Protest gegen Nestlé in Belarus: Keine Werbung im Lukaschenko-TV

Menschenrechtler kritisieren Nestlé für seine Werbespots im belarussischen Staatsfernsehen. Deutsche Firmen liefern dem Regime Autos und Turbinen.

Entkleidete Protestierende mit Firmennamen auf dem Körper vor der EU-Vertretung in Warschau

Nackter Protest: Regimekritiker im Juni vor der EU-Vertretung in Warschau Foto: imago

KIEW taz | Sie haben nachgezählt: Jeder dritte der Werbespots im Staatsfernsehen kommt von Nestlé. Mit dem Geld des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns würden Sender finanziert, die Interviews mit der vom belarussischen Staat bei einer Flugzeugentführung gekidnappten Journalisten und Aktivisten Roman Protassewitsch führten. Das kritisieren mehr als 50 Nicht­re­gie­rungs­orga­nisa­tio­nen aus 18 Ländern in einem offenen Brief an Nestlé-Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke und an Konzernchef Mark Schneider.

„Unerträglich, dass Nestlé im Umfeld erschreckender Zurschaustellung verängstigter und misshandelter Re­gime­gegner Werbung ausstrahlt“, findet Lars Bünger, Präsident der deutsch-schweizerischen Menschenrechtsorganisation Li­be­reco, die den offenen Brief koordiniert hat. Wenn Nestlé und andere westlichen Unternehmen die Werbung nicht umgehend abstellten, machten sie sich „mitschuldig an den Verbrechen des Lukaschenko-Regimes“.

Es geht nicht nur um den Schweizer Konzern Nestlé. Deutschland gehört laut dem belarussischen Wirtschaftsmedium neg.by zu den fünf wichtigsten Handelspartnern des Landes. An erster Stelle stehen Petroprodukte und Holz. 302 Firmen sind laut neg.by in Belarus registriert, deren Kapital zumindest teilweise in deutscher Hand ist. 90 deutsche Firmen, darunter Siemens, Bayer, BASF und VW haben sogar eine Vertretung in Belarus. Allein der Duisburger Hafen hat hier 30 Millionen Euro investiert.

Allerdings hat die EU im Juni das vierte Sanktionspaket gegen Belarus verhängt. Die Handelsbeschränkungen betreffen Mineralölerzeugnisse, Kaliumchlorid, Tabakerzeugnisse und den Zugang zu den Kapitalmärkten der EU. „Die Sank­tio­nen gegen das Regime bieten die Chance, die Gewalt zu stoppen und Unschuldige freizulassen“, sagt Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Es sei wichtig, den Geldbeutel des Regimes zu treffen.

Besser Investitionen ins „neue Belarus“

„Die deutschen Unternehmen sollten vorübergehend die Zusammenarbeit mit den entsprechenden wirtschaftlichen Sektoren in Belarus einstellen und abwarten, bis sie ins ‚neue Belarus‘ investieren können“, sagt auch Pawel Latuschko, Chef des „Anti-Krisen-Managements“ und führender Kopf der Oppositionsbewegung, der taz.

Das Argument, die Sanktionen träfen die kleinen Leute, ist für ihn „scheinheilig“. „Es sind die kleinen Leute, die momentan zu Tausenden in Gefängnissen sitzen, erpresst, gefoltert und gefeuert werden.“

Auch Franzischak Wja­tschor­ka, Tichanowskajas Berater, fordert „allumfassende Sanktionen“. Er bedauert, dass die aktuellen Strafmaßnahmen der EU sich nur auf Verträge beziehen, die nach dem 25. Juni 2021 geschlossen wurden.

„Wieso hat Mercedes für zwei Millionen Euro Wagen der Luxusklasse für Lukaschenkos Fuhrpark geliefert, während gleichzeitig Geld für den Kampf gegen Covid-19 fehlt?“, fragt auch Pawel Latuschko, ehemaliger Kulturminister von Belarus und einer der bekanntesten Sprecher der Opposition. Der Westen dürfe Belarus nicht mit Staatsanleihen von über 1 Mil­liar­de Euro finanzieren, sagt Latuschko.

Balten boykottieren belarussischen Atomstrom

Er kritisiert auch Siemens: Während sich die baltischen Staaten entschieden haben, belarussischen Atomstrom zu boykottieren, beliefert der Münchner DAX-Konzern die belarussische „Witebskenergie“ für zwei neue konventionelle Kraftwerke mit 16 Gasturbinen.

Die erste Turbine ist bereits am 16. Mai in Belarus geliefert worden. Die neuen Kraftwerke sollen, so berichtet die staatliche Agentur belta.by, fehlende Reservekapazitäten des im November 2020 ans Netz gegangenen AKW Ostrowez ausgleichen.

Allerdings sind die Sanktionen auch bei den Regimekritikern nicht unumstritten: Igar Tischkewitsch, im renommierten Ukrainian Institute for the Future für Belarus zuständig, hält den Abbruch legaler Wirtschaftsbeziehungen sogar für „dumm“. „Nennen Sie mir ein Beispiel der letzten zwanzig Jahre, das zeigt, dass politische und wirtschaftliche Sanktionen der EU in zumindest einem Staat der Welt zu politischen Transformationen geführt haben“, sagt er der taz.

Nicht Präsident Alexander Lukaschenko leide unter den Sanktionen. Über dunkle Kanäle könne er trotz Sanktionen Waren aus der EU nach Russland weiterleiten oder mit Waffen und seltenen Erden aus Afrika handeln. Mit dem dadurch verdienten Geld finanziere er Bereiche des repressiven Machtapparates, für die im Staatshaushalt kein Geld vorgesehen sei.

Kleiner Erfolg für NGOs

Die Leidtragenden von Sanktionen sind für Tischkewitsch Geschäftsleute oder deren Angestellte, die oftmals auch die Politik Lukaschenkos ablehnten. Firmen, die mit Belarus Handel trieben, sollten ihren belarussischen Partnern deshalb klar machen, dass sie politische Verfolgung von Mitarbeitern nicht akzeptieren würden: „Wenn das viele machen, wird man auf sie hören“, sagt Tischkewitsch.

Immerhin: Einen kleinen Erfolg hat der Protest gegen die Geschäfte mit Belarus schon gehabt. Nestlé reagierte inzwischen auf den offenen Brief der NGOs – und hat an diesem Freitag zu einem Gespräch mit hochrangigen Konzernvertretern eingeladen.

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Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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