Diskussion über toxische Online-Männer: Die Giftfrösche greifen an

Sind Incels mit ihrer gekränkten Männlichkeit eine „Gefahr für Deutschland“? Darüber diskutiert online die Hamburger FDP-Frau Ria Schröder.

Keramikfrosch mit Tabletcomputer

Eigentlich zu niedlich: eine Illustration des Klischees vom vereinsamt surfenden Versagertypen Foto: PxHere

Im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit: Dass ein Thema Karriere gemacht hat, dafür ist hierzulande immer noch der „Tatort“ ein ziemlich gutes Indiz. Das Sonntagabend-TV-Lagerfeuer, angeblich jahrzehntelang die Generationen auf dem heimischen Sofa einend, mag Federn gelassen haben in der jüngsten Vergangenheit, nicht nur wegen Netflix. Aber wenn ein*e Dreh­buch­au­to­r*in des altgedienten Krimiformats ein Thema aufgreift, und dieses auch bei den Senderzuständigen keinen Anstoß erregt, dann ist es wohl kaum noch eines, das in irgendeiner Nische zuhause wäre.

Als Anfang März der Kieler Tatort „Borowski und die Angst der weißen Männer“ ausgestrahlt wurde, fragten dann zwar noch ein paar flankierende Zeitungsartikel wer die seien, diese „Incels“, und wie gefährlich – wenige aber waren es dafür, dass es sich da ja um ein noch nicht jahrzehntelang zurück zu verfolgendes und zudem ein im Wesentlichen doch Online-Phänomen handelte.

Dass die Hamburger FDP-Politikerin Ria Schröder, Mitglied des Bundesvorstands ihrer Partei und ehemalige Chefin der Jungen Liberalen, am heutigen Dienstagabend online darüber diskutiert, ob diese Incels – die Selbstbezeichnung unfreiwillig zölibatär lebender Männer, auf Englisch „involuntary celibates“ – eine „Gefahr für Deutschland“ sind: Auch das bezeugt ja, welchen Weg diese ganze Materie genommen hat.

Wer nun denkt: „Gefahr? Für ganz Deutschland gleich? Ist das nicht etwas übertrieben?“ Nun, wie man es nimmt: Versatzstücke verquasten Männlichkeitsdenkens finden sich in der jüngeren Vergangenheit auch in den teils schriftlichen Hinterlassenschaften von Massenmördern. Auch der Attentäter von Halle, Stefan B., sah sich einerseits als Versager, glaubte aber unter anderem, dass der Feminismus wesentlich Schuld trage am allgemeinen Niedergang.

Mann ist nicht gleich Mann

Wenn Ihnen „Incels“ trotzdem noch nicht viel sagt, dann vielleicht das Konzept „Pick-up artist“; auch so einer trat auf in der Kieler Krimihandlung: Das ist ein Mann, der anderen Männern beizubringen verspricht, Frauen aufzureißen, und das mit vermeintlicher Erfolgsgarantie. Voraussetzung für dieses seit den 1990er-Jahren weltweit in Erscheinung tretende Geschäftsmodell ist nicht zuletzt die Annahme, dass es unterschiedliche Männertypen geben muss; unterschiedlich vor allem, was ihre Attraktivität beim anderen Geschlecht angeht – mehr als zwei davon sind in der Welt solchen Manntums definitiv nicht vorgesehen. Zielgruppe für die Dienstleistung sind Männer, die – mal mehr, mal gar nicht begründet – von sich glauben, bei Frauen keine Chance zu haben, weil sie deren unterstellt oberflächlich-berechnenden Ansprüchen nicht genügen.

Online-Diskussion „Incels: Gefahr in Deutschland?“ mit Susanne Kaiser und Ria Schröder (FDP), Moderation: Christoph Giesa; 18 Uhr, via Zoom.

Anmeldung unter https://shop.freiheit.org/#!/Veranstaltung/TJ8TT

Denn das ist der nächste Baustein im Weltbild solcher Männer: Frauen, obschon begehrtes Eroberungsziel, werden flugs zum Quell alles Schlechten erklärt, zumal seit der Feminismus ihnen diese ganzen falschen Ideen eingeflüstert habe; das geht nicht immer so weit wie bei Stefan B., für den gleich „der Jude“ dahinter steckt, wenn deutsche, weiße Frauen die ihnen gemäßen Männer verschmähen – zugunsten irgendwelcher Eingewanderter. Endziel solcher vermeintlich durchschauten Groß-Intrigen ist dann die „Umvolkung“ – und das zeigt, wie kompatibel diese sich angegriffen fühlende Männlichkeit ist mit rechtsextremem Denken und Handeln.

Schon indem Frauen an Dinge wie Gleichberechtigung glauben, ja: dafür kämpfen und das manchmal sogar erfolgreich, enthalten sie demnach Männern etwas vor, das denen angeblich zusteht: Sex, klar, der eine zentrale Währung darstellt, durchaus nicht zuletzt zur Bestätigung des eigenen Wertes. Aber mindestens so sehr geht es da auch grundsätzlicher um angeblich urwüchsige Rollenverteilungen, denen jeder Gleichberechtigungsgedanke, aber auch alle Ideen einer anderen, sanfteren Männlichkeit fremd zu bleiben haben.

Umso verlockender ist da die – verklärende – Rückbesinnung auf ein Früher, eine Zeit vor dem feministischen Sündenfall, als die Frau noch wusste, wo ihr Platz war. Diese Dimension macht sie dann auch politisch brisant, die unfreiwillig Ungeküssten, die Möchtegern-Alpha-Kundschaft der „Aufreißkünstler“ und überhaupt alle Männer mit „gekränktem Anspruch“, wie es der Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel nennt.

Politiker wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump, sein brasilianisches Pendant Jair Bolsonaro oder der AfD-Funktionär Björn Höcke hätten aus diesem gekränkten Anspruch „ein politisches Programm der männlichen Souveränität geformt“, schreibt Susanne Kaiser, Schröders Mitdiskutantin heute Abend. In ihrem Buch „Politische Männlichkeit“ (Suhrkamp 2020) geht die Berliner Journalistin der Frage nach, „wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“. Diese „massive reaktionäre Bewegung“, hat Kaiser der taz gesagt, sei „das deutlichste Zeichen für die Erosion des Patriarchats: Früher waren weiße Männer die Norm, da musste man gar nicht drüber sprechen.“

Auch das klingt arg nach dem, was auch An­hän­ge­r*in­nen einer angeblichen weißen Überlegenheit umtreibt: Auch diese lange hegemonial Erscheinenden reagieren ja teils bemerkenswert aggressiv auf jede Infragestellung. Und in den Foren und Chaträumen hat das längst zusammen gefunden, da bilden der Anspruch auf weiße Dominanz und der auf Anerkennung dafür, männlich zu sein, zuverlässig Bündnisse.

Die Jungen Liberalen in Niedersachsen haben zu Jahresanfang ein „Grundlagenprogramm zum Liberalen Feminismus“ erarbeitet. Darin tauchen zwar keine Incels auf, aber es gibt einen Abschnitt zu „Sexismus im Internet“. Es sei wichtig, heißt es da, „das Internet als Raum der freien Meinungsäußerung und Informationsbeschaffung zu erhalten und gleichzeitig einen respektvollen, das Persönlichkeitsrecht wahrenden Umgang miteinander zu gewährleisten“ – der zentrale Konflikt in diesem Zusammenhang.

Ob die FDP-Politikerin Schröder Kaisers theoretische Einbettung der „Politischen Männlichkeit“ in eine Kritik des Patriarchats mitträgt? Ob sie anerkennen mag, dass in den Köpfen der gefühlten Versager auch ein verabsolutierter Glaube an den Wettbewerb am Werk ist, der naturgemäß nur wenige Gewinner produziert und umso mehr Verlierer? Es könnte spannend werden.

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