Demonstrationen zum Weltflüchtlingstag: „Wir müssen diese Rechte gewähren“

Der Brandenburger Verein „Wir packen's an“ beteiligt sich an der Seebrücken-Kampagne „Menschenrechte sind unverhandelbar“ für mehr Flüchtlingsrechte.

Viele BerlinerInnen engagieren sich für Flüchtlingsrechte: Demonstration am 31. Januar in Berlin Foto: Wir packen's an

taz: Frau Tödter, viele Ber­li­ne­r*in­nen und Bran­den­bur­ge­r*in­nen spenden für Ihren Verein „Wir packen's an“, der regelmäßig Sach- und Geldspenden in Flüchtlingslager in Griechenland bringt. Wie ist derzeit die Lage dort?

Miriam Tödter: Die Lager auf den Inseln werden leerer, aus zwei Gründen. Erstens weil dort seit letztem Jahr weniger Menschen ankommen, weil die Seegrenzen eng bewacht und Menschen illegal zurückgedrängt werden in die Türkei – die so genannten Pushbacks, die inzwischen ja gut dokumentiert sind. Der andere Grund ist, dass die Asylverfahren beschleunigt worden sind, das geht inzwischen in wenigen Monaten, und die Menschen dann nach Athen gebracht werden.

Dass sie aus den Lagern rauskommen, klingt ja erstmal gut.

Ja, nicht? Das haben wir immer gefordert: evakuiert die Lager! Das Problem ist, dass die Menschen überhaupt keine staatliche Unterstützung mehr bekommen, sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind. Dennoch dauert es Monate, bis sie ihre Papiere mit der Arbeitslaubnis bekommen – falls sie dann Arbeit finden. In Athen leben tausende Familien auf der Straße, sie haben keine finanzielle Unterstützung, keine Wohnung. Das führt sogar dazu, dass Leute von Athen auf die Inseln zurückkehren, weil es das einzige ist, das sie kennen.

Gibt es denn Hilfe auf den Inseln?

Nein, sie leben auch dort auf der Straße oder in den Dschungel-Camps am Rand der offiziellen Flüchtlingslager. Sie bekommen nicht mal mehr das schlechte Essen, das es in den Lagern gibt. Das ist eine wachsende Katastrophe.

Ist das der Grund, warum Sie inzwischen auch Hilfen außerhalb der Lager anbieten?

Genau, wir sind jetzt auch in Athen, Thessaloniki und Patras vor Ort. Wir schicken vor allem Lebensmittel oder kaufen sie vor Ort. Allein in Athen versorgen wir mit drei Organisationen an drei Orten ungefähr 1.000 Menschen.

ist Mitgründerin, stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin von „Wir packen's an“ aus Bad Freienwalde.

Der Verein sammelt Sach- und Geldspenden, vor allem in Berlin und Brandenburg, und fährt regelmäßig voll gepackte LKW nach Griechenland, wo er vor Ort mit NGOs der Flüchtlingshilfe kooperiert. Mehr Infos: www.wir-packens-an.info

Sie sind auch auf dem Balkan aktiv, dort soll es auch illegale Pushbacks geben von Kroatien nach Bosnien. Können Sie dazu etwas sagen?

Ich war selber im März in Bosnien, in der Grenzregion im Kanton Una-Sana. Wir sind vor allem im Ort Velika Kladusa vertreten, weil es dort vorher überhaupt keine Unterstützung von außerhalb gab. Ich habe dort Waschmaschinen gekauft für eine neue bosnische NGO, die den Flüchtlingen hilft, und ich habe Lebensmittel und Kleidung gekauft. Die Flüchtlinge leben in verfallenen Häusern und im Wald, ich habe mit Leuten gesprochen, die selber gepushbackt worden sind. Mehrere haben mir erzählt, dass sie geschlagen worden sind, man ihnen die Kleidung weggenommen hat – damals war es noch sehr kalt, die Temperaturen unter Null Grad. Ich habe Leute mit Erfrierungen an den Füßen gesehen, weil sie nackt und ohne Schuhe im Fluss ausgesetzt wurden.

Von kroatischen Soldaten?

Ob von Soldaten oder Grenzpolizisten, das konnten die Leute nicht auseinander halten, aber auf jeden Fall von kroatischen Uniformierten. Das Ganze ist natürlich komplett menschenrechtswidrig und illegal. Menschen, die Schutz suchen, dürfen nach EU-Recht nicht einfach zurückgeschubst werden.

Ihr Verein beteiligt sich am Samstag mit einer Kundgebung am Mariannenplatz an einer bundesweiten Kampagne namens #unverhandelbar. Was meint das?

Menschenrechte sind unverhandelbar, müssen unverhandelbar sein.

Mit zahlreichen Aktionen um den Weltflüchtlingstag am 20. Juni macht die bundesweite Kampagne „Wir klagen an: Menschenrechte sind #unverhandelbar“ auf EU-Menschenrechtsverstöße gegen Geflüchtete aufmerksam. Die Kampagne fordert die sofortige Evakuierung aller Lager an den EU-Außengrenzen, das Ende der deutschen Beteiligung an Frontex- und EUNAVFOR MED-Einsätzen, staatlich organisierte Seenotrettung im Mittelmeer, sichere Fluchtwege und die Gewährleistung des Rechts auf Asyl.

In Berlin veranstaltet „Wir packen's an“ am Samstag ab 15 Uhr eine Kundgebung mit open-air-Podiumsdiskussion am Mariannenplatz in Kreuzberg. Es gibt Gespräche mit Menschen auf der Flucht, Ak­ti­vis­t:in­nen aus Griechenland und Bosnien und Musik.

Am Sonntag ab 13 Uhr gibt es eine Demonstration von Seebrücke, Wir packen's an, der Refugee Law Clinic und weiteren, sie beginnt vor der Volksbühne.

In Potsdam gibt es am Samstag ab 17 Uhr eine Kundgebung von Seebrücke mit Konzert am Bassinplatz.(sum)

Sind sie aber nicht – oder nur auf dem Papier.

Ja, aber eigentlich müssen sie für jeden Menschen jederzeit und an jedem Ort gelten. Und wenn unsere europäische Union und unsere europäischen Werte für irgendwas gut sind, dann doch wohl dafür: Dass Menschenrechte nicht nur gelten für Menschen mit einem bestimmten Pass oder für jene, die das Glück hatten, an einem bestimmten Ort geboren zu sein.

Welche Rechte meinen Sie?

Es geht darum, fliehen zu dürfen, Schutz suchen zu können, aber auch menschenwürdige Lebensumstände, Zugang zu Gesundheitsversorgung, das Recht auf Bildung, gerade auch für Kinder. All das wird nicht nur an den Grenzen, sondern auch in Lagern in der EU permanent verletzt.

Dennoch werden Politiker, die das zu verantworten haben, immer wieder gewählt. Ist das nicht ein Zeichen, dass dieses Thema die Mehrheit der Menschen in Europa nicht interessiert?

Bei der Kundgebung am Samstag wollen wir auch darüber mit AktivistInnen aus Griechenland und Bosnien sprechen. Unsere Hoffnung ist schon, dass sich nach den Wahlen etwas ändern wird. Zudem möchte ich betonen: Das ist internationales Recht, was an unseren Grenzen verletzt wird, wir sind verpflichtet dazu, diese Rechte zu gewähren, wir haben das unterschrieben als Regierung, als Staat, als europäische Union. Das Absurde ist, dass wir als Zivilgesellschaft von unserer eigenen Regierung fordern müssen, dass sie unsere Gesetze einhält!

Was kann man tun als Zivilgesellschaft, wenn die Politik nicht will?

Fordern! Wählen! Mein Wahlrecht wahrnehmen mit dieser Forderung im Kopf. Und selber aktiv werden: hier auf die Straße gehen, dort vor Ort Initiativen und Organisationen unterstützen. Zum Beispiel das Border Violence Monitoring Network, das sich die Grenzen in der Balkan-Region anguckt. Oder Mare Liberum, die Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis dokumentieren. Die kann ich unterstützen, über Menschenrechtsverletzungen informieren – und immer wieder thematisieren, dass hier herrschendes Recht verletzt wird.

Was könnte der Senat tun?

Er könnte viel tun! Er könnte zum Beispiel Tempo machen, was ein Landesaufnahmeprogramm angeht. Er könnte dafür sorgen, dass Leute aus Lagern, wo Menschenrechte verletzt werden, nach Deutschland geholt werden. Er könnte eine Initiative starten und sagen, wir nehmen Menschen aus den Balkanstaaten, die Nicht-EU sind, hier auf aus humanitären Gründen. Wir könnten sie unterbringen in den leer stehenden Flüchtlingsunterkünften.

Hat er aber alles nicht gemacht, trotz wohlfeiler Worte. Und es ist kaum zu erwarten, dass er das noch macht vor den Abgeordnetenhauswahlen im September, oder?

Es ist nicht zu erwarten. Aber wenn wir nur von dem ausgehen, was zu erwarten ist, hätten wir wohl schon vor Jahren aufgegeben, etwas zu tun. Wir können nicht mehr machen als immer wieder fordern, immer wieder in die Öffentlichkeit gehen. Und vor den Wahlen dazu aufrufen, Leute, wenn euch das Thema wichtig ist – und ich denke, in Berlin gibt es eine Mehrheit von Menschen, denen das wichtig ist – dann wählt dementsprechend.

Aber wen soll man denn wählen? Wir haben in Berlin eine Regierung aus „linken“ Parteien, von denen zumindest zwei sagen, dass ihnen das Thema sehr wichtig sei.

Ja, das ist eine gute Frage. Wahlempfehlungen kann ich natürlich nicht geben.

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