Räumung ohne Meuterei

Die Meuterei in Kreuzberg ist ohne großen Widerstand geräumt worden. Militante Aktionen gab es dagegen in der Nacht

Nach der Räumung spazierten Po­li­zis­t*in­nen durch die Vordertür der Meuterei Foto: Christian Mang/reuters

Von Erik Peter

Die Spieler*innen, die auf ein von linker Subkultur befreites Berlin setzen, sind ihrem Bingo wieder ein Stück näher gekommen. Am Donnerstagmorgen hat die Polizei die Kreuzberger Kneipe Meuterei geräumt, die für die linksradikale Szene der Stadt elf Jahre lang günstiges Bier und Plenumsräume bot. Auch die Domestizierung des einst widerständigen und rauen Kreuzbergs schreitet damit weiter voran.

Das Szenario „Polizeigroßaufgebot räumt alternative Kiezkneipe“ erinnerte an das erzwungene Ende des Syndikats im August vergangenen Jahres – ebenso wie ein altes Graffito am Neuköllner Herrfurthplatz. Hier formierte sich morgens um 6 Uhr die größte Demonstration des Morgens. Das Syndikat-Kollektiv, kneipenlos, aber politisch umso aktiver, hatte zur Solidarität mit der Meuterei gerufen und viele waren gefolgt.

Auf dem Weg nach Kreuzberg schlossen sich den anfangs 200 Teilnehmenden noch einmal mindestens ebenso viele an. Einige Anwohnende am Kottbusser Damm dürften durch ein erfrischendes „Die Kneipen denen, die drin saufen“ aus dem Schlaf gerissen worden sein. Auf einem Häuserdach brannten Un­ter­stüt­ze­r*in­nen Pyrotechnik ab und entrollten Transparente: „Meuterei verteidigen, besetzen, enteignen“.

Mit Überquerung des Kanals enterte der Demozug das Hochsicherheitsgebiet, das die Polizei hier seit Mittwochnachmittag errichtet hatte. 1.000 Po­li­zis­t*in­nen sollten effektive Störungen der Räumungsaktion schon im Keim ersticken. Dafür hatten sie in der Reichenberger und Lausitzer Straße eine abgegitterte Versammlungsverbotszone errichtet. Spezialkräfte verteilten sich auf den umliegenden Dächern. Fast schon resigniert endete die Demonstration an der Polizeiabsperrung. Etwa 50 Teil­neh­me­r*in­nen einer Fahrraddemo, die am Schöneberger Jugendzentrum Potse startete, schlossen sich ihnen kurze Zeit später an.

Druck Mit einer Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz wollen Aktivisten am Samstag für eine radikale Kursänderung der Wohnungspolitik protestieren. Die Demonstration ist Teil des europaweiten Aktionstages „Housing Action Day 2021". Vom Alexanderplatz soll es ab 12 Uhr über den Moritzplatz zum Mariannenplatz gehen.

Eigentum Nach Angaben des Senats wurden von 2015 bis 2019 mehr als 72.000 Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Im Neubau lag die Kaltmiete von 2015 bis 2017 im Median bei 13 Euro pro Quadratmeter, 2018/19 demnach bei 14 Euro pro Quadratmeter. (dpa)

Das vorher ausgerufene Widerstandskonzept des Tages lautete: die Polizei beschäftigen. Aufgerufen wurde zu verteilten Kundgebungen und Demonstrationen sowie zu dezentralen Aktionen. Womöglich gehören 15 durch Brandstiftung beschädigte oder zerstörte Autos in der Nacht zu den Ergebnissen dieser Taktik. Ebenso sollen an mehreren Objekten von Immobilienfirmen Scheiben zerstört worden sein. Bei den Versammlungen rings um die Meuterei beklagte die Polizei dagegen lediglich „illegale Pyrotechnik“.

Als pünktlich um 8 Uhr morgens die Gerichtsvollzieherin im Sicherheitsbereich anrückte, saßen zwei Mitglieder des Meuterei-Kollektivs am Tresen ihrer Kneipe und prosteten sich zu. Das online verbreitete Bild gehört zu den wenigen schönen eines insgesamt eher tristen Tages. Dutzende Polizist*innen, die in dem Hinterhof der Meuterei verschwanden, brauchten schlussendlich keine 20 Minuten, um auf der Vorderseite der Kneipe wieder herauszuspazieren. Die beiden angetroffenen Frauen führten sie ebenfalls hier heraus. Nach Feststellung ihrer Personalien durften sie gehen.

Beobachtet wurde das Schauspiel aus dem abgegatterten Gehwegbereich der gegenüberliegenden Straßenseite von einem Großauflauf an Jour­na­lis­t*in­nen und Linke-Politiker*innen. Angesichts der Partei-Prominenz fühlte man sich fast an einen Parteitag erinnert. Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter aus dem Bezirk, sprach gegenüber der taz von einer „Niederlage für die Stadt und für alle Linken“. Mit der Meuterei verliere Kreuzberg „ein weiteres Stück unangepasstes, alternatives, nicht kommerzielles Kiezleben“. Meiser forderte einen besseren gesetzlichen Schutz für Gewerbetreibende auf Bundesebene, etwa Mindestvertragslaufzeiten oder gedeckelte Mieten.

Als die Gerichtsvollzieherin anrückte, saßen zwei Mitglieder des Meuterei-Kollektivs am Kneipentresen und prosteten sich zu

Während sich die Grünen bedeckt hielten und die SPD eh keine Sympathie für Linke pflegt, ist für die Linke die nächste Räumung nach Syndikat und Liebig34 durchaus problematisch. „Es ist schwer vermittelbar, dass nicht der Senat, sondern die Gerichte entscheiden“, sagte Meiser. Die beiden abgeführten Meuterei-Mitglieder jedenfalls verweigerten sich einem Gespräch mit Linken-Politiker*innen, die sie in der polizeilichen Maßnahme besuchten.

In einem Statement der Kneipe hieß es, die Räumung sei „ein weiteres Beispiel dafür, wie der rot-rot-grüne Senat die Profit-Interessen von In­ves­to­r:in­nen durchprügelt“. In ihrem Fall profitiert der Immobilienspekulant Goran Nenadic, der das Gebäude nach dem Kauf 2011 aufteilte, die Wohnungen sanieren ließ und verkaufte. Vor zwei Jahren verweigerte er der Meuterei eine Verlängerung des Mietvertrags. Weil das Kollektiv nicht freiwillig auszog, holte sich der Eigentümer einen gerichtlichen Räumungstitel.

Laut Polizeiangaben gestattete der Eigentümer Jour­na­lis­t*in­nen die Begehung der geräumten Kneipe. Begierig filmte etwa die Junge Freiheit die Räume ab, in denen Rechte bislang Hausverbot hatten. Der Verlust der Meuterei ist, spätestens in diesem Moment, auch ein Verlust politischer Kultur.