Bamf, Staatsanwälte und Medien: Bremer Freiheit

Vom großen Bamf-Skandal um Ulrike B. blieb vor Gericht nichts übrig. Doch nicht alle Beteiligten sind bereit, daraus Lehren zu ziehen.

Ulrike B. von hinten im Gericht

Von sämtlichen deutschen Medien diffamiert worden: Ulrike B. vor Gericht am 15. April 2021 Foto: Focke Strangmann/EPA

Was fehlt ist: der große Knall am Schluss. Das lange so erregt erwartete Bamf-Verfahren ist seit Prozesseröffnung Mitte April vorm Landgericht Bremen nach und nach in sich zusammengesackt und dann vorbei gewesen, ­pfffft!, einfach so: Am 20. April schon war das Verfahren gegen Ulrike B., die langjährige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wegen Geringfügigkeit gegen Auflagen eingestellt worden.

Und am 27. Mai hatte dann die zweite große Strafkammer den Hildesheimer Rechtsanwalt Irfan Ç. wegen eines Delikts nahe der Bagatellgrenze zu 60 Tagessätzen verurteilt, „wegen einer pieseligen Vorteilsnahme“, wie sein Verteidiger Henning Sonnenberg nachher sagte. Es ging darum, dass er Ulrike B. zwei Hotelübernachtungen à 65 Euro zahlen wollte, was sie ablehnte. Von den ausländerrechtlichen Tatvorwürfen hat das Landgericht Irfan Ç. freigesprochen. Von allen. Das Urteil ist rechtskräftig (Az.: 2 KLs 311).

Drei Jahre zuvor waren er und Ulrike B. von sämtlichen deutschen Medien als Hau­ptak­teu­r*in­nen eines massenhaften Asylbetrugs diffamiert worden. Gestützt hatte sich die Berichterstattung auf Auszüge aus Ermittlungsakten, vermittelt von der Staatsanwaltschaft Bremen. Im dortigen Ankunftszentrum seien „bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften missachtet worden“, behauptete Bundesheimatminister Horst Seehofer (CSU) angesichts der Schlagzeilen.

Seit drei Jahren darf Ulrike B. nicht arbeiten – weil sie so gut ist, in ihrem Job

Welche gesetzliche Regelungen? Das beließ er im Unklaren. Stattdessen verfügte er die temporäre Stilllegung der Bamf-Außenstelle. Damals bekam er viel Lob dafür, leider auch aus der taz. „Das, was in Bremen passierte“, so unser Kommentar auf Seite eins, zerstöre „das Vertrauen vieler Menschen in den Rechtsstaat“. Na ja, den sah das Oberverwaltungsgericht Bremen wenig später eher durch den bis dato unvorstellbaren Grad amtlicher Vorverurteilung durchs Innenministerium gefährdet.

48-köpfige Ermittlungsgruppe

Aufs Ausländerrecht bezogen waren es im Prozess gegen Irfan Ç. nur noch sieben Anklagepunkte gewesen, die sich als nichtig erwiesen. Er hätte Man­dan­t*in­nen angestiftet, sich als Iraker auszugeben, lautete ein Vorwurf. Zwar halten die sich selbst für Iraker und laut Pass sind sie es auch. Für die 48-köpfige „Ermittlungsgruppe Antrag“, der größten in der Geschichte des Bundeslandes Bremen, war hingegen ein soziolinguistisches Schnellgutachten des Bamf der schlagende Beweis dafür, dass sie aus der postsowjetischen Staatengemeinschaft stammen müssten.

Während die Ermittlungsgruppe es also sprachwissenschaftlich krachen ließ, waren ihr andere linguistische Differenzen mumpe: So wurden nur Arabisch-Dolmetscher*innen beschäftigt, als in Hildesheim Irfan Ç.s Man­dan­t*in­nen auf die Wache zitiert wurden, um gegen ihren Anwalt auszusagen. Allerdings: Irfan Ç. ist jesidischer Kurde. Die meisten seiner damaligen Kli­en­t*in­nen sind es auch. Kurdisch ist ihre Muttersprache – und sie ist mit dem Arabischen nicht verwandt und nicht verschwägert. Die Polizei hätte also ebenso gut Estnisch-Übersetzer*innen die Protokolle anfertigen lassen können.

Ein anonymes Schreiben, das im Juni 2020 im Landgericht einging – und In­si­de­r*innnenkenntnisse der „Ermittlungsgruppe Antrag“ aufweist, schildert, wie „einseitig belastend“ ermittelt wurde. „Entlastendes Material“ habe demnach „unberücksichtigt bleiben“ sollen. Eine Mail, die Ulrike B.s Rechtstreue unterstrichen hätte, wäre vom Vorgesetzten kurzerhand gelöscht worden. Und außer auf sie habe man sich „ausschließlich auf die ‚türkischstämmigen Rechtsanwälte‘ konzentrieren“ sollen.

Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte Ulrike B., weil sie im Sommer 2016 einen Abschiebebescheid durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis torpediert hatte. Eine sechsköpfige jesidische Familie sollte nach Bulgarien ausgeflogen werden. Der Regionspräsident von Hannover, Hauke Jagau, und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (beide SPD) beschwerten sich beim Bamf-Chef in Nürnberg, erfolgreich: Ulrike B.s Bescheid wurde eingestampft. Die Familie wurde abgeschoben, im Sinne der Dublin-III-Verordnung, aber menschenrechtswidrig, wie mittlerweile in letzter Instanz geklärt ist.

Rechtskundiger, als das Amt erlaubt

Ulrike B. war rechtskundiger, als das Amt erlaubt. Sie hatte im Vorgriff auf diese Entscheidungen gehandelt. Das war juristisch kühn, hatte ihr schon vor den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen disziplinarische Maßregeln eingetragen, und es ist ihr jetzt noch teuer zu stehen gekommen: Am 20. April hatte sie in die Einstellung des Verfahrens eingewilligt – aus prozessökonomischen Gründen. 10.000 Euro musste sie zahlen, um endlich ihre beamtenrechtliche Angelegenheiten klären zu können: Seit drei Jahren darf sie nicht arbeiten – weil sie so gut ist, in ihrem Job. Ulrike B. „soll dafür zahlen, dass sie Opfer einer Intrige von Asylgegnern wurde“, sagt Wissenschaftler Matthias Knuth. Er hat ein Crowdfunding initiiert, „damit die Betroffene dieses Geld nicht selbst aufbringen muss“.

Ihr hatte die Anklage nicht ein einziges Delikt aus dem Rechtskreis Ausländerrecht vorwerfen können: Dabei wollte Staatsanwalt Johannes F. das, dringend. Nur hatte das Landgericht seine substanzlosen Beschuldigungen nicht zur Verhandlung angenommen. Um eigenmächtig vermeintliche Strafbarkeitslücken zu schließen, hatte Johannes F. in der ursprünglichen Fassung der Anklage sogar angeregt, andere Strafnormen analog anzuwenden auf das, was ihm an Ulrike B.s Entscheidungen missfallen hatte. Das klingt, wie ein für ein Jura-Lehrbuch konstruierter Fall von Rechtsbeugung.

Johannes F. gehört, neben Behördenleiter Janhenning Kuhn, dessen Sprecher und einer Abteilungsleiterin, zu den vier Staatsanwält*innen, die wegen ihrer Rolle in den Ermittlungen zu den Bamf-Ermittlungen bei der Bremer Generalstaatsanwaltschaft als namentliche Beschuldigte geführt werden. Pikant: Dieses Zwischenergebnis gab diese erst am 22. April bekannt, also zwei Tage nach dem teuren Einstellungsbeschluss: Johannes Eisenberg, Ulrike B.s Verteidiger, sieht in der Verzögerung eine bösartige Volte. Schließlich datiert seine Strafanzeige auf Frühjahr 2019.

Momentan ist Johannes F. abgeordnet an die Bundesanwaltschaft. Mindestens in einem Fall hat er dazu beigetragen, in einem vom Bremer Verwaltungsgericht für illegal erklärten „Hintergrund-Gespräch“ mit einem Zeit-Journalisten Ulrike B. und Irfan Ç. eine zutiefst sexistische Lovestory anzudichten – als Motiv für Taten, die man ihnen hatte unterstellen wollen. Staatsanwälte gelten Medien als „privilegierte Quelle“, also eine, auf die man sich verlassen darf, – umso mehr, wenn der weisungsbefugte Behördenleiter Kuhn, der alles hätte stoppen können, mitplaudert.

Die Frage, wie im Frühjahr 2018 eine gegenstandslose Geschichte die Schlagzeilen dominieren konnte, die vor allem Stimmung gegen Geflüchtete schürte, wird nicht überall mit gleicher Intensität bearbeitet. Qualitätsmedien, die auf sich halten, haben über den Fort- und Ausgang des Verfahrens berichtet, so, wie es ihre Pflicht ist. Manche selbstkritisch: „Die Medien, allen voran der NDR, waren willige Helfer und machten die Geschichte groß“ – erinnerte der NDR an die eigene Rolle im bösen Spiel.

Wie ein Soufflé

Leid tun müssen einem dagegen Spiegel-Abonent*innen. Denn eine Zeit lang hatten in dem Blatt fast montäglich Horrorstorys über dieses linksgrün-versiffte Bremer Schlupfloch gestanden. „Wir haben unsere Leserinnen und Leser über die Einstellung des Verfahrens informiert“, behauptet zwar Spiegel-Sprecher Michael Grabowski, aber die Aussage hat die Struktur einer jesuitischen Lüge: Sie gilt nur fürs Online-Publikum. Das Papier hingegen ist dem Verlag zu schade, um zu verbreiten, dass sich all diese Behauptungen vor Gericht als so belastbar erwiesen haben, wie ein Soufflé, bei dem vorzeitig die Ofentür geöffnet wurde. Im Magazin kommt die Affäre nicht mehr vor seit November 2018.

Auf Revision hat die Staatsanwaltschaft verzichtet. Das leise Ende des Skandals kommt aber auch anderen zupass. Horst Seehofer etwa und seinem parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer (beide CSU): Der hätte als Dienstherr die Beamtin Ulrike B. bei ihrer amtlichen Tätigkeit und in ihrer Stellung schützen müssen. Stattdessen hatte er in der Talkshow „Anne Will“ so richtig auf die Tube gedrückt, als versuche er mit 170 Sachen den zweiten Gast, Alexander Gauland (AfD), rechts zu überholen. Was illegal war. Sanktioniert wurde es nie. Vielleicht wäre hier zivilrechtlich was zu holen.

Der Bremer Staatsanwaltschaftsskandal braucht Seehofer und Mayer indes nicht zu kümmern. Der bleibt in Bremen. Und selbst dort … „Die zuständige Senatorin Claudia Schilling (SPD) muss sich mit der Frage befassen“, fordert zwar die Fraktionsvorsitzende der mitregierenden Linken, Sofia Leonidakis. Es sei „ein Schaden für die Staatsanwaltschaft insgesamt entstanden“. Aber bislang ist sie die einzige vernehmbare Stimme aus dem politischen Raum geblieben. Diese Stille ist beunruhigend.

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