Abrechnungsbetrug von Testzentren: Lücken ausgenutzt

Corona-Testzentren sollen kostenfreie Bürgertests falsch abgerechnet haben. Doch für Kontrollen fühlt sich niemand richtig verantwortlich.

Eine Hand in Schutzhandschuh hält einen Teststreifen mit negativem Ergebnis

18 Euro bekommen die Zentren pro Test: Mit Negativergebnis haben Bür­ge­r:in­nen mehr Freiheiten Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | Corona-Testzentren sprießen gerade in allen Städten wie Pilze aus dem Boden. Die kostenlosen Testmöglichkeiten bieten den Bür­ge­r:in­nen nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch neue Freiheiten. Mit einem negativen Testergebnis ist schließlich wieder ein Besuch im Stadion möglich oder im Biergarten. Mindestens 15.000 Testzentren gibt es mittlerweile in ganz Deutschland, das gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Mitte April bekannt, mittlerweile sind es noch mehr.

Die Voraussetzungen, ein Testzentrum zu eröffnen, sind nicht besonders hoch. Im Internet finden sich leicht Webseiten, die dabei Unterstützung anbieten. Die Räumlichkeiten sollen im besten Fall einen Ein- und Ausgang haben und gut belüftet werden können. Nicht-medizinisches Personal kann schnell geschult werden, um die Abstriche in Rachen und Nase durchzuführen. Die Zulassung erfolgt über das jeweilige Gesundheitsamt.

Nun legt eine Recherche der Süddeutschen Zeitung, dem WDR und dem NDR nahe, dass manche Testzentren im großen Stil abzocken. Es scheint ein lukratives Geschäft zu sein. Pro Bürgertest können die Testzentren bis zu 18 Euro für die Testung und das Material abrechnen. Und sie haben offenbar leichtes Spiel. Dem Bericht zufolge müssen Be­trei­be­r:in­nen von Testzentren nicht einmal nachweisen, dass Tests gekauft und durchgeführt wurden. Es reiche, die Anzahl der Getesteten an die Kassenärztlichen Vereinigungen zu melden. Diese bekommen das Geld dann aus Steuermitteln erstattet.

In mehreren Städten in Nordrhein-Westfalen zählten die Jour­na­lis­t:in­nen des Recherchenetzwerks tageweise, wie viele Be­su­che­r:in­nen im Testzentrum auftauchten und glichen diese Zahlen mit den tatsächlich gemeldeten Zahlen ab. Das Ergebnis: In Gievenbeck wurden zum Beispiel in einem von der Medi Can GmbH betriebenen Testzentrum an einem Tag während der gesamten Öffnungszeit über hundert Menschen gezählt – tatsächlich gemeldet wurden dem NRW-Gesundheitsministerium für diesen Tag aber 422 getestete Menschen.

Firma ist jetzt gesperrt

Bei dem Betreiber Medi Can scheint das System zu haben. In einem Testzentrum in Köln zählte das Recherche-Netzwerk an einem Tag 80 Personen, gemeldet wurden aber 977. Der Inhaber erklärte laut Bericht, dass „die Testungen in einigen Städten mit mehreren Standorten auch zusammengefasst übermittelt werden“. Dies erfolge „in Absprache mit den Behörden“. Die Städte dementierten das allerdings. In Münster darf die Firma nun nicht mehr weiter testen.

Dass offenbar so leicht gepfuscht werden kann, liegt wohl an der Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums und dem beabsichtigten Datenschutz. In der Testverordnung heißt es: „Die zu übermittelnden Angaben dürfen keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen.“ Das heißt, dass die Namen und Daten der getesteten Personen nicht an die Kassenärztliche Vereinigung übermittelt werden dürfen.

Dafür, dass derzeit in großem Stil getestet und abgerechnet wird, scheint das Geschäft eine große Blackbox zu sein. Die wenigsten Bundesländer können überhaupt sagen, wie viele Tests tatsächlich durchgeführt werden. Zudem scheint sich niemand verantwortlich zu fühlen, die Angaben der Testzentren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Kontrollen nachträglich möglich

Das Bundesgesundheitsministerium verwies am Freitag auf die Möglichkeit nachträglicher Kontrollen. „Sowohl die Anbieter von Testleistungen als auch die Kassenärztlichen Vereinigungen haben alle Daten, die für die Kontrolle der korrekten Leistungserbringung und Abrechnung erforderlich sind, bis zum 31. Dezember 2024 aufzubewahren“ teilte Sebastian Gülde aus dem Bundesgesundheitsministerium der taz mit.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) führten die Abrechnung nach der Testverordnung durch und prüften dabei die Vollständigkeit der erforderlichen Abrechnungsangaben und die Einhaltung der Formvorgaben. Diese könnten die Rechnungen also auf Plausibilität prüfen, sagte der Ministeriumssprecher. „Stimmt die Anzahl der abgerechneten Testungen beispielsweise nicht mit der Anzahl der beschafften Schnelltests überein, ist die Abrechnung nicht plausibel und kann zurückgewiesen werden“ erklärte Gülde.

Wenn sich Anhaltspunkte für Abrechnungsbetrug ergeben, könnten die Fehlverhaltensstellen der KVen den Sachverhalt auf mögliche rechts- bzw. zweckwidrige Finanzmittelverwendungen prüfen. Sollte sich dann der Verdacht einer strafbaren Handlung erhärten, sei die KV verpflichtet, unverzüglich die Staatsanwaltschaft zu unterrichten, so der Sprecher.

Rechnungen weitergeleitet

„Wir spielen hier nur eine Nebenrolle, denn wir haben keine Kontrollfunktion“, sagte Roland Stahl, der Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hingegen der taz und weist die Verantwortung von sich. „Nach der Testverordnung des Bundes dürfen wir keine Personendaten prüfen. Wir gucken nur, ob die Rechnungen formal richtig sind und leiten das Ganze weiter an das Bundesgesundheitsministerium.“ Zu prüfen, ob die Testzentren korrekt arbeiten, sei Aufgabe der Gesundheitsämter. „Ich kann mir aber gut vorstellen, dass das aufgrund der schieren Masse an Testzentren nur schwer möglich ist“, sagte Stahl.

Heiko Haffmans vom Pressereferat des Gesundheitsministeriums in Nordrhein-Westfalen sieht ganz klar den Bund in der Verantwortung: „Das Verfahren der Bürgertestungen und insbesondere auch die Finanzierung ist nicht durch Landesrecht, sondern durch Bundesrecht geregelt. Das bedeutet: Die Kassenärztlichen Vereinigungen rechnen die Tests mit dem Bund ab“, sagte er der taz.

Unabhängig davon habe das Land NRW aber in seiner Teststrukturverordnung Kontrollmöglichkeiten geschaffen, erklärte Haffmanns. Darin heißt es etwa: „Um die im Rechtsverkehr von Personen verwendeten Testzeugnisse im Bedarfsfall überprüfen zu können, stellen die Testzentren und Teststellen sicher, dass die von ihnen gemeldeten und abgerechneten Testungen einschließlich Befund und, soweit möglich, auch die Testpersonen anhand von Listen oder sonstigen Unterlagen im Überprüfungsfall nachgewiesen werden können. Hierzu sind mindestens der Name, die Anschrift und das Geburtsdatum der getesteten Personen zu erheben und für mindestens ein Jahr aufzubewahren.“ Ob diese Kontrollmöglichkeiten nun genutzt werden, liege aber „in der Hand der Abrechnungsstellen.“

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