Ausstellung „Potosí-Prinzip – Archiv“: Von Silber, Zucker und Arbeitskraft

Die Ausstellung im HKW folgt dem Bildtransfer und der Ausbeutung von Kolonialzeiten bis in die Gegenwart. Dabei setzt sie auf komplexe Verbindungen.

Blick in den Ausstellungssaal mit gespannten Fäden im HKW

Blick in die Ausstellung „Potosí-Prinzip – Archiv“ im HKW Foto: HKW

Wie ein Spinnennetz spannen sich Fäden durch die Ausstellungshalle 2 des Hauses der Kulturen der Welt. Es ist, als beträte man einen Sweatshop irgendwo im „globalen Süden“ – oder den Lesesaal einer Berliner Universitätsbibliothek. Und genau dazwischen bewegt sich die Ausstellung „Das Potosí Prinzip – Archiv“.

Potosí, heute staubige Provinzstadt in Zentralbolivien mit schönen Kolonialbauten und Ziel für Armutstourismus, war vor 400 Jahren eine der reichsten Städte der Welt. Am Fuße des Cerro Rico (Reicher Berg), schürften indigene Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen jahrhundertelang Silber aus dem Gestein – genug, so sagt die Legende, um den spanischen Kolonialherren damit eine Brücke nach Madrid zu bauen.

Bereits im Oktober 2010 zeigte das HKW „Das Potosí-Prinzip“. Damals ging es um koloniale Barockmalerei in Bolivien und die Permanenz der natürlichen Akkumulation nach Marx. Die damalige Ausstellung vertrat die These, dass diese Ausbeutung von Mensch und Natur den europäischen Kapitalismus erst ermöglichte. Bei der jetzigen Sammlung handelt es sich um Archivmaterial von 2010.

Die Ku­ra­to­r:in­nen Andreas Siekmann und Alice Creischer haben gemeinsam mit Künst­le­r:in­nen unter anderem aus Bolivien, China, Russland, England und Deutschland mehr als drei Jahre daran gearbeitet. Statt lediglich Quellen und Hintergründe des Projekts zu präsentieren, soll das Archiv dessen blinde Flecken aufzeigen. Während es 2010 noch vorrangig um die Kontinuität von globalen Ausbeutungsstrukturen ging, rückt heute auch die Erschöpfung des kapitalistischen Systems in den Fokus. Globalisierung und Bildtransfer aber bleiben zentrale Motive.

Lesesaal und Sweatshop

Auf einem langen Tisch in der hinteren Hälfte des Ausstellungsraumes liegen 36 Broschüren aus. Diese enthalten Korrespondenzen mit den teilnehmenden Künstler:innen, Fotos von Kunstwerken, Poesie und Lyrik oder Ausschnitte aus marxistischen Texten. Mithilfe der wie Nervenstränge durch den Raum laufenden Fäden entstehen thematische und geografische Verknüpfungen zwischen Texten, Piktogrammen, Silberzeichnungen, Skulpturen, Textilien, Videos, Gemälden und Illustrationen.

Das Archiv will die blinden Flecken des Potosí-Projekts von 2010 aufzeigen

Die Themen reichen von Zwangsarbeit im kolonialen Bolivien über Arbeitsmigration in China bis hin zu Klimagerechtigkeit am Beispiel des Hambacher Forstes. Ein Heft enthält Pujan Karambeigis Auseinandersetzung mit „Gastarbeiterliteratur“ am Beispiel von Franco Biondis Sammelband „Im Neuen Land“ von 1980. Neben dem Tisch thront auf einem Stuhl, gesichtslos und mit bolivianischem Bowler-Hut der „Indian Automat“, ehemals Teil einer Performance von Ines Doujak.

Darüber, in einem Geflecht aus Brücken, hängt ein Baumhaus von „Ende Gelände“ mit dem Aufruf „Hambi supports indigenous resitance: deCO2lonize now!“. Namen stehen bei der Präsentation im Hintergrund, auf Künst­le­r:in­nen­bio­gra­fi­en wird weitgehend verzichtet. Man hat einen Eindruck von Kollektiverzeugnissen, wie beim Silber aus Potosí.

Die diffusen Nähgarn-Verbindungen zwischen den Werken sind von diverser Natur. Die Arbeit der argentinischen Künstlerin Sonia Abián, ein Turm aus Zuckerstücken, platziert auf einem Querschnitt des menschlichen Hirns, ist etwa verknüpft mit der barocken Darstellung eines Berghauerzugs. Dieser wiederum ist verbunden mit einem Bild von Miniaturbergarbeitern aus Zucker – einer Tischdekoration bei der Hochzeit Augusts des Starken von Sachsen. Der Zucker für die Herstellung des schönen Tands stammte damals natürlich – ebenfalls aus den Kolonien.

Aus Angst vor Restitution?

Das Kopfende des Raumes ziert ein sonnenförmiges Quipu, ein Gebilde aus Seilen, die Inka-Knotenschrift zur Darstellung von Zahlen und Silben. Dieses Werk der bolivianischen Künstlerin Elvira Espejo ist eine Antwort auf Albrecht Dürers Aquarell „Traumgesicht“ von 1525 und dem damit verbundenen Text.

Potosí-Prinzip – Archiv, HKW, Berlin, bis 11. Juli, www.hkw.de

Mit apokalyptischem Pathos schildert Dürer, wie Wassersäulen vom Himmel fallen und die Landmassen verschlingen. Eine Gegenüberstellung von christlichen Vorstellungen des Jüngsten Gerichts und bolivianischer Sonnenverehrung? Auf jeden Fall Kolonialismuskritik! Denn von 700 weltweit existierenden Quipus liegen 390 in den Berliner Kellern des Preußischen Kulturbesitzes – welche die Stiftung 2011 nicht nach La Paz verleihen wollte.

Durch all die handgeknüpften Querverbindungen zwischen Kunstwerken und Dokumentation lenkt „Das Potosí-Prinzip – Archiv“ den Blick auf die Vielschichtigkeit globaler Ausbeutungsstrukturen. Der ­aktivistische Anspruch der Ausstellung kommt definitiv zur Geltung. ­Jedoch stellt sich, vor dem Hintergrund des enormen Umfangs des Textmaterials oder den teilweise chiffrierten Zusammenhängen, die Frage nach der Zugänglichkeit: Muss ein Projekt über die Ausbeutung von ­Arbeitskraft so akademisch sein?

Im Zuge der neuen Lockerungen wird ja vielleicht noch eine intensivere Rezeption möglich, ohne Bindung an ein einstündiges Zeitfensterticket. Auch eine Publikation des Materials als Buch ist geplant.

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