Medienberichte über Hof in Friesland: Geschenkte Aufmerksamkeit

Ein Paar in Schortens sucht Nach­fol­ge­r:in­nen für sein Bio- und Fair-Kaufhaus. Ein NDR-Beitrag macht daraus eine Verschenkaktion.

Reinhard Hartwig in seinem Laden mit Schürze

Misstraut dem „GEZ“-Fernsehen, freut sich aber über Besuch vom NDR: Reinhard Hartwig Foto: Philipp Nöhr

BREMEN taz | Die Sonnenstrahlen erreichen kaum den Sessel im holzvertäfelten Halbdunkel, in dem Reinhard Hartwig sich eine Zigarette anzündet und auf sein Lebenswerk zeigt. „Alles, was wir im Laufe unseres Lebens erarbeitet haben, haben wir hier reingesteckt“, sagt der 68-Jährige und blickt zufrieden auf die Verkaufsfläche neben ihm. Häkelsocken neben Klangschalen, gemalte Lamas an Rosen-Stillleben, darüber das Aroma von frischem Kaffee und feuchtem Keller.

Vor rund 30 Jahren hätten seine Frau Jutta und er begonnen, aus der alten Gaststätte einen Laden mit veganen und fair gehandelten Waren sowie selbst geröstetem Kaffee zu machen. Ihr „Fairhandelshaus Mercado Mundial“ im friesischen Schortens sei heute überregional bekannt und erfolgreich, erzählt Hartwig selbstbewusst – doch damit solle für das Ehepaar bald Schluss sein. „Wir sind in dem Alter, wo wir unser Lebenswerk nicht noch weitere 20 Jahre betreiben können“, sagt Hartwig. „Deswegen freuen wir uns, wenn wir jüngeren Menschen eine Existenz anbieten können – ohne, dass sie etwas dafür bezahlen müssen.“

Es wirkt wie eine unglaubliche Geschichte: Ein selbstloses Ehepaar will seinen langjährigen Familienbetrieb verschenken und sucht öffentlich nach Menschen, die ihr Geschenk annehmen wollen. Die Geschichte wirkte wohl unglaublich genug, dass auch der Norddeutsche Rundfunk sich des Paares aus der friesischen Kleinstadt Schortens annahm und darüber einen Fernsehbeitrag für das Regionalmagazin „Hallo Niedersachsen“ sendete.

Doch nicht „für umme“

Haus und Hof, samt Laden und Café „für umme – sind die verrückt?“, fragt die Sprecherin im NDR-Beitrag verständlicherweise. Einige Tage später wird der Beitrag auch in der ARD-Sendung „Brisant“ gezeigt, heute ist er auch auf deren Facebook-Seite unter der Überschrift „Haus, Hof und Laden zu verschenken“ zu finden. Es gibt nur einen Haken an der Geschichte: Sie stimmt so nicht.

„Es hat mit dem NDR-Beitrag so richtig angefangen, hier Wellen zu schlagen“, sagt Hartwig. Bis zu 200 Mails pro Tag hätte der kleine Betrieb nach der NDR-Sendung von Interessierten erhalten, viele davon auf der Suche nach einem Gratis-Hof im Grünen. Hartwig gibt sich verärgert über diese Darstellung – denn während der sechs Stunden, die das NDR-Team vor Ort drehte, hätten die beiden klar gemacht, dass der Betrieb nicht einfach verschenkt werde. Veganer Lebensstil, offener Charakter, Vorliebe für guten Kaffee – das seien die immateriellen Voraussetzungen an die Bewerber:innen, die auch im NDR-Beitrag genannt werden.

Doch einen entscheidenden Aspekt nannte die Journalistin nicht. „Wir verschenken die Arbeit“, sagt Jutta Hartwig. „Ansonsten ist es ein Kauf auf Raten durch eine Leibrente.“ Soll heißen: Die Nach­fol­ge­r:in­nen übernehmen das Grundstück und den Betrieb, müssen dafür aber dem Ehepaar eine lebenslange Rente zahlen. Dazu gehört auch ein lebenslanges Wohnrecht für ein Haus auf dem Grundstück, außerdem werden die beiden weiterhin auf dem Hof mitarbeiten. „Für umme“ sieht anders aus.

Krieg gegen Soros und Gates

Auf Nachfrage der taz räumt der Norddeutsche Rundfunk Fehler in der Berichterstattung ein. Zwar hätte der Bericht „keinen Zweifel“ daran gelassen, dass an die Nachfolge auch Bedingungen geknüpft seien. Doch in dem Beitrag von einem Geschenk zu sprechen, sei „bei sorgfältiger Betrachtung nicht korrekt“ gewesen, sagt Susanne Wachhaus, Redaktionsleiterin bei „Hallo Niedersachsen“.

Eine sorgfältige Betrachtung hätte vielleicht auch den Protagonisten in einem anderen Licht gezeigt – insbesondere mit Blick auf die öffentliche Facebook-Seite von Reinhard Hartwig: Dort etwa teilte er jüngst einen Post, nach welchem wir heute „schon längst den 3. Weltkrieg“ sehen, der zwischen den Bevölkerungen und den „Eliten“ wie George Soros und Bill Gates ausgefochten werde.

Auch eine Pandemie gäbe es gar nicht – dafür aber eine „Meinungsmache im GEZ-Fernsehen“, das „mit wissenschaftlichem Denken wenig zu tun“ habe, wie er im März letzten Jahres postete. Doch all das scheint Reinhard Hartwig nicht weiter zu stören, wenn das durch „Zwangsgebühren“ finanzierte GEZ-Fernsehen persönlich bei ihm und seiner Ehefrau vorbeikommt, um ihren Betrieb im Abendprogramm vorzustellen.

Und so richtig unglücklich erscheint er im Verlauf des Gesprächs auch gar nicht über den ganzen Medienrummel, der sich seit dem NDR-Beitrag um ihren kleinen Betrieb in Schortens entfaltet hat. Denn verschiedene Lokalmedien in Niedersachsen haben die Geschichte eines Hofs „für umme“ offenbar unhinterfragt in ihrer Berichterstattung übernommen – und auch die taz war offensichtlich nicht davor gefeit, zunächst auf die unglaubliche Geschichte anzuspringen.

Regionale Medienstars

So machte der Lokaljournalismus mit einer fehlenden Information Jutta und Reinhard Hartwig plötzlich zu regionalen Medienstars, die seitdem fast tausend schriftliche Bewerbungen erhalten haben – und diese mit ihrem Anspruch an die Nach­fol­ge­r:in­nen offenbar auch brauchen. „Ich denke, einer von tausend Bewerbern ist geeignet“, sagt Hartwig selbstbewusst. Bei der hohen Bewerberzahl sei also bald „ein Ende in Sicht.“

Hartwig drückt seine Zigarette aus, im Hintergrund beginnt die Playlist mit Klangschalen-und-Panflöten-Beats zum dritten Mal. „Wir leben hier in unserer eigenen Welt“, sagt Hartwig und lehnt sich entspannt in seinen Sessel zurück. „Was da draußen passiert, tangiert uns persönlich nicht.“

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