Erdoğan und der Nahostkonflikt: Der Antisemit vom Bosporus

Erdoğan schockierte zuletzt mit judenfeindlichen Äußerungen. Doch in der Türkei punktet er damit – nicht nur in der eigenen Wählerschaft.

Präsident Erdogan mit Sonnenbrille

Stimmungsmacher mit Sonnenbrille: Der türkische Präsident Foto: Murad Sezer/reuters

ISTANBUL taz | In der Türkei gibt es kaum ein Thema, bei dem sich die Mehrzahl der Menschen so einig ist wie in ihrer Solidarität mit Palästina. Auch wenn die säkulare Linke die Begeisterung von Präsident Erdoğan für die islamistische Hamas nicht teilt, grundsätzlich sind sich von der kurdisch-linken HDP bis zur rechtsradikalen MHP nahezu alle einig: Die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen sind die Opfer, weil ihre Gebiete besetzt sind, sie innerhalb Israels diskriminiert und in der Nutzung der heiligen Stätten in Jerusalem behindert werden.

Dass Israels Armee haushoch überlegen ist, führt dazu, dass der Raketenbeschuss aus Gaza im Vergleich zu den Militärschlägen der israelischen Luftwaffe und Artillerie oft als Marginalie gesehen wird. Nicht nur in regierungsnahen Zeitungen wird betont, dass auf aktuell 12 getötete Israelis mehr als 200 getötete Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen kommen, darunter viele Frauen und Kinder.

Wenn Erdoğan von israelischem „Staatsterror“ spricht, beschreibt er für viele nur die Realität. Seine Bemerkungen kommen auch bei regierungskritischen Menschen gut an, auch weil sich der Westen in den Augen der meisten Tür­k*in­nen durch Heuchelei auszeichnet.

Zurechtweisungen, wie jetzt von der US-Regierung, die die „antisemitischen Äußerungen“ Erdoğans verurteilte, während die USA im UN-Sicherheitsrat jede Forderung nach einem Waffenstillstand blockieren, kommen deshalb nicht gut an. Erdoğan hatte Israel „Terrorismus“ vorgeworfen und gesagt, dies liege „in der Natur“ der Israelis. „Sie töten Kinder. Sie sind erst zufrieden, wenn sie ihr Blut aussaugen.“

Der Bruch kam 2010

Dabei war die Türkei lange eines der wenigen muslimischen Länder mit guten Beziehungen zu Israel. Noch in den 90er Jahren absolvierte Israels Luftwaffe Übungsflüge in der Türkei. Das Verhältnis änderte sich zunächst auch nach dem Wahlsieg der AKP 2002 nicht. Erdoğan fungierte noch Mitte der nuller Jahre als Vermittler zwischen Israel, den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und arabischen Staaten.

Die Veränderung kam erst angesichts des Vormarsches der israelischen Rechten sowie durch das Abrücken der Türkei vom Verbund der westlichen Staaten. Der Bruch kam 2010, als Israel einen Konvoi von Hilfsschiffen für Gaza, der von einer türkischen Hilfsorganisation organisiert worden war, stoppte und dabei neun Tür­k*in­nen tötete.

Spätestens seit dem Arabischen Frühling 2011 setzte Erdoğan ganz auf die arabische Karte und die Muslimbruderschaft. Seitdem ist die Kritik an Israel stark religiös konnotiert und Erdoğan versucht, sich als muslimischer Führer zu profilieren. Vor allem in Konfliktphasen ist dann auch sein Antisemitismus unübersehbar.

Dabei war die Türkei für Jüdinnen und Juden lange ein Zufluchtsland. Das begann im 16. Jahrhundert, als der Sultan den von der katholischen Inquisition verfolgten sephardischen Juden Schutz anbot, und blieb im Osmanischen Reich so, wo Jüdinnen und Juden im Gegensatz zu den Chris­t*in­nen kaum unter Repressionen litten.

Heute gibt es zwar keine Angriffe auf jüdische Einrichtungen, aber der Antisemitismus hat zugenommen. In der aktuellen Situation versuchen die türkischen Jüdinnen und Juden, möglichst unsichtbar zu bleiben. Gleichzeitig nimmt dann nach Konfliktphasen meist die Zahl der Auswanderungen nach Israel zu.

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