Hamburger Polizei erschießt Libanesen: Tod nach sieben Schüssen

Ein Mann schwenkt ein Messer und ruft „allah u akbar“. Die Polizei weiß sich nicht anders zu helfen, als ihn zu erschießen.

Ein Messergriff mit abgebrochener Klinge liegt am Straßenrand unter einem Absperrband

Gefährliche Waffe? Messer ohne Klinge Foto: Jonas Walzberg/dpa

HAMBURG taz | Am Freitagnachmittag hat die Polizei in Winterhude einen Mann erschossen. Der 36-Jährige war aus dem Libanon geflüchtet und lebte in einer öffentlichen Wohnunterkunft. Laut Darstellung der Polizei soll er Au­to­fah­re­r*in­nen und Pas­san­t*in­nen mit einem Messer bedroht und mehrere Autos beschädigt haben. Dabei soll er „allah u akbar“ gerufen haben. Verletzt hat er niemanden.

An der Kreuzung Hebebrandstraße/Sengelmannstraße trafen alarmierte Po­li­zei­be­am­t*in­nen auf den Mann. Ihnen gelang es nicht, die Situation zu deeskalieren. Sie hätten daraufhin Pfefferspray gegen den Mann eingesetzt, der nun auch die Polizist*in­nen bedroht habe, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei. Trotzdem gelang es ihnen nicht, den einzelnen Mann zu überwältigen.

Den überforderten Be­am­t*in­nen sei schließlich ein Team des Sondereinsatzkommandos (SEK) zur Hilfe geeilt, das sich „zufällig“ ganz in der Nähe befunden habe. Doch auch die gebündelten Kräfte von Polizeistreife und SEK konnten trotz des Einsatzes eines Elektroschockgeräts, eines so genannten Tasers, die Einzelperson nicht unter Kontrolle bringen. Schließlich schoss ein Beamter den Mann nieder.

Nach ersten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden sieben Schüsse auf den Mann abgegeben, wie eine Sprecherin nun der taz mitteilte. Trotz Erste-Hilfe-Leistungen einer Ärztin erlag der Mann noch am Tatort seinen Schussverletzungen.

Der Mann hat Menschen bedroht und Autos beschädigt, aber er hat niemanden verletzt

Nach Zeugenangaben soll der Mann vorher zunächst auf einem Trampelpfad zur Hebebrandstraße einen anderen Mann mit einem Messer bedroht haben. Im Anschluss habe er erst im Bereich der Sengelmannstraße/Hebebrandstraße gegen ein parkendes Auto getreten, dann auf der Fahrbahn zwei weitere Autos beschädigt, so die Darstellung der Polizei. Abschließend habe er noch versucht, einen vorbeifahrenden Fahrradfahrer zu treten. Währenddessen soll er ein Messer in die Luft gehalten und mehrfach „allah u akbar“ gerufen haben.

Die mutmaßliche „Tatwaffe“ des Mannes ist auf dem Foto abgebildet: ein handelsübliches Haushaltsmesser. Die Klinge ist offenbar direkt am Schaft abgebrochen. Laut einem Fotografen lag das Messer fast fünfzig Meter von der Stelle entfernt, an der der Mann starb. Wann und unter welchen Umständen das Messer beschädigt wurde, ist unklar. Klar ist jedoch, dass letztlich nur der libanesische Mann selbst verletzt wurde – und das tödlich.

Kurz nach dem Vorfall hatte eine Sprecherin der Polizei Hamburg dem Hamburger Abendblatt mitgeteilt, dass eine religiöse Motivation in Betracht gezogen werden müsse, schließlich habe der Mann „allah u akbar“ gerufen.

„Höchste Alarmstufe“

Laut Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, führt der Ausruf „allah u akbar“ quasi automatisch zum Terrorismusverdacht: „Dadurch werden solche Fälle auf die höchste Alarmstufe erhoben, von der sie nur schwerlich wieder herunterkommen.“ Tatsächlich müsse in weiteren Ermittlungen geklärt werden, ob den 36-Jährigen ein extremistisches Tatmotiv angetrieben habe. Doch weder seine Identifizierung noch die Durchsuchung seines Zimmers legen dies nahe, wie die Polizei mitteilt.

Behr hinterfragt auch die Legitimation der Gewaltanwendung durch die Einsatzkräfte: „Man fragt sich natürlich, ob es nicht andere taktische Möglichkeiten gegeben hätte.“ Das Problem sei ein systematisches: International gebe es keine seriöse Forschung zu nicht-tödlichen Deeskalationsmethoden. So komme es, dass Gewaltsteigerung schnell mit dem Griff zur Schusswaffe einhergehe. Das sei Teil des „erlernten Algorithmus“, so Behr.

Auf Anfrage der taz gibt die Polizei Hamburg so spärliche Auskünfte, dass sich die Eskalationsstufen des Polizeieinsatzes nicht nachvollziehen lassen. Nicht mal zur Anzahl der Einsatzkräfte vor Ort äußert sich die Polizeipressestelle konkret. Die Zahl der Personen habe im Einsatzverlauf „durchaus Veränderungen unterlegen“, so ein Pressesprecher. Auch der Frage, wohin genau geschossen wurde, weicht der Sprecher aus. Die Frage überschneide sich mit den Überprüfungen des Dezernats Interne Ermittlungen, das den Schusswaffeneinsatz routinemäßig untersucht.

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