Linken-Abgeordnete über ihre Festsetzung: „Es gab eine politische Anordnung“

Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken in Hamburg, erhebt Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Sie war am Düsseldorfer Flughafen festgesetzt worden.

Eine Frau mit langen Haaren vor einem Plakat mit der Aufschrift "Worte oder Taten?"

Wurde am Flug nach Erbil gehindert: Cansu Özdemir Foto: Christian Charisius/dpa

taz: Frau Özdemir, warum wollten Sie am Samstag nach Südkurdistan im Nordirak reisen?

Cansu Özdemir: Momentan kommt es dort zu einer Eskalation. Das hat einerseits innerkurdische Gründe, andererseits versucht die türkische Regierung, dort einen Krieg zu führen. Erst vor wenigen Tagen hat sie ein unter Schutz der Vereinten Nationen stehendes Flüchtlingscamp bombardiert. Dabei sind drei Zi­vi­lis­t*in­nen ums Leben gekommen. Ich wollte mir mit anderen Teilnehmenden einer Friedensdelegation ein Bild vor Ort machen und versuchen, durch Gespräche mit dortigen Organisationen, Parteien und der Zivilgesellschaft einen Beitrag zum Frieden zu leisten.

Um was handelt es sich bei der Friedensdelegation?

Aus ganz Europa haben sich Menschen vernetzt, die aus unterschiedlichen Bereichen stammen. Bei unserer Delegation war eine Lehrerin dabei, ein Fotojournalist und Menschen, die aktiv sind im Umweltbereich oder in Menschenrechtsfragen. Wir wollten mit unseren unterschiedlichen Schwerpunkten schauen, wie man angesichts der Eskalation langfristig Unterstützung leisten kann. Aus Hamburg waren wir zu zehnt, am Düsseldorfer Flughafen waren wir dann insgesamt 27 Teil­neh­me­r*in­nen der Delegation.

Was geschah am Düsseldorfer Flughafen?

Als ich gegen 7 Uhr am Flughafen ankam, hatte ich schon einen großen stämmigen Herrn gesehen, der uns regelrecht verfolgte, beobachtete und fotografierte.

Das klingt gruselig.

Er hat uns deutlich gemacht, dass er uns im Visier hat. Das war total komisch. Aber wir sind durch die Kontrolle gegangen und die Treppen hoch zum Gate, als sich eine Bundespolizistin vor uns aufstellte. Dann kamen zwei weitere Be­am­t*in­nen hinzu, plötzlich waren es viele, die uns umzingelten. Sie sagten, wir müssten mitkommen, unsere Reisepässe abgeben, und sie würden einige Überprüfungen machen.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe ihnen Fragen gestellt: Was ist die Rechtsgrundlage dieser Überprüfung? Mit welcher Begründung halten Sie uns hier fest? Da haben sie nur gesagt, es gebe „politische Hinweise“ und das sei eine „Anweisung von oben“. Ich dachte, ich bin im falschen Film.

Cansu Özdemir, 32, ist seit 2011 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und seit 2020 Ko-Fraktionsvorsitzende. Als Kind kurdischer Eltern engagiert sie sich seit Jahren für Frieden in Kurdistan.

Darf die Polizei überhaupt eine gewählte Parlamentarierin festsetzen?

Ich habe ihnen sofort klar gemacht, dass ich Abgeordnete bin und sie mich rechtswidrig an meiner politischen Arbeit hindern. Darüber haben sie sich lustig gemacht.

Später behauptete eine Sprecherin der Bundespolizei, Sie hätten sich zunächst nicht als Abgeordnete zu erkennen gegeben.

Das ist falsch und entspricht nicht der Wahrheit.

Dann wurden Sie verhört?

Es wurde angekündigt, dass je­de*r im Büro verhört werden würde. Da gebe es keine Diskussion. Sowohl unsere Hamburger Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus als auch mein Anwalt haben telefonisch den Amtsleiter darauf aufmerksam gemacht, dass Abgeordnete an ihrer Arbeit nicht behindert werden dürfen. Sie forderten ihn auf, die Maßnahme abzubrechen und mich nicht ohne Rechtsbeistand zu verhören. Nach etwa dreieinhalb Stunden haben sie mich dennoch in den Verhörraum gebracht. Nach kurzer Diskussion durfte ich aber gehen und mir wurde mitgeteilt, ich würde keine Ausreisesperre erhalten.

Im Unterschied zu den anderen Delegationsteilnehmer*innen?

Die meisten haben im Zuge des Verhörs eine Ausreisesperre erhalten.

Womit wurde das begründet?

In der Mitteilung stand, dass die Delegation vorhabe, als „menschliche Schutzschilde der PKK“ zu fungieren, und dass die Reise den deutsch-türkischen Beziehungen schaden würde. Später sagte eine Sprecherin der Bundespolizei, es gehe um das „Ansehen der Bundesrepublik im Ausland“.

Was halten Sie von den Gründen?

Es ist völlig realitätsfern zu glauben, dass wir bei den gegenwärtigen türkischen Luftangriffen als „Schutzschild“ fungieren würden. Wie soll ich mich denn bitte bei einer Luftbombardierung als Schutzschild hinstellen?

Und was ist mit dem Vorwurf, dem Ansehen der Bundesrepublik zu schaden?

Wir kritisieren natürlich, dass tausende Oppositionelle in der Türkei zu Unrecht in den Gefängnissen sitzen. Seit Jahren geht die Türkei in Richtung Diktatur. Selbst hier in Hamburg haben wir türkische Spione aufgedeckt, die Kri­ti­ke­r*in­nen überwachten und sogar Mordpläne schmiedeten. Wenn wir das benennen und uns als Delegation für den Frieden einsetzen, dann schaden wir dem Ansehen der Bundesrepublik nicht. Was dem Ansehen schadet, ist der Kniefall vor einem Diktator wie Erdoğan, den die Bundesregierung in diesem Fall offensichtlich betreibt.

Das heißt, die Festsetzung wurde politisch angeordnet?

Das wurde uns ja so mitgeteilt. Und es hat schließlich nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische Dimension. Deshalb kann ich mir nur den Innen- und den Außenminister als Anordnende vorstellen. Zeitgleich haben schließlich auch irakische Sicherheitskräfte De­le­ga­ti­ons­teil­neh­me­r*in­nen festgesetzt – das war also abgesprochen, es gab eine politische Anordnung.

Wollen Sie sich dagegen juristisch wehren?

Das bespreche ich nun mit meinem Rechtsanwalt. Es geht ja um verschiedene Aspekte, unter anderen um die Frage des Freiheitsentzugs oder der Nötigung zum Verhör. Es wird sicherlich ein juristisches Nachspiel haben.

Was muss politisch nun Ihrer Ansicht nach folgen?

Meine Kollegin Gökay Akbulut macht das nun im Bundestag zum Thema. Die Bundesregierung muss sich dazu äußern, auch darüber, was dieser Vorfall über die aktuelle Außenpolitik aussagt: Welche ethischen Werte vertritt die Bundesregierung? Innenpolitisch kommt hinzu: Die Empörung darüber ist nicht nur in meinem politischen Umfeld groß, sondern auch in anderen Parteien. Auch dort gibt es Befürchtungen und die Frage: Wie wird künftig der Umgang mit Mandats­trä­ge­r*in­nen aussehen? Ist das ein Präzedenzfall?

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