Impfempfehlung für Kinder: Der moralische Impferativ

Erwachsene, die im Biergarten sitzen, während Kinder zu Hause lernen? Ausgeschlossen! Um zur Normalität zurückkehren zu können, kommt es nochmal auf alle an.

Menschen warten im Corona-Impfzentrum

Um Herdenimmunität zu erreichen, muss die Impfquote unter Erwachsenen bei fast 100 Prozent liegen Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Ständige Impfkommission wird voraussichtlich keine Covid-Massenimpfungen für Kinder empfehlen. Die Stiko entscheidet vor allem auf Basis medizinischer Daten, und diese Datenbasis ist momentan zu schmal. Wie mit der Empfehlung umgegangen wird, ist eine moralisch aufgeladene Frage. Und eine Frage der Solidarität.

Zu Beginn der Pandemie hat die Gesellschaft Solidarität mit den Alten eingefordert. Kinder sollten ihre Großeltern nicht besuchen, nicht mehr auf Spielplätzen toben, ihre Freunde nicht sehen, zu Hause lernen. Obwohl sie selbst kaum schwer erkranken.

Auch wenn sich das Leben für viele Erwachsene wieder halbwegs normal anfühlt – für viele Kinder herrscht nach wie vor Ausnahmezustand. Unterricht findet nur wochenweise statt, die Hälfte der Klasse haben sie seit Monaten nicht gesehen, Arbeitsgemeinschaften sind ausgesetzt, Kindergeburtstage und Klassenfahrten seit über einem Jahr abgesagt.

Wie schnell sich das Leben für die Kinder wieder normalisiert, wird nun davon abhängen, wie solidarisch die Älteren gegenüber den Jüngeren, die Kinderlosen gegenüber den Familien sind.

Für Normalität brauchen wir Herdenimmunität

Der goldene Weg zurück in die Normalität führt über die Herdenimmunität. Damit dieser magische Zustand erreicht wird, müssen über 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Allein 16 Prozent der Bevölkerung sind aber jünger als 18 Jahre. Rechnet man diese Gruppe also raus – und die Empfehlung der Stiko wird selbst impfwillige Minderjährige nicht unbeeindruckt lassen –, dann muss die Impfquote im Rest der Bevölkerung bei fast 100 Prozent liegen, damit Herdenimmunität erreicht wird.

In unserer liberalen Gesellschaft haben sich alle daran gewöhnt, ihre individuellen Rechte und Möglichkeiten jederzeit und überall durchzusetzen – ob im Supermarkt oder bei der Wahl des für sie besten Impfstoffes. Das Ziel der Herdenimmunität ist wohl nur über eine Impfpflicht zu erreichen.

Diese steht politisch nicht zur Debatte. Es ist also absehbar, dass es immer wieder zu Ausbrüchen und als Folge dieser zu Einschränkungen kommt. Diese sollten dann aber für alle Bereiche gelten. Erwachsene, die im Biergarten sitzen, während Kinder zu Hause lernen? Ausgeschlossen!

Schulen und Kitas müssen wieder öffnen – unabhängig vom Impfstatus. Freiheiten allein für Geimpfte sind nur dann berechtigt, wenn alle gleichberechtigt Zugang haben. Ist das, so wie derzeit, nicht gegeben, sollte bei steigenden Inzidenzen der Grundsatz gelten: Masken, Abstand, Hygiene für alle und überall. Und natürlich: Impfen. Nicht als Pflicht. Aber als moralischer Imperativ.

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

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