Nur Geimpfte
mit Zweitwohnsitz

Die Impfquote steigt, die Infektionszahlen sinken. Es kann gelockert werden. Nur was genau? Und wie viel? Für wen? Schließlich ist die Pandemie noch immer nicht vorbei. Fragen und Antworten zum Dürfen und Nichtdürfen im Hier und Jetzt

Strandkörbe auf Westerland: Tourismus unter Auflagen Foto: Axel Heimken/dpa

Von Felix Lee, Malte Kreuzfeldt, Eva Oer
und Christian Rath

Ab diesem Wochenende wird für Geimpfte und Genesene gelockert. Welche Freiheiten erhalten sie zurück?

Geimpfte und Genesene dürfen nachts auf die Straße und in den Wald – nächtliche Ausgangssperren gelten für sie nicht mehr. Sie können sich auch draußen und drinnen wieder in beliebig großen Gruppen treffen. Sie dürfen zudem gemeinsam Sport treiben, etwa Fußball spielen. Bei der Einreise aus einem Risikogebiet oder nach dem Kontakt mit einem Virusträger müssen sie meist nicht in Quarantäne.

Das alles regelt die Ausnahmeverordnung der Bundesregierung, der am Freitag auch der Bundesrat zugestimmt hat. Immer wenn der Zugang zu einem Laden oder einer Dienstleistung nur mit einem negativen Test möglich ist, können Geimpfte und Genesene künftig auch auf den Test verzichten. Sie müssen allerdings weiterhin Maske tragen, Abstand halten und Hygiene-Regeln beachten. Damit soll zum einen das Restrisiko, das von ihnen ausgeht, reduziert werden. Zum anderen ist eine Kontrolle, wer geimpft oder genesen ist, in der Öffentlichkeit kaum umsetzbar.

Für wen gelten die Befreiungen genau?

Die Lockerungen gelten nur für die vollständig Geimpften. Bei den meisten Impfstoffen sind zwei Impfungen plus ein zeitlicher Puffer von 14 Tagen erforderlich. Derzeit sind bundesweit 7,4 Millionen Personen vollständig geimpft, das sind 8,8 Prozent der Bevölkerung. Eine einzelne Impfung genügt in der Regel nicht für die Befreiung.

Auch bei den rund 3,1 Millionen Genesenen gibt es Unterschiede. Die Befreiungen gelten nur, wenn die Infektion im letzten halben Jahr erfolgt war und mindestens 28 Tage zurückliegt; das trifft auf rund 2,7 Millionen Menschen zu. Der Nachweis, dass man zu dieser Gruppe gehört, kann nur mit einem positiven PCR-Test aus diesem Zeitraum erbracht werden. Ein positiver Antigentest genügt nicht, weil er zu ungenau ist. Wer zum Beispiel vor einem Jahr mit dem Covid-19-Virus infiziert war, gilt nicht mehr als Genesener, weil die Immunität nachlässt. Hier genügt jedoch eine einzige Impfung (statt zwei), um als vollständig geimpft zu gelten.

Und was gilt für alle anderen?

Auch die Perspektiven für die (noch) Ungeimpften sind erfreulich. Zwar liegen noch 269 der 412 Stadt- und Landkreise über dem Inzidenzwert von 100. Aber die Zahl dieser Kreise sinkt derzeit von Tag zu Tag. Wenn der Inzidenzwert fünf Tage hintereinander unter 100 liegt, wird die Bundesnotbremse in diesem Kreis automatisch ausgeschaltet. Das heißt: Die obligatorische nächtliche Ausgangssperre tritt ebenso außer Kraft, wie die Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Gastronomie, Kultur und Freizeiteinrichtungen.

Was in Stadt- und Landkreisen mit einer stabilen Inzidenz unter 100 gilt, das regeln die Bundesländer. Das Infektionsschutzgesetz lässt ihnen dabei relativ viel Spielraum. Es gibt auch keine Bund-Länder-Treffen zur Koordinierung mehr. Es könnte also wieder einen Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen geben. Dabei ist der Trend wohl aber überall derselbe: Angesichts der tendenziell sinkenden Inzidenzwerte soll in den Ländern peu à peu gelockert werden. Einzelhandel, Gastronomie, Kultur und Freizeitstätten sollen wieder öffnen dürfen – in der Regel mit einem Testkonzept.

Können wir wirklich davon ausgehen, dass die Zahlen weiter sinken werden? Oder sollten wir warten mit Lockerungen?

Die Entwicklung der letzten zehn Tage ist sehr erfreulich: Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen ist im 7-Tage-Mittel zuletzt auf unter 16.000 Fälle pro Tag gesunken, das sind fast 20 Prozent weniger als eine Woche zuvor. Auch auf den Intensivstationen ist in den letzten Tagen erstmals wieder ein Rückgang zu verzeichnen: Die Zahl der dort behandelten Coronapatient*innen fiel am Freitag auf unter 4.700 und lag damit knapp 7 Prozent niedriger als eine Woche zuvor. Die Zahl der Corona­toten sinkt dagegen bisher kaum; in der letzten Woche wurden pro Tag im Schnitt 223 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet.

Ob der sinkende Trend anhält, ist offen. Die Lockerungen für Geimpfte und Genesene sollten den Trend nicht verändern, weil von diesen nur noch ein sehr geringes Ansteckungsrisiko ausgeht. Die Lockerungen für alle anderen erhöhen das Ansteckungsrisiko dagegen natürlich wieder – ebenso wie die nachlassende Vorsicht, die auch unabhängig von staatlichen Regeln einsetzen kann, wenn die Zahlen sinken.

Gleichzeitig wird die Zahl der Geimpften in den nächsten Wochen weiter stark steigen, und das bessere Wetter wird mehr Aktivitäten im Freien ermöglichen; beides senkt die Infektionsgefahr. Welcher Effekt überwiegen wird, ist offen. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, rief die Bundesländer am Freitag zu Zurückhaltung auf. „Wir dürfen nicht ungezielt lockern“, warnte er.

Kann ich innerhalb Deutschlands wieder reisen?

Das kommt ganz darauf an, wohin es gehen soll. Für die Ferienbuchung ist in den meisten Bundesländern noch etwas Geduld nötig – auch wenn grundsätzlich vielerorts bald erste Lockerungsschritte für den Tourismus vorgesehen sind. Niedersachsen zum Beispiel steigt ab kommender Woche langsam wieder in den Tourismus ein, allerdings nur in Orten mit niedriger Inzidenz, außerdem erst mal lediglich für die eigenen Bewohner*innen des Bundeslandes und unter Auflagen.

Schneller ist Schleswig-Holstein: Dort ist mancherorts schon wieder Urlaub möglich – ebenfalls unter strengen Auflagen wie einer Testpflicht. Sylt etwa empfängt schon seit dem 1. Mai wieder Gäste. Ab diesem Samstag sind Urlauber*innen in der Inneren Lübecker Bucht wieder willkommen. Auch Reisen nach Bayern sollen zumindest in Regionen mit niedrigen Inzidenzwerten ab den Pfingstferien möglich sein.

Wie sieht es mit Reisen ins Ausland aus?

Bisher ist das nicht nur mit Risiken, sondern auch mit einiger Recherche verbunden – schon in der EU sind die jeweiligen Regeln zur Einreise uneinheitlich, und sie können sich jederzeit ändern. Reisende müssen mancherorts in Quarantäne gehen, etwa in den Niederlanden, die dringend von Urlaubsreisen abraten. Andernorts müssen die Urlau­ber*in­nen je nach Coronalage in ihrem Herkunftsland nicht einmal ein negatives Testergebnis vorlegen: Vollständig geimpfte Deutsche dürfen derzeit etwa ohne Test nach Dänemark einreisen.

Viele Länder wie etwa Italien und Griechenland brauchen den Tourismus und haben für den Mai oder Anfang Juni den Neustart in die Urlaubssaison mit Lockerungen für Reisende vorgesehen.

Brauche ich einen EU-Impfpass?

Nein, es gibt ihn nämlich noch gar nicht. Aber Brüssel arbeitet daran: Ein „digitales grünes Zertifikat“ soll das Reisen erleichtern und dafür Testergebnisse speichern sowie die Information, ob die Inhaber*innen den vollständigen Impfschutz haben oder gerade erst von einer Covid-19-Infektion genesen sind. Voraussichtlich Ende Juni soll das System starten, die nationalen Behörden sollen den Pass ausstellen. Auch die deutsche Impfpass-App orientiert sich an den Vorgaben der EU.

Bis es auf EU-Ebene losgeht, sind allerdings noch ein paar Fragen zu klären, zum Beispiel, ob die Mitgliedsländer nur die Impfung mit Vakzinen akzeptieren, die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur zugelassen sind. Während der Vorschlag der EU-Kommission vorsieht, alle in der EU genutzten Impfstoffe auch EU-weit anzuerkennen, hatte sich das Europäische Parlament Ende April dagegen ausgesprochen. Denn Ungarn lässt seine Bevölkerung auch mit dem russischen Produkt Sputnik V sowie in China hergestellten Stoffen impfen.

Und müssen wir uns Sorgen machen, dass eine Mutante auftaucht und alles wieder von vorne anfängt?

Die besonders wirksamen mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna dürften nach Einschätzung der Unternehmen auch gegen die in Indien grassierende Coronamutation wirken, ebenso gegen die in Deutschland besonders weit verbreitete Mutation, die in Großbritannien als Erstes auftauchte. Doch während Biontech seinen Impfstoff bei mehr als 30 Coronavarianten getestet hat und sein Vakzin eigenen Angaben zufolge bei fast allen genauso gut funktioniert wie bei der Ursprungsform, scheint der von AstraZeneca bei der Mutation, die in Südafrika weit verbreitet ist, nicht mehr so gut zu schützen. Südafrika und einige andere Länder verimpfen AstraZeneca deswegen nicht mehr.

Von vorn beginnt die Pandemie aber sicherlich nicht. Zwar ist davon auszugehen, dass angesichts der weltweiten Verbreitung des Virus in den nächsten Monaten und Jahren noch viele weitere Mutanten entstehen werden, bei denen selbst die mRNA-Impfstoffe weniger wirksam sein könnten. Bislang scheint es aber schon so zu sein, dass selbst in den Fällen, in denen die Immun­antwort schwächer ausfällt, die Vakzine vor schwerer Erkrankung schützen. Zudem entwickeln die Hersteller ihre Vakzine laufend weiter. Wahrscheinlich ist, dass jedes Jahr nachgeimpft werden sollte.