Japans Abschottungspolitik: Prinzip der Selbstisolierung

Olympia sollte eine neue Offenheit nach Japan bringen. Doch die Pandemie verstärkte das Gefühl vieler Japaner, dass man unter sich bleiben will.

Japaner mit Gesichtsmasken gehen über eine Kreuzung

Japaner bleiben lieber unter sich: Pandemiealltag in Tokio Foto: ap

Die „Blase“ um die Sommerspiele habe verhindert, dass die eingereisten Athleten und Offiziellen das Coronavirus in Japan verbreitet haben, zog der oberste nationale Epidemieberater Shigeru Omi soeben eine positive Bilanz der rigiden Schutzmaßnahmen.

Aber mit der Austragung der Spiele mitten in der Pandemie habe die Regierung die Wachsamkeit der Japaner untergraben, kritisierte Omi und verwies auf die rasant gestiegenen Infektionszahlen der vergangenen Tage. Seine Analyse halte ich für zutreffend. Aber meine Sorge gilt den Lehren, die Japan daraus ziehen wird.

Vor der Pandemie zeichnete sich ab, dass die Spiele einen Modernisierungsschub für die japanische Gesellschaft bringen würden. Japan wollte sich von seiner besten Gastgeberseite zeigen. Daher rückten die Diskriminierung von Ausländern, die Benachteiligung von Frauen, die Rechte von LGBT-Minderheiten und die Integration von Menschen mit Behinderungen auf der politischen Tagesordnung weit nach oben.

Olympia wäre der Höhepunkt einer beispiellosen Öffnung für ausländische Einflüsse gewesen: Binnen zehn Jahren wuchs die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte um die Hälfte und die Zahl der ausländischen Touristen um das Vierfache. Japan hieß auch viele Auslandsinvestoren willkommen.

Trend der Japanisierung

Das Coronavirus hat diesen Trend zur Internationalisierung abrupt beendet. Bewohner und Politiker von Japan sind in die Mentalität von Sakoku zurückgefallen. Sakoku bezeichnet die Abschließung Japans zwischen 1639 und 1853. Es gab keine Ausländer, ihre Einreise war verboten. Diesmal begann die Selbstisolierung im März 2020, als Japan seine Grenzen schloss und nur noch Japaner einreisen ließ.

Alle Ausländer mit japanischem Wohnsitz, die gerade außer Landes weilten, durften ein halbes Jahr lang nicht zurückkehren. Der Doppelstandard gilt bis heute: Seit Ende Juni erlaubt die EU allen Japanern die Einreise, aber Japans Grenzen bleiben für EU-Ausländer dicht.

Die Austragung der Sommerspiele trotz Pandemie verstärkte das Gefühl vieler Japaner, dass man lieber unter sich bleiben will. In dieser Haltung wurzelte die Entscheidung, eine Blase um Olympia zu legen. Eigentlich trifft der Ausdruck „Kapsel“ die Absicht der Japaner besser, die Ausländer von sich fernzuhalten. Die Folgen für die olympische Idee waren tragisch: Die Begegnung mit dem bunten Ausländer­tross wurde als Bedrohung statt Bereicherung gesehen. Die Gesellschaft verschloss ihre Türen, statt sie aufzumachen.

Nach meinem Eindruck könnte sich diese „Japanisierung“ nach Olympia fortsetzen. Aus Angst vor der Delta- und bald der Lambda­variante hält die Inselnation die Schotten womöglich weiter dicht. Die Wendung nach innen würde es jedoch Frauen, LGBT und anderen Minderheiten erschweren, mehr Einfluss und Rechte durchzusetzen – und das wäre ein wirklich trauriges Erbe dieses schönen Sportfestes.

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Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.

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