Berlin muss die Notbremse umsetzen: Eher Stop- and-go als Vollbremsung

Was der Bund beschlossen hat, muss Berlin umsetzen. Eher mit Murren. Der Regierende Bürgermeister hält nicht viel von Notbremse. Vom Für und Wider.

In Großaufnahme sind zwei kindliche Hände und eine Schachtel zu sehen: Eine Schülerin öffnet ihre Covid-19-Schnelltest im Lessing-Gymnasium in Wedding-Berlin

Mehr Testen, weniger Notbremse? Schülerin mit Covid-Schnelltest im Lessing-Gymnasium in Wedding Foto: dpa/Fabian Sommer

Das wird eine ziemlich lange Bremsspur werden – falls die Coronanotbremse, die der Bund am Mittwoch beschlossen hat, denn überhaupt eine Spur im Berliner Infektionsgeschehen hinterlassen wird. Der politische Impuls, die unübersichtlichen Regelwerke in den Ländern zu vereinheitlichen, mag noch nachvollziehbar sein. Den praktischen Nutzen vor allem der umstrittensten Regelung – der Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr, wenn drei Tage lang eine Inzidenz von 100 überschritten wird – darf man aber mit Recht bezweifeln.

Die vermeintlich harte „Sperrstunde“ sieht nämlich durchaus Ausnahmen vor, etwa wenn der Hund raus muss. Joggen darf man auch bis um 24 Uhr. Effektiv kontrollieren kann so etwas niemand. Und eine solche Ausgangssperre könnte das Infektionsgeschehen sogar noch beschleunigen – wenn sich die Menschen dann eben erst recht drinnen statt draußen an der frischen Luft treffen, weil das schließlich noch weniger zu kontrollieren ist.

Ebenfalls nicht ganz einsichtig: Gerade mal fünf Tage muss die Inzidenz wieder unter dem Schwellenwert von 100 liegen, dann werden die Maßnahmen erneut gelockert. Klingt also danach, als stünde uns bis zum versprochenen flächendeckenden Impfangebot im Sommer eher ein Stop-and-go bevor als eine Vollbremsung.

Besser differenzierter

Was die Notbremse für die Schulen angeht – sie müssen bei einer Inzidenz von 165 schließen – haben die KritikerInnen Recht, die sagen: Bei so einer pauschalen Notbremse bleibt kein Raum mehr für Abwägung. Den sollte es aber gerade beim Kinderschutz geben. In sensiblen Bereichen muss es möglich sein, differenzierter als stur auf den Inzidenzwert zu starren: auf die Auslastung der Intensivbetten, die Testkapazitäten, auf den Fortschritt bei den Impfungen, zum Beispiel bei den LehrerInnen. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Stop-and-go bis zu den Sommerferien Eltern, Schulleitungen wie Kinder einigermaßen in den Wahnsinn treiben dürfte.

Ist das ein Plädoyer für einen harten Shutdown? Nein. Man sollte nur nicht all zu viel Hoffnungen in diese Notbremse setzen, die keine ist. Die Bremse ist lediglich der etwas verzweifelte Versuch, Handlungsmacht zu demonstrieren. Wohlgemerkt, da, wo handeln weh tut, gegen die Lobby von Arbeitgebern und Einzelhandel, passiert weiter nichts: Ab einer Inzidenz von 100 darf man zwar nachts ab 22 Uhr nicht mehr raus – aber am nächsten Morgen mit negativem Test noch shoppen gehen. Die Shutdown-Grenze für den Einzelhandel liegt erst bei 150. Und die Testpflicht für Betriebe wird wohl nicht mehr kommen, zumindest in dieser Pandemie.

Bei so pauschaler Notbremse bleibt kein Raum mehr für Abwägung

Der Regierende Michael Müller (SPD) zeigte sich übrigens auch nicht überzeugt bei der abschließenden Debatte im Bundesrat am Donnerstag. Die Akzeptanz bei den BerlinerInnen für die neuen Maßnahmen dürfte es nicht erhöhen, wenn nicht mal das Regierungsoberhaupt überzeugt davon ist, was Berlin jetzt mit umsetzen muss. Und zum Wochenende lag die Inzidenz bei 150. Es könnte also ziemlich schnell losgehen.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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