Abzug aus Afghanistan: Operation misslungen

Die internationalen Truppen lassen ein politisch instabiles Land zurück. Die Taliban sind auf dem Vormarsch, ihre Gegner zerstritten und korrupt.

Bewaffnete Männer nehmen an einer Versammlung am Stadtrand von Kabul teil, um ihre Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte und ihre Bereitschaft zum Kampf gegen die Taliban zu verkünden

Unterstützer der afghanischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban Foto: Stringer/reuters

Natürlich lief nicht alles schlecht in Afghanistan, aber unterm Strich ist die westliche und damit auch die bundesdeutsche Intervention dort klar gescheitert – militärisch und politisch. Zwar ging nach 9-11 von Afghanistan Dank Intervention kein weiterer Terrorangriff mehr aus. Aber Al-Qaidas damaliger Gastgeber, die dann besiegten Taliban, sind heute stärker denn je seit 2001. Sie kontrollieren wieder große Landesteile und dürften bald noch mehr Macht gewinnen, wahrscheinlich auch in Kabul.

Gescheitert ist die Intervention aber vor allem politisch. Afghanistan ist nicht stabil, sein politisches System ist dysfunktional. Es gibt unter den Taliban-Gegnern mehrere sich bekämpfende Machtzentren, die von Korruption zerfressen sind. Dies weckt bei nicht wenigen Afghanen Sehnsucht nach harter Führung, wie sie die Taliban versprechen. Gemessen an den hohen menschlichen wie finanziellen Kosten sind die Ergebnisse der Intervention äußerst dürftig.

Dabei ist das Afghanistan im Jahr 2021 mit mehr (städtischer) Bildung, selbstbewussteren Frauen, Internet und Mobilfunk nicht mehr das Afghanistan von 2001. Es ist viel komplexer. Doch haben der Ruf und die politische Überzeugungskraft der führenden Interventionsländer stark gelitten.

Die westliche Intervention und die Uno sind daran gescheitert, eine traditionelle Gesellschaft im Wechselspiel zwischen Militär, Politik, wirtschaftlichem Wiederaufbau, rivalisierenden regionalen Interessen, kultureller Hegemonie und lokalen Traditionen und Identitäten gleichzeitig zu befrieden, zu modernisieren und zu demokratisieren. Aus heutiger Sicht war das eine klare Überforderung, die auf Naivität, Überheblichkeit, teilweise auch Good Will und Solidarität basierte, und zugleich neoimperiale Ziele des Westens verfolgte.

Wer sollte die Probleme in Afghanistan lösen?

Hinzu kamen die mit Militäreinsätzen verbundenen Probleme wie die Eigeninteressen des militärisch-industriellen Komplexes und die Eigendynamik von Gewalt, die neue Opfer fordert und neue Widerstände provoziert. Dies umso mehr, wenn die Nutznießer der Intervention eigentlich diskreditierte Warlords sind, welche die Werte, in deren Namen die Intervention angeblich stattfindet, ungestraft mit Füßen treten.

Das Ende des Einsatzes am Hindukusch ist deshalb eine überfällige logische Konsequenz. Dabei löst der jetzt plötzlich aus taktischen Gründen überhastete Abzug keins der afghanischen Probleme. Vielmehr stärkt er die Enttäuschung und das Gefühl im Land, im Stich gelassen zu werden. Afghanistan muss seine Probleme in erster Linie vor allem selbst lösen, von außen kann es nur Hilfestellung geben. Doch wurde die afghanische Eigenverantwortung immer erst dann entdeckt, wenn die Interventionsmächte nicht mehr weiter wussten.

Dies hat nicht funktioniert, abgesehen davon sind sich auch die Afghanen heute so wenig einig wie vorher. Zurück bleiben neue Opfer, Enttäuschung und Ratlosigkeit und die Herausforderung, aus der Intervention die notwendigen Lehren zu ziehen. Das sich abzeichnende Scheitern in Mali zeigt, dass dafür keine Zeit bleibt.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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