Diktaturfähigkeit für alle Deutschen: Jens Spahn am Telefon

Wie geht es weiter mit dem Gesundheitsminister? Wie mit Sachsen-Anhalt? Wohin geht Horst Seehofer? Und wer hat Mitleid mit Rot-Weiss Essen?

Horst Seehoer winkend

Sagt zum Abschied nur noch ganz leise Patrone: Bundesinnenminister Horst Seehofer Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Kann mal einer bei mir Filme für 1 Milliarde Euro bestellen und sich dann Ramsch andrehen lassen?

Und was wird besser in dieser?

Ah! Jens Spahn! Ich muss ans Telefon, sorry.

Der Ostbeauftragte des Bundes, Marco Wanderwitz, sieht Teile der Ostdeutschen als verloren an für die Demokratie. Ist die Welt in Westdeutschland wirklich so viel mehr in Ordnung?

Klar, Westler sind ein bisschen mehr „demokratie-sozialisiert“. Das wäre die günstigste Lesart. Indirekt entblößt Wanderwitz eine deutsche Gemeinsamkeit: So richtig weit her ist es mit der demokratischen DNA nicht hüben noch drüben. Der Westen hatte vierzig Jahre Nachhilfe, Versetzung immer noch gefährdet. Deutsche haben keine demokratische Revolution fertiggebracht, sie warten einfach ab. Bis ein Kaiser abdankt, ein Führer sich hirnwärts perforiert oder ein Gorbi den Zwinger öffnet. Der zweite Gedanke, „Ostdeutsche sind noch diktatursozialisierter als die Wessis eh schon“, würde uns immerhin alle beleidigen, Wanderwitz unmöglich machen – und einen guten Ansatzpunkt liefern.

Das erste Mal nach zwölf Jahren geht in Israel eine Regierung ohne den unter Korruptionsverdacht stehenden Dauerpremier Benjamin Netanjahu an den Start. Kann das überhaupt funktionieren?

Wenn Füchse und Hühner koalieren, weil sie den Bauern leid sind: Ja. Mit Fortune hält das Bündnis der einander Verhassten einen Tag länger als die Urteilsverkündung im Korruptionsprozess gegen Netanjahu. Lieber Konkurs als gar kein Kurs.

Im staatlichen belarussischen Fernsehen wurde ein erzwungenes Interview mit dem inhaftierten Regierungskritiker Roman Protassewitsch ausgestrahlt. Er bekennt sich darin, zu Protesten aufgerufen zu haben, und lobt Machthaber Alexander Lukaschenko. Wie lässt sich dieser Diktator noch stoppen?

Die Nato spricht von „Abschreckung und Dialog“ gegenüber Russland, Russland von „genauer Untersuchung und neuem Kredit“ gegenüber Belarus. Beide Seiten unterstellen einander, einen Machtbereich zu verhandeln. Darin wiederholt sich das Ukrainedrama. Eine Lösung läge in der Kunst, dass EU und Putin eine neue Definition dessen gelänge, was zwischen ihnen liegt. Moralischem Rigorismus zum Trotz: es müsste für beide Seiten wie ein halbvolles Glas aussehen.

Im Streit über eine Benzinpreiserhöhung scheint es gerade so, als seien parteiübergreifend alle gegen Annalena Baerbock. Haben Sie wenigstens noch ein Herz für unsere vielleicht zukünftige Kanzlerin?

Nein, das überlasse ich der FAZ: „Streit über Benzinpreise – alle stürzen sich auf Baerbock“ titelt es da. Die Sehnsucht nach einer Duftbegrünung der Union scheint auch im konservativen Lager so groß, dass man nun Baerbock gegen SPD, FDP und Linke verteidigt. Die wollen die kleinen Leute oder die kleinen Weltkonzerne beschützen, oder so. Sie wollen noch Sprit kaufen können, wenigstens bis zur nächsten Ampel.

Kardinal Marx hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten und sagt, die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“. Kann die Wiederauferstehung durch Abschied gelingen?

Jesusmäßiger Abgang, Marx lädt sich auf’s Kreuz, wofür Woelki circa dreimal hinschmeißen könnte: „Institutionelles und systemisches Versagen, auch jenseits Persönlichem.“ Reizvoller Bonus für die Köln-Touristik: „Besichtigen Sie den Dom und den toten Punkt – zwei Attraktionen zum Preis von einer!“

Bayerns Sonnenkönig Markus Söder will 14.000 Zu­schaue­r:in­nen im Corona-EM-Sommer in der Münchner Arena zulassen? Wie groß ist Ihre Freude über dieses Spektakel?

Die haben sich von der Uefa erpressen lassen und verkaufen es als „Pilotprojekt“. Wenn man die Uefa für den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen könnte, sehe ich Chancen auf eine Demokratisierung Bayerns.

Mit dem Ende der Legislaturperiode wird sich Innenminister Horst Seehofer aus der Politik verabschieden. Er freue sich auf das Ende seiner politischen Karriere, sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Ihre persönlichen Hoch- und Tiefpunkte mit dem Heimatminister?

Im unübersichtlichen Spannungsfeld zwischen christlicher, sozialer, bayerischer und knallrechter Politik definierte Seehofer noch mal ein persönliches Bermudadreieck. Aids-Kranke ins Heim, bei der Pflegeversicherung Sozialwilli mit Blüm, Rumkumpeln mit Autokrat Orbán, „Ausländermaut“ und Geburtstagsschüblinge. Schwer auf einen Nenner zu bringen, außer: Umfragen sorgfältig gelesen und sofort bei Bild angerufen. Wenn es gut für seinen Nachruhm läuft, wird man lose Kanonen künftig ehrenden Angedenkens des Horstismus zeihen.

Und was machen die Borussen?

Die U21 des BVB steigt in die Dritte Liga auf, und einmal mehr tötet eine mit Bundesliga-Profis gedopte Investmenthorde die kühnen Träume des Zweitplatzierten, hier: Rot-Weiss Essen. Da wird man kurz schizophren.

Fragen: Carolina Schwarz, Erica Zingher

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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