Gewässerökologe über Flutfolgen: „Die Lücken verschlammen“

Wie schlimm ist extremes Hochwasser eigentlich für Bachflohkrebse und andere Kleinstlebewesen? Fragen an den Gewässerökologen Hans Jürgen Hahn.

Ein Krebs läuft auf einer schlammigen Straßen, im Hintergrund liegen abgebrochene Bäume

Von der Flut auf die Straße gespült: ein Krebs im Ahrtal-Ort Schuld nach dem Hochwasser Foto: Michael Probst/ap

taz am wochenende: Herr Hahn, kleinste Lebewesen wie Bachflohkrebse und Köcherfliegen machen den Großteil der mit bloßem Auge sichtbaren Tiere in einem Fluss aus. Überleben sie extreme Hochwasser wie das im Juli?

Hans Jürgen Hahn: Wenn sie nicht verschwemmt oder von Sand und Steinen zerrieben werden. Zum Glück sind Fließgewässer-Ökosysteme dynamisch: Tiere erobern sich einen Lebensraum relativ schnell wieder, wenn es nicht dauerhaft Störungen gibt.

Was ist an einem Hochwasser am schlimmsten für die kleinen Lebewesen?

Das Aufwirbeln und Verlagern der Sedimente. Außerdem läuft zu viel Mist ins Wasser. Je größer das Einzugsgebiet eines Flusses, desto mehr Dreck von Industrie, Äckern, Siedlungen und Straßen wird hineingespült. Kläranlagen werden bei Starkregen auf Durchfluss gestellt. Oft ziehen Gräben, Kanalisation und Straßen das Wasser aus der Landschaft heraus, hin zum nächsten Gewässer.

All dieses Wasser saust in den Fluss.

Unter bestimmten Umständen kommt nach starken Regenfällen das Wasser rasend schnell durch die Landschaft. Die Tiere im Fluss haben keine Chance, dem auszuweichen. Die tauchen dann ab in den Untergrund. Wenn das Bachsediment verstopft ist, werden sie abgetrieben.

Wieso verstopft?

Bei vielen Fließgewässern sind die Lückenräume zwischen Steinen und Kies durch Schlamm und Schluff vor allem von den Ackerflächen verkleistert – wir nennen das Kolmation. Hochwässer können diese Situation verstärken, oft spülen sie die Lücken im Sediment aber auch wieder frei. Die Zwischenräume sind mal größer, mal kleiner, je nach dem Gestein im Einzugsgebiet der Flüsse. Sie werden vom Oberflächenwasser und vom Grundwasser durchströmt, so dass Sauerstoff einfließt. Daher können sich Tiere und Mikroorganismen wie Bakterien erhalten. Da unten sind 95 Prozent oder mehr der gesamten Biomasse eines Flusses zu finden. Nur durch die Kleinstlebewesen und intakte Sedimente entsteht ein funktionierendes Gewässer.

Ringelwürmer und Wasserwanzen schaffen saubere Flüsse?

Alle zusammen. Die Sedimente mit ihren Bakterienfilmen bilden einen Biofilter, der das Flusswasser reinigt. Sie und andere Mikroorganismen werden von Insektenlarven und kleinen Tieren gefressen. Die zerkleinern und zersetzen zudem das organische Material wie Blätter, Äste oder Aas, und durch ihre Grabtätigkeit halten sie die Nischen im Sediment ja auch offen. Das ganze führt zur Selbstreinigung der Flüsse.

Und was passiert, wenn die Lücken verschlammen?

Wenn die Nischen verstopfen, haben die kleinen Tiere keinen Lebensraum. Damit entfällt die Funktion der Bachsedimente als reinigender Bioreaktor. Lachse, Forellen, Bachmuscheln haben keinen Brutraum mehr, die Lebensgemeinschaft im Fluss verarmt. Die Biodiversität geht zurück und damit auch die Ökosystemdienstleistungen.

Was bedeutet das für das Grundwasser?

In kolmatierten Bereichen wird die Wechselwirkung zwischen Oberflächenwasser und Grundwasser reduziert – es strömt nicht so viel Wasser ins Grundwasser, aber es strömt auch weniger Grundwasser ins Oberflächenwasser.

Und was heißt das?

Bislang gibt es kaum Untersuchungen dazu, auf jeden Fall dreht sich ein natürlicher Prozess um. Hier spielt der Klimawandel eine große Rolle. Zunehmend versiegen Bäche und Flüsse, der Landschaftswasserhaushalt kippt vielerorts gerade. Im Oberflächengewässer kommt es zu einer Eindickung der Schadstoffe. Beim Versickern wird der Dreck dann zunehmend nach unten ins Grundwasser verklappt.

geboren 1963, ist Gewässerökologe. Er lehrt und forscht als Privatdozent an der Universität Koblenz-Landau, zudem ist er Geschäftsführer des Instituts für Grundwasserökologie.

Die Grundwasserstände sinken seit Jahrzehnten und ziehen das Oberflächenwasser mit in die Tiefe. Es gibt also nicht nur weniger Trinkwasser, es wird auch schmutziger?

Nicht überall in Deutschland, aber in Südwestdeutschland ist die Grundwasserneubildung seit 2000 um 25 Prozent zurückgegangen. Die Konsequenzen sind politisch noch nicht überall angekommen. Den Leuten ist nicht klar, dass im Klimawandel die Mengenprobleme direkt zu Qualitätsproblemen führen.

Werden wir in absehbarer Zeit zu wenig Trinkwasser haben?

Auf jeden Fall in vielen Gegenden deutlich weniger als heute.

Ein Prozent der Flüsse in Deutschland fließt noch natürlich. Welche Folgen hat das?

Die Mehrzahl der Flüsse ist begradigt und eingefasst. Damit geht die Vielfalt der Strukturen verloren, und das spiegelt sich im Verlust der Artenvielfalt. Die anspruchsvollen, die seltenen Arten verschwinden. Und es fehlt die Durchgängigkeit, die Flüsse sind zerhackt in Teilstücke mit Wasserkraftanlagen und Wehren, die natürliche Abflussdynamik fehlt. Kolmation und Mikroschadstoffe wie Arzneimittelrückstände machen den Gewässerbewohnern schwer zu schaffen.

Die Flüsse sind auch sauberer geworden. In meiner Kindheit durfte ich nicht mal mit den Füßen in die Elbe bei Hamburg gehen, heute kann man dort baden.

Im Vergleich zu den 1970er Jahren sind die Gewässer um ein Vielfaches besser geworden. Die Kläranlagen haben eine deutlich bessere Leistungsfähigkeit und fast alle Haushalte und Betriebe sind daran angeschlossen. Die chemischen und biologischen Rahmenparameter haben sich auf jeden Fall verbessert.

Eine gute Nachricht.

Ja, das ist eine der wenigen großen Erfolgsgeschichten im Umweltschutz. Dennoch: Nicht mal zehn Prozent der Flüsse haben den guten ökologischen Zustand erreicht, den die Wasserrahmenrichtlinie vorschreibt.

Laut der EU-Wasserrahmenrichtlinie hätte Deutschland bis 2021 dafür sorgen müssen, dass Flüsse und Seen in einem guten ökologischen Zustand sind. Bislang schaffen das neun Prozent der Flüsse. Deutschland hat bis 2027 Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Was muss passieren?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im Mittelpunkt muss ein funktionierender Landschaftswasserhaushalt stehen. Man muss ein klares Ordnungsrecht schaffen, das dem Landwirt auch mal vorschreibt, dass er in einem Flusseinzugsgebiet keinen Mais anbauen darf, damit bei Regen keine Schlammlawinen vom Acker in den Fluss spülen und die Lücken im Bachbett verstopfen. Es muss einen klar gewässerbezogenen Rechtsrahmen geben, aber je mehr wirtschaftliche Interessen sich im Einzugsgebiet eines Flusses überschneiden, desto schwieriger wird es, die Gesetze zum Grundwassersschutz oder zum Naturschutz in Flüssen umzusetzen. Das sehen Sie in Brandenburg beim Bau der Tesla-Fabrik.

Vertreter von Wirtschaft und Politik wollen die Wasserrahmenrichtlinie novellieren.

Das wäre vermutlich eine Katastrophe. Bei einer Novellierung muss man eine massive Einflussnahme von Interessenverbänden wie der Wasserkraft befürchten.

Die Überschwemmungen haben das Land geschockt. Könnte die Katastrophe dazu führen, dass jetzt mehr passiert?

Der Unfall der Chemiefabrik Sandoz 1986 am Rhein hat zu einem massiven Umdenken geführt. Man hat Einleitungen abgestellt und Kläranlagen gebaut. Es zeigt, was wir alles tun können, wenn wir es wollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.