Die Wahrheit: Arschbombe im Froschbikini

Bei einer Traditionsveranstaltung in einem bayerischen Freibad zeigt der Wahlkampf seine irritierende Kehrseite.

Das Bild zeigt einen springenden Jungen im Schwimmbad.

Die gemeine Arschbombe ist längst Teil der politischen Debatte Foto: ap

Wermut Lattenbacher ist der Organisator eines weltweit einzigartigen, bajuwarisch urwüchsigen Politfestivals. In einem Naturbad in Trösen an der Mill stellen sich Po­li­ti­ke­r*in­nen aller Parteien einem politischen Schlagabtausch, der fast ganz ohne Worte auskommt, aber Tausende begeistert. Sie treten an zum Arschbomben-Contest.

Ursprünglich war der Wettbewerb als sommerliche Kinderbespaßung gedacht, aber dann fielen die großen Ferien in den Siebzigern mitten in einen Vorwahlkampf. „Und nach einigen Mass Bier am Lagerfeuer, für die Kinder natürlich nur Radler, kamen wir auf die Idee: Wie wär’s, wenn die Politiker, statt immer nur zu reden, mal wirklich etwas leisten müssten?“, erinnert sich der pensionierte Jugendamtsleiter des Mill-Dürringen-Kreises in Hinterbayern. Die Idee schlug ein, nun ja, wie eine Arschbombe.

Bleibende Eindrücke

„Alle sind’s scho do’gwesen!“, fällt der passionierte Wasserbombardier schwelgend in den Dialekt zurück: Franz Josef Strauß („Des wor a Platschen!“), Helmut Kohl („A Riesenoarsch, do kam für a poa Frösche jeda Hilfe zua spät!“), Sigmar Gabriel („A Naturbegabung. Wenigstens des hod ea konnt“). Auch Politikerinnen hinterließen bleibende Eindrücke im Nass: Renate Schmidt, Hildegard Hamm-Brücher, Petra Kelly. Nur Angela Merkel kam nie an die Mill. Lattenbacher ärgert das: „Natürlich haben massive Menschen einen physischen Vorteil. Aber die Größe ist nicht entscheidend, es kommt auf die Technik an.“ Er lacht anzüglich. Die Physikerin Merkel hätte hervorragende Chancen, den perfekten Einschlagwinkel für eine „Monumentalplatschung“ zu errechnen. Und ordentlich Sitzfleisch hätte sie ja auch. „Aber Merkel musste um ihren Sieg ja nie kämpfen“, räumt Lattenbacher ein. Anders als die diesjährigen Kombattant*innen.

Mittwoch, 17.30 Uhr. Rund 2.000 Trösenerinnen und Trösener verteilen sich auf Liegewiese und Strand des Naturbads, einige Tribünen wurden eigens errichtet. Es ist ausverkauft, ohne Corona wären doppelt so viele gekommen, es herrscht Volksfeststimmung.

„Wir haben lang diskutiert, ob man angesichts der Jahrhundertflut in der Eifel überhaupt noch Arschbomben machen darf“, erklärt Lattenbacher. Deshalb gehe der Eintritt nun komplett an die Fluthilfe im Ahrtal, Arschbombardement für den guten Zweck.

Vollblutpessimist auf dem Einmeterbrett

Das hat auch Karl Lauterbach überzeugt, der heute den Anfang macht. Noch vom Einmeterbrett aus gibt der Vollblutpessimist Interviews zur Impfmüdigkeit, dann legt er das Karosakko ab, während die Trösener Feuerwehrkapelle den Fracksausener Panikmarsch intoniert, der in einen zirzensischen Trommelwirbel mündet. Das Publikum hält den Atem an. Kann das spindeldürre Gesundheitsmännchen, dessen favorisierter Wassersport die Kneippkur ist, hier die Wassermassen bewegen? – Ja. Obschon vom Körperbau einer Augsburger Marionette vergrößert er durch präzise berechnetes Anwinkeln der Knie seine Eintauchoberfläche und platscht wie ein yogischer Flieger ins Nass: Die Fontäne schnellt so sicher hoch wie die vierte Welle. Das bringt Lauterbach beste Haltungsnoten bei der Wertungsjury ein. Die besteht aus der Leiterin der Volkshochschule (einer nebenberuflichen Dressurreiterin), dem Sportreporter der Mill-Dürringer Nachrichten, dem stellvertretenden Bademeister sowie zwei Vorschulkindern. Lauterbach schüttelt dennoch enttäuscht den Kopf: „Die Spritzer waren nicht annähernd so hoch wie die Inzidenzahlen hier im Landkreis.“

Als nächstes ist Annalena Baerbock dran. „Ich bin schon froh, wenn ich das Wasser treffe“, kokettiert die Wahlkämpferin und distanziert sich vorsorglich von dem Begriff „Arschbombe“, der ihr zu militaristisch sei. Sie werde einen „Wasserplatscher“ zeigen, „der sich gewaschen hat“. So kommt es dann auch: Im froschfarbenen Bikini läuft die erste grüne Kanzlerkandidatin perfekt an, und zwanzig Sekunden kann schon wieder niemand erklären, wie das denn jetzt genau passieren konnte. Souverän abgehoben gelingt es Baerbock trotzdem, eine astreine Bauchlandung hinzulegen. Ein Stöhnen geht durch das Auditorium, das tut schon beim Zuschauen weh.

„Menno, nicht mal das kann ich“, schnauft Baerbock, als sie mit schmerzverzerrtem Gesicht von der DLRG aus dem Wasser gefischt wird. Arme, Bauch und Oberschenkel der Kanzlerkandidatin leuchten rot wie ein Wahlplakat von Olaf Scholz. „Hoffentlich kein Omen für die Wahl“, versucht Baerbock zu scherzen und wird dann kleinlaut: „Vielleicht hätte ich das hier auch besser dem Robert überlassen sollen. Der nimmt ja immer erfolgreich am Husumer Watthupfen teil.“ Doch es kommt noch ärger: Dort, wo Baerbock auf den Wasserspiegel geklatscht ist, treibt nun eine tote Forelle, die grüne Spitzenkandidatin erbleicht. Das gibt einen Shitstorm von Tierrechtler*innen.

Im Contest wird sie trotzdem dritte Kraft, auch Dank hervorragender Haltungsnoten der feixenden Vorschulkinder in der Jury, bei denen ihre Slapstickeinlage klasse ankam. Letzter wird Björn Höcke (AfD), der Möchtegern-Führer der Deutschen zog auf dem Einmeterbrett wegen Höhenangst zurück.

Arsch auf Rübenacker

Auch Christian Lindner strauchelt bei einer zünftigen Arschbombe. In seinem hautengem Neoprenanzug in den Farben Magenta, Zitrone und Himmelblau sieht er aus wie eine Werbesäule für Acryllacke, wäre da nicht der elektrische Düsenantrieb an seinen Fußfesseln. „Das ist made in Germany“, erläutert er seine Bombenstrategie. „Maximale Höhe gewinnen, dann effizient aufschlagen.“ Ob das nicht das Prinzip Möllemann sei, fragen wir, aber der FDP-Chef winkt ab: Er demonstriere hier, wie man den „Herausforderungen unserer Zeit mit technologischer Innovation begegne.“ Sagt’s und zündet noch vorm Startschuss seine Triebwerke. Sein Arsch schlägt jenseits der Flussaue in einem Rübenacker ein. „Lieber nicht platschen, als schlecht platschen“, wird er sich auf seinem Höhenflug gesagt haben.

Als letztes springt Titelverteidiger Andreas Scheuer, wie immer im blau-weißem Männertanga. Und auch heute platscht er aus dem Stand in die Wasser der Mill, als wären sie ein riesengroßer Fettnapf. Das ist die Führung für den sympathischen Nichtsnutz aus Bayern.

Lattenbacher klatscht begeistert Beifall. „Hier darf man’s ja sagen“, gluckst er. „Das ist einfach der beste Arsch der Bundespolitik!“ Und er werde sogar von Mal zu Mal besser! „Kein Wunder, was der nicht schon alles ausgesessen hat!“

Andreas Scheuer nimmt die Trophäe, einen nackten Po, geformt aus Wassereis, sichtlich gerührt entgegen und leckt daran. Ein Bild, das sicher um die Welt gehen wird.

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kari

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