Neuauflage „Falsche Propheten“: Die Verführenden

Leo Löwenthal hat 1949 Populismus und Demagogie analysiert. Die Mechanismen, die er mit der Psychoanalyse beschrieb, greifen heute wieder.

Porträtbild Leo Löwenthal, Mitbegründer der Kritischen Theorie

Leo Löwenthal, Mitbegründer der Kritischen Theorie Foto: privat

Krisen sind Gold wert für Demagogen. Ob Rechtsextremisten oder Verschwörungtheoretiker, Querdenker, QAnon-Spinner, AfDler oder Trump: Für sie alle ist der Zustand der Instabilität ein fruchtbarer Boden für ihre Agenda.

„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. (…) Aber wahrscheinlich erhält uns das“, hat Christian Lüth, der damalige Pressesprecher AfD-Bundestagsfraktion (neben anderen, richtig abscheulichen Aussagen) in einem geheim mitgeschnittenen Gespräch im Februar 2020 gesagt – und er liegt richtig damit.

Leo Löwenthal: „Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation“. Aus dem Englischen von Susanne Hoppmann-Löwenthal. Suhrkamp, Berlin 2021, 253 S., 15 Euro

Die politische Ausbeutung der Unzufriedenheit hat der große Soziologe Leo Löwenthal schon 1949 in seinem Buch „Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation“ analysiert.

Die „Malaise“, wie Löwenthal den Krisenzustand nennt, sei „ein Spiegel jener strukturellen Belastungen, denen der einzelne in einer Periode tiefgehender Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur ausgesetzt ist. (…) Auf der Ebene unmittelbarer Wahrnehmung scheint diese Malaise ihren Ursprung in den tiefsten Schichten des Individuums selbst zu haben und wird von ihm als eine scheinbar isolierte individuelle und rein seelische Krise erlebt. (…) Der Agitator watet in dieser Malaise, er genießt sie (…).“

Sozialpsychologische Dimension des Populismus

Der Suhrkamp Verlag hat Löwenthals Abhandlung nun wiederveröffentlicht. Das Buch hilft noch heute, die sozialpsychologische Dimension des Populismus und des Erfolgs antidemokratische Bewegungen zu begreifen.

Löwenthal (1900–1993) gehörte zu den Mitbegründern der Kritischen Theorie, er hat am wohl wichtigsten Werk der Frankfurter Schule, „Dialektik der Aufklärung“ (1944), mitgearbeitet. „Falsche Propheten“ war ein Teil der berühmten Studien zum Autoritarismus des Instituts für Sozialforschung. Löwenthal schrieb die Abhandlung im Exil in New York, wohin er aus Frankfurt/Main über Genf 1934 geflohen war.

Unter dem Eindruck des europäischen Faschismus agitierten in den USA während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Faschisten und Antisemiten (u. a. Joseph P. Kamp, Elisabeth Dilling, William Dudley Pelley) gegen Roosevelt und seinen New Deal. Löwenthal hat die Rhetorik und Narrative der Hetzer untersucht.

Agitator, Reformer und Revolutionär

Er unterscheidet dabei grundlegend zwischen dem Agitator, dem Reformer und dem Revolutionär: Während letztere beide sich politisch auf reale Missstände bezögen, ginge es ersterem weder darum, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, noch für ihre Klientel politische Verbesserungen zu erreichen.

Nein, in erster Linie zielt der Agitator auf die Gefühlsebene, betreibt die maximale Emotionalisierung von Politik (wobei es eigentlich keine „Politik“ im Sinne des Wortes ist, es sind überwiegend antipolitische Inhalte). Er will, dass seine Anhänger sich bloß besser fühlen und ihm deshalb folgen. Denn, so der Agitator, ihre Wut – auf Migranten, Juden, auf das fremde Andere – ist berechtigt; er sei der Einzige, der sich traue, diese unterdrückte Wahrheit auszusprechen.

Es ist erstaunlich, wie sehr die Motive der heutigen Agitatoren jenen von damals gleichen. Grundlegend ist ein Narrativ des Betrogenwerdens, nach dem der einfache, ehrliche, hart arbeitende Bürger nicht mehr bekomme, was ihm doch eigentlich zustünde. Trump hat diese Erzählung in Perfektion verkörpert, noch als er der mächtigste Mann der Welt war („Stop The Steal“); eine These wäre, dass die emotionale Intelligenz, über die Trump verfügt, der Schlüssel zur Macht war.

Erweckter und Erleuchteter

Die heutigen „Lügenpresse“- und „Umvolkungs“-Narrative gab es ebenfalls auf ganz ähnliche Weise bereits damals, die Feindbilder werden nur im Hinblick auf die jeweils aktuellen Krise modifiziert. Der Agitator gibt sich dagegen als Erweckter und Erleuchteter, dem es zu folgen gilt.

Bis heute unverändert ist der Jude das verschwörungstheoretische Feindbild schlechthin. In Löwen­thals Beispielen findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die „jüdisch-internationale Hochfinanz“ ist schuld an der Malaise, Juden werden „mysteriöse Kraftquellen“ zugesprochen. Attila Hildmann und Xavier Naidoo lassen grüßen.

Othering

Erfolgsentscheidend ist die psychologische Wirkung. Löwenthal erklärt psychoanalytisch, was bei dem Adressaten passiert: Es gelingt ihm, das eigene Unterdrückte auf das fremde Andere zu projizieren. In einer Passage erläutert Löwenthal dies anschaulich mit den „Schmutz“- und „Dreck“-Metaphern, die Agitatoren für Migranten verwenden.

Sie zielen damit (unbewusst) auf das Trauma der Reinlichkeitserziehung, das das kindliche Subjekt erfährt – psychoanalytisch gesprochen ist die Lust am Schmutz fortan die „verbotene Frucht“. Der Agitator macht dem nunmehr Erwachsenen das Angebot, die verbotene Lust auf die Fremden, die in „sein“ Land kommen, auszulagern. Der Schmutz, das sind die anderen. Auf ähnliche Weise funktionieren viele Projektionsflächen, die Agitatoren anbieten.

In Bezug auf die Gegenwart wirft dieses Buch viele Fragen auf. Denn Löwenthals Abschlussbemerkung gilt noch heute: „Die sozialwissenschaftliche Analyse als solche zerstört weder den Anreiz der Agitation auf sein Publikum, noch liefert sie einen politischen Plan zur Opposition gegen den Agitator. Aber sie vermag zumindest die wahre soziale und psychologische Bedeutung der Agitation bloßzulegen – ein vielleicht nicht unwesentlicher Schritt zu ihrer Verhütung.“

Und Lehren kann man eben doch aus der Lektüre ziehen. Etwa, dass die Emotionalisierung von Politik, die heute auch von (vermeintlich) progressiven Kräften vorangetrieben wird, immer gefährlich ist, nicht nur, wenn sie von rechts kommt. Man kann auch mit Sorge beobachten, wie anfällig Demokraten und demokratische Parteien für die Übernahme der antipolitischen Rhetorik der Agitatoren sind (zum Beispiel Markus Söders Ausspruch vom „Asyltourismus“).

Und was jene betrifft, bei denen die Propaganda verfängt, muss man sich ehrlich machen: Wenn es – oft, nicht immer – politikferne Motive sind, die die Leute in die Arme der Agitatoren treibt, dann können zum Beispiel auch Demokratiearbeit, Sozialarbeit und Kulturarbeit dazu beitragen, dies auf lange Sicht zu verhindern.

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