gestört, wissen die selbst, aber einfacher, als gründlich, radikal nachzudenken und sich zu fragen, ob denn nach Z unbedingt wieder A kommen muss. Die Industriegesellschaft hat ihre Routinen errichtet, ihre »Normalität«, ihre Vorstellung von einem guten Leben, ein Hochsicherheitstrakt, wie es keinen zweiten je gegeben hat, denn ob man sich regelkonform verhält im Job und in der Gemeinde, wird von allen Kolleginnen und Kollegen, von allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern kontrolliert. Keiner wird den Ansprüchen selbst gerecht, aber jeder fordert sie von den anderen ein. Was man Gemeinschaft nennt, ist allzu oft nur ein Knast, der zur Kontrolle der jeweils anderen dient. Gruppenkohäsion heißt das bei Fachleuten. Mehr Wir – das kann also viel bedeuten. Auch hier Obacht beim »Gemeinschaftssinn«, auch der ist nix Neues, schon gar nicht in Germany.

3 REVOLUTIONEN

Revolutionen, wenn man überhaupt davon reden kann, sind Vorgänge, bei denen es nicht um Notwehr gehen sollte; denn dann sind, siehe Wohlfahrtsausschuss, Robespierre und so, Mord und Totschlag und wiederum totalitäre Eigeninteressen im Spiel – Hannah Arendt berichtet darüber in ihrem fantastischem Buch On Revolution.

Revolutionen sind anstrengende, harte Arbeit, bei denen es darum geht, Selbstbestimmung zu erlangen. Dafür ist die amerikanische Revolution gegen die Engländer ein schönes Beispiel. Die Welt wird verändert, weil es geht und weil die Veränderer keine Lust haben – auch nicht vor vollen Töpfen –, sich von anderen sagen zu lassen, wie sie leben sollen.

Die Deutschen und das Nachdenken, dass man als Voraussetzung für solche Revolutionen braucht, sind ein eigenes Kapitel, aber machbar sollte es rein theoretisch auch hier sein.

Die Gefahr, die sich dabei ergibt, ist, dass man eine Pseudorevolution macht, die nur aus Demonstrationen, Petitionen und vor allen Dingen Reaktionen besteht. Ein Beispiel: Transformation bedeutet in gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Hinsicht den Vorgang des Wechsels von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Die Industriegesellschaft ist eine tendenziell nach planwirtschaftlichen, zentralistischen Vorstellungen ausgerichtete Ökonomie, die Wissensgesellschaft hingegen baut auf Netzwerken und Kooperationen.

Die Industrie setzt dabei auf Einheit, Standard, Massenproduktion – auf Quantität. Die Wissensökonomie hingegen ist eine Qualitätswirtschaft, bei der es darum geht, sehr verfeinert, personalisiert, lösungsorientiert und im Detail zu denken. Hier die Routine, dort das Detail. Das ist übrigens Vielfalt, ein Wort, das im englischen Diversity heißt. Unterschiedlichkeit. Einzelgerechtigkeit. Das Ziel aller Aufklärung – jede nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen also.

Wie Verwaltungsangestellte ihre Akten rumschubsen, schubsen die vermeintlichen Kinder der Revolution nun dieses Versprechen der Aufklärung rum, indem sie nur auf industrielle Missbildungen reagieren, aber in Sachen eigener, selbstbestimmter und selbstverantworteter Ökonomie nicht hörbar sind. Wer also fordert, was die Alten hatten, und das für neu hält, macht seinen Job nicht, sondern reagiert bloß, wird von der Generation Z zur Generation A – und dieses A kann für allerlei stehen, nur für nichts Gutes.

Rituale, Routinen und falsche Revolutionen, die nur reagieren, aber nicht verändern und Neues schaffen – also innovativ sind –, führen halt zu den immer gleichen, trostlosen Verhältnissen, über die man sich dann erregen kann, ohne was verändert zu haben. Das ist der Lifestyle, dem man sich entziehen muss. Nicht glauben, dass es neu ist, sondern machen.

Zweifel ist der Weisheit Anfang, hat der alte René Descartes gesagt, als die Aufklärung losging, und das stimmt immer noch. Generationengerechtigkeit hat also was mit Zweifeln zu tun, mit dem, ob das, was die Eltern wollten, richtig ist, und dem Denken praktischer Alternativen dazu. Man kann die Zukunft nicht besser machen, wenn man nur die Vergangenheit als Maßstab nimmt. Eine bessere Welt ist nicht das Gegenteil dessen, was wir kennen. Eine Generation, die aus der Endlosschleife raus geht, muss das wissen.

Gerechtigkeit ist nicht, zu haben was die anderen haben, sondern das was man braucht, und das ist was man will, was man selbst hinkriegt. Die Transformation fängt an, wo das Routinedenken und der Reflex aufhören. Diese neue Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit, die aus selbstbestimmten Menschen besteht, voranzukriegen, ist Arbeit für Erwachsene. Und das Neue ist dann nicht, was uns neu vorkommt, also eine Illusion, sondern sind die Fakten, die wir schaffen, vielleicht sogar eine neue Welt, bei der man nicht wieder – schon wieder – ganz von vorn anfangen muss.

Sondern sich entwickeln kann.

Nach seinen Fähigkeiten.

Und Bedürfnissen.

WOLF LOTTER ist Autor zum Thema Transformation, Gründungsmitglied des Wirtschaftsmagazins brand eins und dessen langjähriger Leitessayist. Für taz FUTURZWEI schreibt er die Kolumne LOTTERS TRANSFORMATOR.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°17 erschienen.

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