Referendum in Kirgistan: Dschingis Khan lässt grüßen

Am Sonntag stimmen die Kir­gi­s*in­nen über eine neue Verfassung ab. Sie stattet den Präsidenten mit mehr Macht aus. Beobachter*in­nen sind alarmiert.

Unterstützer/innen des Präsidenten, teilweise traditionell gekleidet, schwenken Fähnchen

Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Präsidenten Japarow während einer Kundgebung im Januar 2021 Foto: Vladimir Voronin/ap

BERLIN taz | Die Prognosen sind düster: Ex­per­t*in­nen sprechen von einem „Faksimile des russischen Systems“ und einer „tickenden Zeitbombe“. Auch vor einigen Monaten hörte sich das nicht viel besser an. Da mokierten sich Be­ob­ach­te­r*in­nen über die „Khanstitution“ – eine Anspielung auf die mongolischen Reiternomaden, die Zentralasien über Jahrhunderte hinweg in absolutistischer Manier beherrscht hatten.

Die Rede ist von einer renovierten Verfassung, über die die Kir­gi­s*in­nen an diesem Sonntag abstimmen. Sollte sich die Mehrheit für ein Ja entscheiden, wovon auszugehen ist, würde das dem Präsidenten einen erheblichen Machtzuwachs bescheren.

Dabei galt der zentralasiatische Staat mit rund 6,5 Millionen Einwohner*innen, der 1991 von der Sowjetunion unabhängig wurde, in der Region lange Zeit als „Insel der Demokratie“. 2005 und 2010 hatten sich die Kir­gi­s*in­nen gegen ihre Regierung erhoben und mit Askar Akajew sowie Krumanbek Bakijew zwei Präsidenten gestürzt und außer Landes gejagt.

Im Herbst 2020 folgte dann der dritte Streich. Bei der Parlamentswahl am 4. Oktober erreichten zwei regierungsnahe Parteien fast die Hälfte der Stimmen, was eine absolute Mehrheit der 120 Sitze im Parlament bedeutete. Die Bevölkerung witterte, nicht zu Unrecht, massiven Wahlbetrug. Wachsende wirtschaftliche und soziale Probleme – nicht zuletzt wegen einer schlecht gemanagten Coronapandemie – taten ein Übriges, um den Volkszorn zu befeuern.

Hunderte Verletzte

Bei mehrtägigen Protesten, die sich in Gewalt entluden, starb ein 19-Jähriger. Hunderte wurden verletzt. Die Zentrale Wahlkommission annullierte das Wahlergebnis, der damalige Staatschef Sooronbai Dscheenbekow trat zurück.

Noch während der Unruhen machte ein Mann von sich reden, der kurz darauf eine politische Blitzkarriere hinlegen sollte: Sadyr Japarow. Un­ter­stüt­ze­r*in­nen hatten den damals 51jährigen aus dem Gefängnis befreit, wo er eine elfjährige Haftstrafe wegen Geiselnahme absaß. Schnell setzte er sich an die Spitze der Bewegung, wurde zum Ministerpräsidenten gewählt und übernahm nach Dscheenbekows Rücktritt kommissarisch auch noch den Posten des Präsidenten.

Wie sich Japarow, gewisser nationalistischer Umtriebe nicht unverdächtig, die Demokratie in Kirgistan vorstellt, wurde alsbald deutlich: Neuwahlen zum Parlament, die eigentlich im Oktober hätten stattfinden sollen, wurden auf Herbst 2021 verschoben. Gleichzeitig machte er kein Hehl daraus, die Verfassung zugunsten größerer Vollmachten für den Präsidenten umbauen zu wollen.

Im November wandte sich Kirgistans Verfassungsgericht an die Ver­fas­sungs­ex­per­t*in­nen des Europarates – die Venedig-Kommission. Die fand klare Worte: Während einer Übergangsperiode habe ein Parlament nur begrenzte Vollmachten und nicht die Legitimität, um Verfassungsänderungen zu initiieren. Diese verlangten, dass das Volk zuvor in freien und fairen Wahlen seinen Willen äußern könne.

Weitere Pflöcke

Das Verfassungsgericht ignorierte diese Einschätzung. Auch die Forderung einheimischer Organisationen, das Referendum zu verschieben und eine breite öffentliche Debatte zu ermöglichen, stieß auf taube Ohren. Unterdessen schlug Japarow am 10. Januar 2021 weitere Pflöcke ein. Mit 79 Prozent der Stimmen wurde er bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt. Auch ein zeitgleich stattfindendes Referendum wurde in seinem Sinne entschieden: 84 Prozent stimmten für die Einführung eines Präsidialsystems. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei überschaubaren 38 Prozent.

Am 9.Februar legte eine Arbeitsgruppe den überarbeiteten Entwurf für eine geänderte Verfassung vor. Laut Artikel 70 kann der Präsident, der fortan für eine zweite Amtszeit antreten kann, Volksentscheide ansetzen. Er ernennt und entlässt Regierungsmitglieder, die Vorsitzenden des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs sowie deren StellvertreterInnen. Die Zahl der Parlamentssitze hingegen wird von 120 auf 90 reduziert.

Zudem ist die Schaffung eines „Kurutai“ vorgesehen– eine Art Ältestenrat, in dem Ver­tre­te­r*in­nen aller Regionen sitzen sollen. Wie die Mitglieder gewählt werden, ist unklar. Der „Kurutai“ kann dem Parlament Gesetze unterbreiten und die Abberufung von Regierungsmitgliedern vorschlagen.

Die Ziele und Motivationen für die Schaffung des Kurutai seien undurchsichtig, zitiert das Nachrichtenportal eurasianet.org die kirgisische Menschenrechtsorganisation Adilet. Das Gremium könne zu einem Instrument des Präsidenten werden, um sich einzumischen und Druck auf wichtige politische Institutionen und Bür­ge­r*in­nen auszuüben, wenn es seinen Interessen diene.

Moralische Werte

Bauchschmerzen bereitet kritischen Geistern in der Zivilgesellschaft auch der Artikel 10 des Verfassungsentwurfs, der angeblich junge Menschen schützen soll. Alles, was den moralischen Werten und dem öffentlichen Bewusstsein des kirgisischen Volkes zuwider laufe, könne per Gesetz eingeschränkt werden, heißt es dort.

Welche staatlichen Institutionen werden damit beauftragt die Maßstäbe dafür fest zu legen, was gegen Moral und moralische Werte verstoße, fragt das Institut für Medienpolitik mit Sitz in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Derartige schwammige Definitionen seien ein Einfallstor, um Meinungsfreiheit und Dissens zu unterdrücken. Den Rechtsanwalt Azim Jeenbajew stört noch etwas: Kirgistan sei ein multi-ethnischer Staat und für jede Gruppe bedeuteten moralische Werte etwas anderes.

Ängste vor Konflikten zwischen den Ethnien schürt auch die Abschaffung der Regelung, wonach die Nennung der ethnischen Zugehörigkeit in Ausweispapieren bisher freiwillig war. Immer noch frisch ist die Erinnerung an die Ereignisse in Osch 2010. Bei Unruhen zwischen Kir­gi­s*in­nen und Angehörigen der usbekischen Minderheit waren bis zu 2500 Menschen ums Leben gekommen.

Doch trotz aller Bedenken winkte das Parlament das Referendumsgesetz am 11. März durch. Laut des Nachrichtenportals novastan.org, das auf andere Nachrichtenquellen verweist, hätten angeblich 100 Abgeordnete abgestimmt, aber nur 80 seien anwesend gewesen. Einzelne Volks­ver­tre­te­r*in­nen sollen gezielt unter Druck gesetzt worden sein.

Mindestens 30 Prozent

Doch das scheinen für Japrow nur Petitessen zu sein. Er bekommt seine Volksabstimmung. Das einzige, was seinen Plan durchkreuzen könnte, ist die Wahlbeteiligung. Die muss bei mindestens 30 Prozent liegen, damit die Abstimmung gültig ist.

So ist es wohl kein Zufall, dass die Kir­gi­s*in­nen am Sonntag auch zu Kommunalwahlen aufgerufen sind. In 448 Kommunen bewerben sich mehr als 8000 Kan­di­da­t*in­nen um einen Sitz in den Gemeindeverwaltungen. Allein in der Hauptstadt Bischkek treten 25 Parteien mit 1.900 Kan­di­da­t*in­nen an.

Durch Abwesenheit glänzt Japarows nationalistische Mekenschil-Partei, die seit seinem Aufstieg erheblich an Einfluss gewonnen hat. Zur Begründung sagte Vizechef Erkin Bajamow, Japarow wolle damit sicher stellen, dass es zu keinem Missbrauch administrativer Ressourcen komme.

Dieser, in postsowjetischen Staaten gängige, Terminus bezeichnet eine Art Amtsbonus: Einen geldwerten Vorteil, den Amtsinhaber aus ihrer formalen Machtposition ziehen und gegenüber Mitbewerbern und Kontrahenten in Wirtschaft und Politik einsetzen können.

Chance für kleine Parteien

Die Abstinenz von Pro-Regierungsparteien könnte die Menschen motivieren, ihre Stimme abzugeben, meint der Polit-Analytiker Denis Berdakow. Immerhin hätten auch kleine Parteien eine Chance. Zudem seien diese Wahlen relativ frei und es gebe einen echten Wettbewerb.

Auch Po­li­ti­ke­r*in­nen seien motiviert, glaubt Berdakow. „Die Bedeutung des nationalen Parlaments wird geringer. Leute mit Geld, die Einfluss und Medien hinter sich haben, müssen irgendwo hingehen. Und das sind dann eben die Stadträte“, sagte er dem Nachrichtenportal eurasianet.org. Atyr Abdrachmatowa ist das skeptischer. Die Menschen hätten jegliches Vertrauen in die Po­li­ti­ke­r*in­nen verloren. Denn wenn diese gewählt seien, würden sie ihre Versprechen nicht halten, zitiert eurasianet.org. die Wahlexpertin.

An vollmundigen Ankündigungen herrscht auch in diesem Wahlkampf wahrlich kein Mangel. Bischkek solle eine grüne Stadt werden – mit neuen Sportstätten und umweltfreundlichem Personennahverkehr. Eine Partei setzt sich für Fahrstühle in jedem Wohnblock sowie kostenlose Appartements für Leh­re­r*in­nen und Ärz­t*in­nen ein. Eine andere fordert, dass alle Wohnsiedlungen in den Genuss der „Errungenschaften der Zivilisation“ kommen sollen – will heißen: Gas, Wasser, Strom und das jederzeit. Und eine Gruppe fordert die Legalisierung von Cannabis. Wenn das kein attraktives Angebot ist.

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