Hospitalisierungen statt Infektionen: Neue Indikatoren bei Corona

Die Groko will die Pandemiepolitik künftig an die Lage in den Kliniken koppeln. Sachverständige wollen die 7-Tage-Inzidenz aber nicht völlig aufgeben.

Ein Intensivpfleger auf der der Intensivstation mit einer PatientIn

Soll künftig eine größere Rolle spielen: Intensivstationen in Deutschland füllen sich wieder Foto: Kay Nietfeld/dpa

FREIBURG taz | Die Zahl der Covid-Neuinfektionen soll nicht mehr zentraler Maßstab für staatliche Shutdown-Maßnahmen sein. Diesen Plan der Koalition unterstützten alle Sachverständigen bei einer Anhörung im Bundestag. Die Zahl der Infizierten solle aber weiter eine wichtige Rolle als Frühwarnindikator spielen.

Im Juni 2020 hatte sich die 7-Tage-Inzidenz als zentraler Maßstab für staatliche Maßnahmen durchgesetzt. Gemeint ist die Angabe wie viele Menschen pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen in den letzten sieben Tagen neu erkrankt sind. Seit November 2020 steht die 7-Tage-Inzidenz sogar im Infektionsschutzgesetz. Ab einem Wert von 35 sind die Bundesländer zu „breit angelegten Schutzmaßnahmen“ verpflichtet.

Inzwischen sind aber mehr als 60 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft. CDU/CSU und SPD haben sich daher geeinigt, die Infektionsinzidenz als Leitindikator abzulösen. Sie sei nicht mehr geeignet, schwere Verläufe der Krankheit vorherzusagen.

In einem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen von Montagnachmittag heißt es nun, „wesentlicher Maßstab“ für Schutzmaßnahmen solle die Hospitalisierungsinzidenz werden. Gemeint ist die Zahl der pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen während der letzten sieben Tage ins Krankenhaus aufgenommenen Covidpatient:innen.

Die Bundesregierung hat es eilig

Immerhin sollen drei andere Werte noch als „weitere Indikatoren“ gelten: die bisherige 7-Tages-Inzidenz der Neuinfektionen, die verfügbaren Intensivbetten und die Zahl der Geimpften. Wie die Indikatoren zueinander gewichtet werden, sollen die Landesregierungen entscheiden. Sie sollen die konkreten Schwellenwerte festlegen und anordnen, welche Maßnahmen nach einem Überschreiten dieser Schwellenwerte folgen müssen.

Die Koalition hat es eilig. Schon am Dienstagmorgen gab es zu ihrem Vorschlag eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Dabei zeigte sich, dass die Infektions-Inzidenz immer noch An­hän­ge­r:in­nen hat. „Bei Personen über 35 Jahren erlaubt sie eine relativ verlässliche Vorhersage, wie viele Covidpatienten elf Tage später in den Intensivbetten liegen“, erklärte Gernot Marx von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI).

Mehrere Sachverständige plädierten für einen Mix aus drei Indikatoren: Infektionsinzidenz, Hospitalisierungsinzidenz und Belegung der Intensivbetten. Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft sprach von einem „Dreiklang“.

Der Münsteraner Rechtsprofessor Hinnerk Wißmann kritisierte, dass wieder nur die Exekutive entscheide, und sprach von einer erneuten „Entparlamentarisierung“. Die Juristin Andrea Kießling von der Universität Bochum warnte, dass der vage Koalitionsvorschlag den Gerichten kaum Anhaltspunkte zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit gebe.

Die Koalition will die Änderung des Infektionsschutzgesetzes am kommenden Dienstag beschließen.

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