Militärischer Klimaschutz: Kriegsschiffe gegen Bolsonaro?

In seinem Klimathriller diskutiert Dirk Roßmann das Abholzen des brasilianischen Regenwaldes als interventionswürdiges Menschheitsverbrechen.

Abgeholzter Amazonas-Regenwald in Brasilien Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hält Corona für „eine leichte Grippe“. Er lehnt jede staatliche Prävention ab. Die Inzidenzzahlen in Brasilien sind die höchsten auf der Welt. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen. Bolsonaro lehnt das Impfen ab. Seit Anfang März sterben täglich mehr als 3.000 Menschen an Corona. Ex-Präsident Lula nennt diese Politik in einem Spiegel-Gespräch den „größten Genozid unserer Geschichte“. Das Coronavirus mutiert in Brasilien in gefährliche Formen, die sich über die Welt verbreiten und alle Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie zunichtemachen können.

Seit dem Amtsantritt Bolsonaros 2018 ist das Abholzen des Amazonas-Regenwaldes uneingeschränkt erlaubt. Im Regenwald werden gewaltige Mengen des Sauerstoffes für die ganze Erde produziert. Zugleich funktioniert er als Weltsenke für CO2. Von August 2018 bis Juli 2020 wurden laut brasilianischer Weltraumbehörde 11.000 Quadratkilometer, mehr als 600 Millionen Bäume oder drei Fußballfelder pro Minute abgeholzt. Wird die Abholzung im diesem Tempo fortgesetzt, muss davon ausgegangen werden, dass sich der Klimawandel weltweit trotz der Anstrengungen aller anderen Länder ungebremst beschleunigen kann. Bolsonaros Brasilien gefährdet bewusst das Leben der Menschen überall auf der Erde.

Kann man Bolsonaro von außen stoppen? Dazu finden sich in der aktuellen Ausgabe von taz FUTURZWEI drei Ideen. Die Klimapolitikaktivistin Luisa Neubauer will mittels öffentlichem Druck von unten das Regieren in den Metropolen und damit das Leben aller Menschen auf der Erde so verändern, dass jedem ökonomischen Interesse am Abholzen der Regenwälder die Basis entzogen wird. Klaus Wiegandt, Stiftungsvorstand des „Forum für Verantwortung“, will auf Bolsonaros Vorschlag eingehen, gegen 10 Milliarden Dollar jährlich das Abholzen einzustellen. Er will das Geld dafür einsammeln. Der Drogeriekettenbesitzer Dirk Roßmann erfindet in seinem Sciene Fiction-Thriller „Der neunte Arm des Oktopus“ eine machtpolitische Allianz aus USA, Russland und China, die im Jahr 2050 unabhängig von ihren systemischen Differenzen die Reduzierung des CO2-Ausstoßes, niedrigeres Bevölkerungswachstum und weltweite Abrüstung gemeinsam durch militärische Intervention durchsetzen. Ihre Kriegsflotten kreuzen vor der brasilianischen Küste. Sie verlangen ultimativ und letztlich erfolgreich das Ende des Abholzens.

Lässt sich internationales Völkerrecht auf Klimaschutz anwenden?

Roßmanns Plot ist nicht weltfremd. Er greift die seit Beginn der Neunzigerjahre laufenden Veränderungen im Völkerrecht zur Legalisierung eines militärischen Eingreifens der Weltgemeinschaft mit dem Konzept der Schutzverantwortung auf. Die Menschenrechtskrisen in Somalia 1992 und danach in Angola, Ruanda, Haiti und im Sudan führten zum Aufrichten eines internationalen Gewaltmonopols bei einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Abgerundet wird dieses Konzept durch Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes, der bei Verdacht auf Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen weltweit gültig Recht spricht.

Roßmann wirft implizit die Frage auf, ob die bewusste Beschleunigung des Klimawandels ein Menschheitsverbrechen ist, das wie Menschenrechtsverletzungen ein militärisches Intervenieren legitimiert. Eine Bejahung würde den Geltungsrahmen des Völkerrechtes erweitern. Die gleiche Frage ist für Weltkrisen wie die Covid-Pandemie naheliegend. Wenn die Weltgesundheitsorganisation mehr sein soll als ein Kommunikationsorgan, dann könnte sie, eingebunden in das Sicherheitssystem der UNO im Sicherheitsrat, als Ultima Ratio auch ein militärisches Eingreifen in einem Fall der bewussten Gesundheitsgefährdung aller Menschen einschließen. Dazu könnte z.B. auch die machtbewehrte Zuständigkeit für eine weltweit gerechte Verteilung der Impfstoffe gehören.

Die reale Weltsicherheitspolitik ist weit entfernt von dem aus Vernunft erfolgenden Verantwortungshandeln der drei Großmächte, wie es in Roßmanns Fiktion beschrieben wird. Der Systemgegensatz zwischen den Demokratien und den Diktaturen blockiert eine Welt-Machtpolitik der Schutzverantwortung. Russland und China sind reflexartig bei den entscheidenden Abstimmungen im Sicherheitsrat stets auf der Seite der Verbrecherstaaten.

Die Bolsonaros dieser Welt aufhalten

Brasiliens Präsident Bolsonaro braucht sich vor einer Intervention der Weltgemeinschaft nicht zu fürchten, weil ihn im Zweifel Russland und China vor dem Eingreifen der Demokratien schützen würden. So stehen die USA, die EU, Südkorea und andere – jenseits der blockierten Entscheidungswege im Sicherheitsrat – vor der Aufgabe, bei Strafe des eigenen Untergangs einen eigenen, offensiven, machtpolitischen und militärisch abgesicherten Weltmachtapparat aufrecht zu erhalten oder auszubauen, der die Bolsonaros dieser Welt auch ohne Russland und China stoppen kann. Die Legitimation dafür reicht von Menschenrechtsverletzungen, putschistischen Umstürzen, völkerrechtswidrigen Annexionen, den Gefährdungen des Weltklimas bis zu bewusster Gefährdung der Weltgesundheit. Eine solche Schutzverantwortung als Reaktion auf Völkerrechtsverbrechen muss über die militärische Intervention hinaus auch eine aktive Mitverantwortung bei der selbstbestimmten Gestaltung neuer, demokratischer Lebensverhältnisses nach der Intervention einschließen. Der erfolgreiche Nato-Einsatz im Kosovo vom Herbst 1998 bis zum Sommer 1999 ist für ein solches Vorgehen ein überzeugender Beleg.

US-Präsident Joe Biden hat für Ende April zu einer virtuellen Weltkonferenz zum Klimawandel eingeladen. China und Russland waren im ersten Aufschlag nicht eingeladen, aber Biden will das persönlich nachholen. Es beflügelt, dass die USA mit dem neuen Präsidenten der Idee eines demokratischen, freiheitlichen Lebens, erweitert um Klimagerechtigkeit und Weltgesundheit, weltpolitisch wieder ihre mächtige Stimme geben. Eine weltweite Politik, die die Gefährdung der Menschenrechte, des Weltklimas und die Ausbreitung von Pandemien offensiv und mit allen angemessenen Mitteln einhegt, ist auch jenseits der UNO unter der Führung der demokratisch verfassten Staaten möglich. Die demokratischen Freiheiten, Klimagerechtigkeit und Weltgesundheit haben auf der politischen Weltagenda wieder einen festen Platz.

UDO KNAPP ist Publizist und war der letzte Vorsitzende des Sozialistischen Studentenbundes SDS.

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