Die Wahrheit: Codewort? Dass wir nicht lachen!

Für Agenten mit Gedächtnisproblemen ist unweit der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin ein geheimes Refugium entstanden.

Auf einer Brücke stehen zwei Menschen

Kuscheliger Tummelplatz der Agenten: Glienicker Brücke Foto: dpa

Das Potsdamer Hansjoachim-Tiedge-Resort liegt idyllisch in der Landschaft. Umgeben von viel Grün und Wasser, ist hier ein vom Bundesnachrichtendienst geheim und liebevoll betriebenes Pflegeheim für demente Doppelagenten entstanden. Was die Scheinbushaltestelle in anderen Demenzeinrichtungen ist, das ist in Potsdam der scheintote Briefkasten – die Attrappe eines toten Briefkastens, wie er von Klandestinen gern zur diskreten Nachrichtenübermittlung genutzt wird. Die unweit der Glienicker Brücke situierte BND-Einrichtung versucht so ihren betagten Insassen, die krankheitsbedingt eben mehr in der Vergangenheit leben, eine altvertraute berufliche Umgebung zu bieten.

Versteckt ist die Attrappe im Relaiskasten einer alten Straßenlaterne. Die allerdings aus Rücksicht auf die notorisch lichtscheue BND-Klientel nie leuchtet. Seit einiger Zeit nun schon kann man einen älteren Herrn dort herumlungern und Kette rauchen sehen. Angetan mit Trenchcoat, Schlapphut und dunkler Brille, scheint er dort auf wen zu warten. Und tatsächlich. Nach einer Weile taucht ein zweiter Greis auf in identischem Agentenoutfit. Tapert erst vorbei, kommt dann zur Laterne zurück, wo er eine Zeitung aufschlägt. Selbstverständlich mit zwei Gucklöchern drin. Der erste Herr tut so, als merke er nichts von der heimlichen Observation, kramt bloß die nächste Zigarette aus der Packung (Overstolz): „Feuer?“ – „Bedaure“, sagt der hinter der Zeitung.

Zeitung mit Guckloch

Der Raucher gibt sich selbst, was er braucht. „Nie geraucht?“ – „Ist lange her.“ – „Welche Marke?“ – „Chesterfield. Im Schnitt vierzig am Tag.“ – „Wann aufgehört?“ – „Heute sind’s genau acht Jahre und zehn Tage. Wie viel rauchen Sie?“ – „Zwanzig, dreißig. Kommt drauf an.“ – „Und? Beschwerden?“ – „Die Bronchien neuerdings.“ – „Und wie steht’s mit dem Herzen?“ Keine Antwort. „Wie’s mit dem Herzen steht, hab ich gefragt?“ Er lässt die Zeitung sinken. – „Ja, ich weiß … äh … Herz, Herz …“ Er müht sich sichtlich, kommt aber nicht drauf. Bis der andere sich unmerklich nach vorn beugt und ihm zuflüstert: „Herz so weit in Ordnung. Manchmal Stiche, morgens.“ –„Herz so weit in Ordnung. Manchmal Stiche, morgens“, wiederholt der Raucher, ergänzt hastig: „Vor allem nach zu viel Alkohol am Abend vorher.“

Die Zeitung geht wieder hoch. „Trinken Sie?“ – „Gelegentlich.“ – „Schnaps?“ – „Eher Champagner. Mal einen Dujardin zum Kaffee.“ – „Den Kaffee schwarz?“ – „Etwas Sahne und drei Zucker, bitte.“ – „Für mich auch eine Tasse.“ – „Tut mir leid, aber wir haben nur Kännchen.“ – „Na gut, dann eben Kännchen. Keinen Zucker, bitte!“ Er faltet die Zeitung zusammen und steckt sie in die Manteltasche, reicht dem anderen die Hand: „Herzlich willkommen in Ostberlin, Kollege. Zigarette?“ Beide rauchen.

„Ganz schöner Hänger eben.“ – „Kein Wunder. Bei den langen Codeworten heutzutage. Fällt mir immer schwerer, die auswendig zu lernen; danke übrigens fürs Vorsagen.“ – „Da nicht für. Dir ist aber schon klar“, er greift langsam in den Mantel, „dass ich dich jetzt liquidieren müsste.“ – „Ja, schon, aber …“ Sein besorgter Blick folgt der Hand … – „Aber ich denke“, der Behandschuhte zieht nun grinsend eine Flasche Zinn 40 aus der Innentasche, „wir liquidieren lieber die hier.“

Er nimmt einen Schluck, reicht dann weiter. Der andere leert die Flasche in einem Zug: „Sorry, aber früher waren die Flachmänner irgendwie größer.“ Er stopft die Flasche in besagten scheintoten Briefkasten. „Und die Codeworte kürzer.“ – „Allerdings.“

Codewort vergessen

„Weißt du noch, Bonn 1957?“ – „Natürlich!“ Er macht auf verschwörerisch: „Entschuldigen Sie. Wie war das Essen?“ – „So gut, dass mir jetzt noch ganz schlecht ist.“ Beide lachen, knuffen sich vergnügt. – „Und Budapest 1983?“ – „Ihre Frau rief gerade an.“ – „Was wollte sie?“ – „Sie hat einen Elfer verschossen!“ – „Und?“ – „Jetzt will sie, dass Sie ihr einen neuen besorgen.“ Beide kichern. „Weißt du auch noch Travemünde 1978?“ – „Nee … oder warte, doch: Zwei Brötchen, bitte!“ – „Warum nicht drei? Dann hamse eins mehr!“

„O Mann! Das waren noch Codeworte.“ – „Genau. Viel witziger auch. Apropos: Hast du die Formel?“ – „Natürlich.“ – „Gut, dann her damit. “ – „Ist hier drin.“ Er tickt sich an den Kopf. „Immer noch die sicherste Methode. Hast du was zu schreiben?“ – „Schieß los!“ – „Moment.“ Er sammelt sich. „Äh, warte“, er wirkt jetzt leicht fahrig, während der andere sichtlich unruhig wird. „Hab’s gleich.“ Er schlägt sich gegen den Kopf: „Verdammt!“ – „Was ist los“, fragt der andere, „weißt du die Formel etwa nicht mehr?“ Seine Hand geht Richtung Mantelinnentasche …

In diesem Moment ertönt der Gong, der alle Bewohner des Hansjoachim-Tiedge-Resorts in Potsdam nahe der Glienicker Brücke zum Mittagessen ruft. Vorausgesetzt natürlich, sie haben nicht vergessen, was der Gong bedeutet. So wie die beiden Codewort-Könige. Sie werden von Schwester Brygitta in den Speisesaal geleitet. Es gibt falschen Hasen an einem Klacks Kartoffelpü. Und zum Nachtisch Quatsch mit Soße.

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kari

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