Slapp–Klagen in der EU: Klagen als Schikane

­­Jour­na­lis­t:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen werden durch juristische Manöver eingeschüchtert. Das EU-Parlament und die EU-Kommission wollen handeln.

Karl Bär Agrarwissenschaftler schaut in die Kamera, hält einen Apfel in der Hand und trägt eine Kapuze auf dem Kopf

Agrarwissenschaftler Karl Bär ist angeklagt, wegen seiner Kritik am Pesti­zideinsatz Foto: Jörg Farys/dieprojektoren

Die EU will rechtsmissbräuchliche Klagen gegen Jour­na­lis­t:in­nen und NGOs verhindern. Die Justiz soll nicht zur Einschüchterung von Medien und Zivilgesellschaft missbraucht werden. Die EU-Kommission hat entsprechende Vorschläge angekündigt. Das Europäische Parlament drängt. Es geht gegen sogenannte Slapp-Klagen. „Slapp“ steht für Strategic Lawsuits Against Public Participation (Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung). Und natürlich soll die Abkürzung an das englische Wort „slap“ für Ohrfeige erinnern.

Slapp-Klagen sind Klagen, die tendenziell aussichtslos sind und vor allem zum Ziel haben, die verklagten Jour­na­lis­t:in­nen und NGOs einzuschüchtern und an ihrer ­eigentlichen Arbeit zu hindern. Meist wird der Vorwurf der Verleumdung erhoben, der zu Strafverfahren führen kann. Häufiger geht es aber um zivilrechtliche Schadensersatzforderungen.

Das in Deutschland bekannteste Slapp-Verfahren betrifft Karl Bär vom Umweltinstitut München. Er steht in Bozen vor Gericht, weil er den Pestizideinsatz auf den Südtiroler Apfelmonokulturen kritisierte. Der Südtiroler Agrar-Landesrat Arnold Schuler stellte einen Strafantrag wegen übler Nachrede, ebenso fast 1.400 Südtiroler Bäuer:innen. Das Umweltinstitut wertet dies als Einschüchterungsversuch und hat sich dem Europäischen Bündnis gegen Slapp-Klagen (CASE, Coalition Against Slapps in Europe) angeschlossen.

Der politische Druck zeigt bereits Wirkung. Im Europäischen Parlament bereiten der deutsche Sozialdemokrat Tiemo Wölken und die maltesische Christdemokratin Roberta Metsola einen Bericht gegen Slapp-Klagen vor. Bei einer ersten Diskussion in den Ausschüssen zeichnete sich am 1. Juli eine breite Mehrheit ab. Die Abgeordneten schlagen einen EU-Rechtsakt gegen Slapps vor. Danach soll der Kläger bei Zivilverfahren mit Bezug zur öffentlichen Partizipation beweisen, dass die Klage nicht missbräuchlich ist. Gerichte sollen verpflichtet werden, missbräuchliche Klagen generell abzuweisen. Wer missbräuchlich verklagt wird, soll Anspruch auf Schadenersatz haben. Strafrechtlich soll die Verfolgung wegen Verleumdung in Slapp-Konstellationen ausgeschlossen werden.

Der Anti-Slapp-Bericht

Auch praktische Hilfe soll künftig EU-weit vorhanden sein, schlagen Wölken und Metsola vor. Die juristische Hilfe für verklagte Jour­na­lis­t:in­nen und NGOs soll aus einem EU-Fonds bezahlt werden. Unabhängige Stellen wie Ombudspersonen sollen Betroffenen zur Seite stehen. Rich­te­r:in­nen sollen geschult werden, um Slapps zu erkennen.

Der Anti-Slapp-Bericht von Wölken und Metsola soll in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments im September beschlossen werden und im Oktober im Plenum. Doch die EU-Kommission, die hier zur Initiative aufgefordert wird, ist schon weitgehend überzeugt. Sie hat bereits versprochen, dass sie noch dieses Jahr Vorschläge vorlegen wird. Sie hat Studien in Auftrag gegeben, die die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten untersuchen, und einen Expertenrat eingerichtet. Věra Jourová, die zuständige Vizepräsidentin, sagte im Mai, offen sei nur noch, ob die Kommission einen Rechtsakt vorschlägt oder es bei Unterstützungsleistungen wie der Finanzierung von An­wäl­t:in­nen belässt.

Gegen einen EU-Akt spricht, dass er vermutlich nur einen sehr beschränkten Anwendungsbereich haben würde. Wölken und Metsola schlagen vor, die Anti-Slapp-Richtlinie auf Fälle mit länderübergreifender Bedeutung zu beschränken, wie etwa den Südtiroler Prozess gegen das Umweltinstitut München.

Da die EU keine generelle Kompetenz für die Gestaltung von Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten hat, dürfte diese Einschränkung wohl zwingend sein. Die EU könnte dann nur darauf hoffen, dass die EU-Staaten für Fälle rein nationaler Bedeutung eigene Gesetze beschließen. Bisher hat kein EU-Staat ein Anti-Slapp-Gesetz. Teile der USA, Kanada und Australien haben solche Gesetze hingegen schon.

In der Praxis dürfte die schwierigste Frage sein, wann ein Missbrauch der Justiz vorliegt. Schließlich ist der freie Zugang zu den Gerichten verfassungsrechtlich genauso geschützt wie die Meinungs- und die Pressefreiheit. Im Europäischen Parlament hatte bisher nur der bulgarische Konservative Angel Dschambaski Zweifel an einem weiten Anwendungsbereich: „Gruppen, die sich von Russland oder China finanzieren lassen und nur Lügen verbreiten, sollten von der EU nicht geschützt werden.“

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