was geht links der mitte?
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Totalschaden auf der linken Seite

Früher gewann die Linkspartei, wenn die SPD verlor – und umgekehrt. Sachsen-Anhalt zeigt, dass dies vorbei ist. Die beiden Ex-Arbeiterparteien verlieren gemeinsam

Foto: Trostblümchen: SPD-Kandidatin Katja Pähle am Tag nach den Wahlen (links). Auch die Linkspartei hat den Status Volkspartei im Osten verloren: Spitzendkandidatin Eva von Angern (rechts) Fotos: reuters, imago

Aus Berlin Anna Lehmann
und Stefan Reinecke

Katja Pähle weint, Olaf Scholz ist nicht da. Dieses Bild gibt die SPD am Sonntagabend ab. Die SPD-Spitzenkandidatin Katja Pähle verliert vor den Kameras den Kampf gegen die Tränen. Das Ergebnis sei „wirklich furchtbar“, sagt sie am Montag. Dabei hat die SPD in Magdeburg doch solide mitregiert und landespolitisch viel erreicht. Aber die niedrigeren Kitagebühren und verbilligten Nahverkehrstickets für Azubis – sie haben nicht gezählt. In Sachsen-Anhalt gibt es für die SPD nur eine Richtung – nach unten. Kein Wunder, dass Olaf Scholz es vorzieht, nicht Teil dieses depressiven Gemäldes zu sein.

Dafür muss Generalsekretär Lars Klingbeil, schon wieder, tapfer ein Desaster kleinreden. Noch 111 Tage, sagt er am Montag aufmunternd, seien es bis zur Bundestagswahl. „Vielleicht müssen wir noch lauter werden“, so Klingbeil. Das SPD-Dilemma steckt auch in dem „vielleicht“. Die SPD hat ja in Berlin die Angriffe auf die Union und Jens Spahns Missmanagement schon maximal hochgepegelt. Sie hat Kanzlerkandidat und Programm früh präsentiert. Sie ist laut, aber kaum jemand hört zu. „Das Rennen“, sagt Klingbeil, „ist sehr offen.“ Es klingt wie eine Beschwörungsformel.

So ähnlich ist es bei der Linkspartei. „Sachsen-Anhalt ist kein Fingerzeig für die Bundestagswahl“, so Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow mit tapferem Optimismus. Das Ergebnis sei „schmerzhaft“. Tatsächlich erlebt die Linkspartei in Sachsen-Anhalt eine kleine Katastrophe. Die Wahl sollte, so hatte es Fraktionschef Dietmar Bartsch im Frühjahr verkündet, zur Trendwende für die lahme Bundespartei werden. Weit gefehlt. Die Genossen verloren gut 5 Prozent. „Bitte nichts schönreden“, kommentierte der Bundestagsabgeordete Matthias Höhn, dessen Bundestagswahlkreis Stendal und die Altmark umfasst. Die Linkspartei verlor nicht nur in der Provinz. Auch in größeren Orten, wo sie als Andockstation für Jüngere und Bewegungsaffine in der Vergangenheit gewisse Erfolge hatte, verlor die Partei.

Warum? Haben SPD und Linkspartei in Magdeburg wegen einer Art AfD-Mechanik und eines Sogs Richtung Ministerpräsident verloren? Sind sie Opfer der Polarisierung zwischen CDU und AfD geworden? Also schlimm, aber doch ein lokales Ergebnis, begünstigt durch missliche Umstände? Pähle und auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sehen es so. Beide Parteien haben zwischen 1 und knapp 2 Prozent an die CDU verloren. Mag sein, dass manche Haseloff wählten, um die AfD zu verhindern. Aber das erklärt das Ausmaß der Niederlagen nicht.

„Die Leute sagen uns, ihr habt ja recht, aber keine Durchsetzungs-perspektive“

Wulf Gallert, Linkspartei Vize-Landtagspräsident in Magdeburg

Besorgniserregend sind für SPD und die Linkspartei zwei andere Zahlen. In Sachsen-Anhalt trauen die WählerInnen den Postarbeiterbewegungsparteien ausgerechnet auf deren angestammten Gebiet, der sozialen Gerechtigkeit, immer weniger zu. Mit der Linkspartei verbinden nur noch 20 Prozent Gerechtigkeit, 5 Prozent weniger als 2016, mit der SPD 17, das sind sogar 9 Prozent weniger. Dies ist mehr als eine sonderbare Entwicklung in einem sonderbaren Bundesland. Es verdeutlicht eine verzweifelte Lage. Weder sozialer Protest à la Linkspartei noch jene beharrlichen, kleinteiligen Reformen, die Pähle in Magdeburg und Scholz in Berlin für sich reklamieren, nutzen etwas. Wahlen kann aber nur gewinnen, wer wenigstens im heimischen Stadion siegt. So wie die Union ohne Vertrauen in ihre Wirtschaftskompetenz nicht gewinnen kann, so können es linke Parteien nicht ohne Kompetenz bei Gerechtigkeit.

Hier zeichnet sich eine Art Totalschaden ab. Man kann auch sagen: eine europäische Normalisierung. Ob in Frankreich oder den Niederlanden, Polen oder Italien, überall sind sozialdemokratische und postkommunistische Parteien nur noch ein Schatten ihrer selbst. Besonders bitter für die Linkspartei ist, dass die WählerInnen auch bei „Sorgen und Nöten Ostdeutscher“ der CDU mehr vertrauen als ihr. Volkspartei des Ostens? Das war einmal.

Für die Linkspartei wird es nun in Sachen Bundestagswahl langsam eng. Der Osten galt immer als Rückversicherung, auch wenn die Linke mittlerweile mehr Mitglieder im Westen hat. Von einer Regierungsbeteiligung ist die Linkspartei im Bund so weit entfernt wie Stendal von der Staatskanzlei in Magdeburg. Es geht nur noch um den Wiedereinzug in den Bundestag und die Fünfprozenthürde. Statt #CDUrausausderRegierung, wie Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow nach ihrer Wahl im Februar twitterte, muss der neue Slogan jetzt lauten #blossdrinbleiben. Wulf Gallert, linker Vize-Landtagspräsident, sieht in der fehlenden Machtoption ein Schlüsselproblem. „Die Leute sagen uns, ihr habt ja recht, aber keine Durchsetzungsperspektive.“ Dieses Problem werde man auch am 26. September haben.

Sicher ist: Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, in der Linkspartei eine beliebte Übung nach Niederlagen, wird es noch schneller abwärts gehen. Nach Sachsen-Anhalt müsse man „in der Partei die Vielstimmigkeit einstellen“, mahnt Hennig-Wellsow.

Der SPD-Bundesspitze fällt nach der Niederlage auch nicht viel ein. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans versichert Pähle etwas jovial: „An dir hat es nicht gelegen.“ Bis zur Bundestagswahl müsse nun das in der Großen Koalition „Erreichte mehr mit der Marke SPD verbunden werden“, so Walter-Borjans. Genau das versucht die SPD seit einem Jahr vergeblich. Mit Regierungserfolgen zu punkten, das hat auch in Magdeburg den Absturz nicht gebremst.

Katja Pähle sucht am Montag noch immer nach Gründen. Und findet keine. „Wir hatten doch die richtigen Themen“, sagt sie. Höhere Löhne, solide Schulpolitik. Fast wortgleich klingt die linke Spitzenkandidatin Eva von Angern, die den kreativen Wahlkampf und die richtige Themensetzung lobt. Dass man im Rückblick noch nicht mal Fehler erkennt, die man künftig meiden könnte, färbt das Bild noch schwärzer.

Der SPD hat derzeit nur noch eine Hoffnung: Olaf Scholz. Der steht, wohl wegen der bescheidenen Performance von Baerbock und Laschet, in Umfragen, wer ins Kanzleramt einziehen soll, recht gut da. Last Exit Scholz. Also mehr vom Gleichen. Einen Plan B gibt es nicht.