Carmen Jeß' Stück „Klang des Regens“: Der Fisch auf dem Kopf

Zwei Frauen ringen vor der Folie rassistisch motivierter Verbrechen um generationenübergreifende Verständigung. Eine Theaterpremiere in Augsburg.

Die Schauspielerin umklammert einen Sandhaufen, auf dem sie liegt

Umklammerter Sandhaufen: Szene aus Caren Jeß' „Klang des Regens“ mit Maya Alban-Zapata Foto: Jan-Pieter Fuhr

Über den Fisch auf dem Kopf des Mannes zu lachen fällt den beiden Frauen leicht. Die eine meint einen Heilbutt gesehen zu haben, die andere nur eine ungewöhnliche Frisur. Aber weil jeder die Wahrnehmung der anderen ein wenig verrückt vorkommt, treffen sie sich im ­Lachen.

Es ist die letzte, vom Rest scheinbar völlig losgelöste Szene in Caren Jeß’ Erinnerungsmosaik „Klang des Regens“, das am Staatstheater Augsburg als erste Nach-Lockdown-Premiere zur Uraufführung kam. Seine üppigen sprachlichen Bilder und nur angerissenen Begegnungen sind Teil einer Stückentwicklung, die bis ins Jahr 2013 zurückreicht, als die Auseinandersetzung der Regisseurin Miriam Ibrahim mit der deutschen Kolonialgeschichte begann.

Während des Erarbeitungsprozesses brachten auch die Schauspielerinnen ihre Erfahrungen mit diesem Thema ein beziehungsweise „ihre persönliche (Nicht)-Verarbeitung von Kolonialverbrechen“, wie es im Programmheft heißt. Das Ergebnis ist ein seltsam tastender Abend, der den von Deutschland gerade erst als solchen anerkannten Genozid an den Herero und Nama ein paarmal erwähnt.

Oma Elisabeth ist schon tot

Er ist aber eher das Grundrauschen unter den Kommunikationsproblemen, mit denen eine weiße Deutsche und ihre schwarze Enkelin im Stück zu kämpfen haben. Dieser Kampf wird gewissermaßen in der Möglichkeitsform ausgefochten, denn Oma Elisabeth ist eigentlich schon tot und die Zeit für Fragen abgelaufen.

Die Inszenierung ist inhaltlich plausibel, wenn es um verdrängte Emotionen geht, ästhetisch aber ziemlich manieriert

Darum springt der Abend ins Imaginäre und durch die Zeiten, zurück zu Situationen, in denen Mina ein Kind war und von der geliebten Oma hätte erfahren können, ob und warum sie im „Dritten Reich“ Menschen wie sie ausgeliefert oder ihnen nur nicht geholfen hat. Es gibt brennende und schmerzhafte Fragen an diesem Abend, aber Antworten gibt es kaum. Weder für Mina, noch für die Zuschauer: Ob die Verbindung zu Namibia über die Tätergeneration der (Ur)-Großeltern oder über Minas nie erwähnten Vater zustande kommt: Man erfährt es nicht.

Maya Alban-Zapata und Ute Fiedler spielen zwei Frauen, die einander abtasten wie Caren Jeß’ Worte die schmalen Grenzlinien zwischen zarter Poesie, blumig-nebulös und krassem Kitsch. Zwischen ihnen stehen das Schweigen und die unverarbeiteten Traumata mehrere Generationen. Als hätte man nicht an den eigenen schwer genug zu tragen!

Wütend und klug

Die Berliner Schauspielerin Alban-Zapata, die als Kind einer Frankoperuanerin und eines Afroamerikaners in Paris geboren wurde, hat im April anlässlich des Rassismusskandals am Düsseldorfer Schauspielhaus in der Berliner Zeitung über das Gefühl der Nichtzugehörigkeit gesprochen, über tiefe Verletzungen und die Notwendigkeit, im Gespräch zu bleiben. Wütend und klug war dieses Interview, und diese Wut lässt sie auch in Augsburg aus der Rolle fahren.

Wenn es im Stück um die Relativierung von Rassismus oder weißen Privilegien geht, überschlägt sich fast ihre Stimme. In der Rolle hat die Wut eine andere Gestalt: Da reißt Mina den Mund auf zu einem stummen Schrei oder schickt konvulsive Zuckungen durch ihren ganzen Körper. Ibrahims Entscheidung fürs somatische Erzählen, das bei Fiedlers Elisabeth mehr nach innen gekehrt und verkapselt, aber ebenso zwanghaft wirkt, ist inhaltlich plausibel, wenn es um verdrängte Emotionen geht, ästhetisch aber ziemlich manieriert.

Zu diesem Gesamteindruck tragen auch Licht und Musik ihren Teil bei. Goldene Reflexe wandern über rostige Stelen, man hört Vogelstimmen und den titelgebenden Regen, der aber ebenso wenig wie das mehrmals einsetzende Gewitter die Atmosphäre klärt.

„Es hilft ja alles nichts!“

Zwischen rötlichen Sandhaufen, die vermutlich für die Wüste Namib stehen, und herumliegenden Stühlen, hinter denen sich Elisabeth gelegentlich verschanzt, passiert einiges, das davon ablenkt, dass im Herzen dieses Abends die Sehnsucht nach Verständigung steht. Ideologie, Scham, Angst und das Gefühl der Machtlosigkeit verhindern sie, was die Oma mit dem resignativ vor sich hingemurmelten „Es hilft ja alles nichts!“ deckelt.

Caren Jeß lässt Mina von Gedanken sprechen, die „nicht rauskommen und dann irgendwann, fast unbemerkt, in dir zu Staub verfallen und dann die Ritzen, die Löcher und Fugen in dir verschließen“. Das ist der Ist-Zustand im Stück – und die Sache mit dem Fisch ist die Utopie.

Es kennt ja vermutlich je­de*r diese Situationen, in denen man partout nicht zusammenfindet und plötzlich passiert etwas vollkommen unvorhergesehenes Absurdes oder Schlimmes und der Bann ist gebrochen. Das gemeinsame Lachen über den Heilbutt auf dem Kopf eines Mannes ist ein solcher Moment.

Und dass das Lachen noch etwas verkrampft wirkt, liegt vielleicht an der Verlegenheit der Lachenden, die beide wissen – ob lebendig oder tot –, dass sie sich gerade auf einem Nebengleis ihrer Geschichte befinden und sich auf der Hauptstrecke deshalb die Weichen noch nicht neu stellen.

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